Montag, 23. April 2018

Besatzungspläne für Syrien

US-Pläne zur Stationierung einer arabischen De-facto-Besatzungstruppe in Syrien begleiten die deutschen Bemühungen um eine Beteiligung an der „Neuordnung“ des Landes. Washington will seine illegal in Syrien installierten Truppen abziehen, zugleich aber verhindern, dass Iran in dem Land weiter an Einfluss gewinnt. Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton verhandelt deswegen nun mit mehreren arabischen Staaten, darunter Saudi-Arabien, über die Bildung von Einheiten, die unter dem Vorwand, den Krieg gegen den IS fortsetzen zu wollen, im Nordosten und Osten des Landes stationiert werden sollen – unter offenem Bruch des Völkerrechts. US-Experten warnen, Riad werde das vor allem als Chance begreifen, den Stellvertreterkrieg gegen Iran zu intensivieren. Die Bundeswehr wäre involviert, weil Luftwaffen-Tornados ihre Aufklärungsdaten der Anti-IS-Koalition liefern, der auch Saudi-Arabien angehört. Unterdessen stellen deutsche Medien einen Einsatz der Bundeswehr in Nordsyrien zur Diskussion – um den Vormarsch türkischer Truppen dort zu verhindern.

Suche nach Ersatz

Hintergrund der US-Pläne, eine arabische De-facto-Besatzungstruppe in Syrien zu installieren, ist die Absicht der Trump-Administration, die eigenen Streitkräfte aus dem Land abzuziehen. Dies entspricht der Politik der Vorgängerregierung unter Barack Obama, die ebenfalls um eine Reduzierung der US-Einheiten im Nahen und Mittleren Osten bemüht war; Ziel ist es, sich stärker auf den Machtkampf gegen China zu konzentrieren und dafür ein größeres militärisches Potenzial zur Verfügung zu haben. Zur Zeit sind – offiziell im Rahmen des Krieges gegen den IS, der immer noch in Teilen Nordostsyriens präsent ist – rund 2.000 US-Soldaten im Nordosten und Osten des Landes stationiert, gegen den Willen der syrischen Regierung und ohne jede völkerrechtliche Grundlage. In Washington heißt es, man wolle damit vor allem auch dem Einfluss Irans in Syrien entgegenwirken. Ursprünglich hatte Washington vor, nach dem Abzug der US-Streitkräfte die kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) als Stellvertreter gegen Iran zu nutzen.[1] Daraus wird aber nichts, da ein erheblicher Teil der kurdischen Kräfte sich aktuell auf den Krieg gegen die türkischen Invasionstruppen in Nordsyrien konzentriert. Die US-Administration ist deshalb auf der Suche nach Ersatz.

Major non-NATO Ally

Dazu verhandelt der neue Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, John Bolton, zur Zeit mit einer Reihe arabischer Staaten, insbesondere mit Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ziel ist es, eine arabische Streitkräftekoalition auf die Beine zu stellen, die die US-Truppen in Syrien weitgehend ersetzen und ihrerseits Position gegen iranische Milizen beziehen soll. Die Teilnahme Ägyptens gilt als wenig wahrscheinlich, da dessen Militär stark mit dem Krieg gegen den IS auf dem Sinai beschäftigt ist. Kairo könne allerdings auch anderweitig aushelfen, heißt es in Washington – etwa mit Logistik oder mit der Ausbildung syrischer Kämpfer.[2] Damit sind Angehörige oppositioneller Milizen gemeint. Saudi-Arabien hat bereits erkennen lassen, dass es bereit ist, sich an der Stationierung von Truppen auf syrischem Territorium zu beteiligen; Außenminister Adel al Jubeir steht schon in konkreten Verhandlungen mit Washington. Es wird spekuliert, Trump könne der Monarchie im Gegenzug den Status eines Major non-NATO Ally verleihen.[3] Mit der Bitte um Unterstützung beim Aufbau der Einheiten haben arabische Unterhändler inzwischen den Gründer der berüchtigten US-Söldnerfirma Blackwater (heute: Academi), Eric Prince, kontaktiert. Prince hat bereits Privatmilizen in den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie in Somalia organisiert.[4]

„Iran entgegentreten“

US-Experten warnen – aus verschiedenen Gründen. Keine Rolle spielt in ihren Überlegungen, dass eine dauerhafte Stationierung fremder Truppen auf syrischem Territorium ohne Genehmigung der Regierung in Damaskus einer völkerrechtswidrigen Okkupation gleichkäme; internationales Recht hat für den Westen keine Bedeutung mehr. Zum einen wird jedoch darauf verwiesen, dass Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate bereits im Jemen einen Krieg führen, den sie nicht gewinnen können; ein weiterer Einsatz könne ihre Streitkräfte überlasten, heißt es. Gleichzeitig sei damit zu rechnen, dass Riad und Abu Dhabi ihren Stellvertreterkrieg gegen Iran im Falle einer Stationierung in Syrien auch dort ausweiten würden, urteilt der CNN-Militärexperte John Kirby: Es sei durchaus wahrscheinlich, dass sie dazu auch „Rebellen“ mit neuen Waffen versorgen würden.[5] Dann dürften salafistisch-jihadistische Milizen, die Saudi-Arabien in Syrien seit Jahren unterstützt, einen neuen Aufschwung nehmen. Kirby weist zudem darauf hin, dass die saudischen Streitkräfte zwar über teures, hochmodernes Kriegsgerät verfügten, ihre Einsatzfähigkeiten aber beschränkt seien. Es stelle sich die Frage, ob die Vereinigten Staaten nicht letzten Endes stärker präsent bleiben müssten, etwa, um saudischen Bodentruppen bei ihren Operationen Luftunterstützung zu gewähren; schließlich müssten die in Syrien stationierten arabischen Einheiten „stark genug“ sein, um „Assad oder Iran“ entgegenzutreten, wenn diese Territorium zurückforderten, „vielleicht mit Russlands Hilfe“.[6] Damit werde das US-Ziel, die eigenen Streitkräfte abziehen zu können, erneut verfehlt.

Deutsche Aufklärungsdaten

Zahlreiche Fragen stellen sich für Berlin. So ist unklar, wie sich die US-Bestrebungen auf die deutschen Bemühungen auswirken, sich an der „Neuordnung“ Syriens zu beteiligen (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Zudem wäre davon auszugehen, dass die saudischen Einheiten für ihre vorgeblich gegen den IS gerichteten Operationen auch Aufklärungsdaten erhalten, die von den in Jordanien stationierten Luftwaffen-Tornados gewonnen werden. Die Bundeswehr lieferte dann den Streitkräften des Königreichs womöglich Angaben für den Stellvertreterkrieg gegen Iran. Sollte die Einbindung saudischer Truppen sich auch auf die Luftwaffe erstrecken, die in der Bundesrepublik koproduzierte Tornados und Eurofighter nutzt, dann spricht alles dafür, dass von deutschen Militärs gelieferte Aufklärungsdaten die Vorlagen für exzessive Massaker an der Zivilbevölkerung liefern. Die saudische Luftwaffe ist für ihre wenig zielgenauen Angriffe im Jemen-Krieg berüchtigt [8], die wegen der außergewöhnlich hohen Zahl an Fehlbombardements zu einer hohen Zahl ziviler Opfer führten und deswegen die Obama-Administration veranlassten, eine Zeitlang die Lieferung von Aufklärungsdaten an Saudi-Arabien auszusetzen.

Rüstungsexporte

Gleichzeitig käme mit Saudi-Arabien ein treuer Kunde deutscher Rüstungskonzerne in Syrien zum Zug. Entgegen allen Beteuerungen, keine Waffen mehr an Riad liefern zu wollen, hat die Bundesregierung im ersten Quartal 2018 den Export von Kriegsgerät im Wert von 161,8 Millionen Euro in die salafistische Monarchie genehmigt – mehr als in jedes andere Land.[9] Darüber hinaus hat Großbritannien im März eine Absichtserklärung unterzeichnet, der zufolge London Riad 48 Eurofighter verkauft; an deren Produktion sind deutsche Unternehmen beteiligt.[10]

Bundeswehr nach Nordsyrien

Unterdessen stellen deutsche Medien alternative Besatzungspläne zur Diskussion. Sollten die US-Truppen aus Syrien abziehen, dann sei damit zu rechnen, dass die türkischen Streitkräfte einen Eroberungsfeldzug im kurdisch besiedelten Norden des Landes starteten, heißt es; dies müsse um jeden Preis verhindert werden. Frankreich sei diesbezüglich bereits aktiv geworden: Es habe sich nicht nur an der Ausbildung kurdischer Einheiten beteiligt; es habe zudem Spezialkräfte in der Region stationiert. Erst Ende März habe Präsident Emmanuel Macron den SDF Unterstützung zugesagt.[11] Dem solle sich die Bundesregierung anschließen: Eine „demonstrative französische und deutsche Truppenpräsenz in Nordsyrien“ könne „einen Krieg verhindern“, denn die Türkei werde nicht „der Kurden wegen einen Konflikt mit Europa wagen“. Für Berlin sei die Entsendung von Truppen nach Nordsyrien zwar „ein politischer Kraftakt und gesellschaftlicher Tabubruch“, doch seien die „Risiken … verhältnismäßig gering und der Nutzen enorm“.[12]
 Fußnoten:
[1] Hamdi Alkhshali, Ryan Browne: Syrian army vows to eject US troops. edition.cnn.com 16.01.2018.
[2] Michael R. Gordon: U.S. Seeks Arab Force and Funding for Syria. wsj.com 16.04.2018.
[3] Zachary Cohen: Bolton dealing to build an Arab military force in Syria. edition.cnn.com 18.04.2018.
[4] Michael R. Gordon: U.S. Seeks Arab Force and Funding for Syria. wsj.com 16.04.2018.
[5] Zachary Cohen: Bolton dealing to build an Arab military force in Syria. edition.cnn.com 18.04.2018.
[6] Michael R. Gordon: U.S. Seeks Arab Force and Funding for Syria. wsj.com 16.04.2018.
[8] S. dazu Ignorierte Kriege (I).
[9] Julia Krittian: Saudi-Arabien bekommt neue deutsche Waffen. tagesschau.de 12.04.2018.
[10] Ewen MacAskill: UK moves closer to signing Typhoon jet deal with Saudis. theguardian.com 09.03.2018.
[11] Macron will zwischen Kurden und Türkei vermitteln. zeit.de 30.03.2018.
[12] Wolfgang Bauer: Deutschland muss sich einmischen. zeit.de 17.04.2018.

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