Mittwoch, 14. März 2018

Zum Leben zuwenig


Wie die Bundesregierung Hartz IV erfindungsreich kleinrechnen lässt

Von Susan Bonath
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Mit Hartz IV sei niemand auf Essen bei der Tafel angewiesen. Vielmehr sei die Grundsicherung das Paradebeispiel für aktive Armutsbekämpfung. »Jeder hat, was er zum Leben braucht«, tönte jüngst der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Er setzte nach: Mit großem Aufwand habe die Regierung die Regelsätze berechnen lassen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) attestierte Spahn »große Ahnungslosigkeit«; die Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht warf ihm »arrogante Belehrungen« vor. Spahn verhöhne Betroffene, kritisierte sie. Doch eine seiner Aussagen stimmt tatsächlich: Den Regelsätzen widmeten die Experten der Bundesregierung tatsächlich riesigen Aufwand. Sie rechneten sie mit allerlei Tricks klein.
Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu ahnen: Die seit Jahresbeginn geltenden 416 Euro für einen Alleinstehenden sind knapp. Ein Anrecht darauf hat nur, wer kein verwertbares Vermögen besitzt. Von dem Satz müssen Betroffene nicht nur essen, sondern alle Fixkosten, wie Strom und Internet berappen, sowie fürs Renovieren und den Ersatz kaputter Möbel, Elektrogeräte, Winterschuhe sparen. Davon müssen sie Zuzahlungen für Medikamente leisten und Fahrkarten kaufen. Hinzu kommt: Ein großer Teil der Erwerbslosen und Aufstocker muss zusätzlich einen Teil der Miete vom Regelsatz abzweigen. Grund sind die von Kommunen oft so niedrig festgelegten Obergrenzen, dass dafür kaum noch Wohnungen zu haben sind.
Die jüngste Erhöhung um sieben auf 416 Euro ist zunächst einmal Resultat der politisch motivierten Fortschreibung der Hartz IV- und Sozialhilfesätze. Alle fünf Jahre muss die Regierung zudem eine Berechnung offenlegen. Seit einer Rüge vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 zieht sie dafür zu einem Teil die Lohnentwicklung, zum anderen die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes heran. Darin wird erfasst, was Haushalte für Nahrung, Kleidung und sonstiges jeden Monat ausgeben. Für die Sozialsätze wird nur der Konsum der ärmsten 15 Prozent zugrunde gelegt.
Laut Hans-Böckler-Stiftung registrierten die Statistiker in dieser Referenzgruppe bereits 2008 monatliche Ausgaben von 535 Euro neben der Miete und den Heizkosten. Offensichtlich zuviel: Die Experten nahmen zahlreiche Güter aus dem Warenkorb der Ärmsten wieder heraus, die ein Hartz-IV-Bezieher angeblich nicht braucht: Tabak, Zimmerpflanzen, Bücher, Alkohol und vieles mehr. Für das Eis am Imbissstand legten sie nicht die realen Ausgaben, sondern den reinen Warenwert im Discounter zugrunde. Für Bier und Limonade musste der akkurat bemessene Preis für das darin enthaltene Trinkwasser herhalten.

Dank derlei Spitzfindigkeiten blieben so 2011 von 535 noch 364 Euro übrig. Entsprechend ging und geht man bei den Regelsätzen von Kindern, Jugendlichen und Partnern vor. Die letzte Berechnung nach der EVS erfolgte 2015 – auf Basis der Daten von 2013. Hinzu kommt: Zuletzt litten pro Jahr rund 420.000 Bezieher unter teils mehreren Sanktionen. So mussten rund eine Million Betroffene drei Monate lang mit einer Kürzung ihrer ohnehin minimalen Bezüge leben, Zehntausenden strichen Jobcenter das Geld komplett.

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