Sonntag, 14. Mai 2017

Leiden unter Hartz-IV: Betroffene berichten

Hartz IV schafft Leiden

09.05.2017

Alexander und Bettina Hammer veröffentlichten ihre Einsichten in die psychosozialen Probleme von Hartz-IV Betroffenen, die sich per Mail austauschten. Es handelt sich dabei nicht um „objektive Aussagen“, sondern um subjektive Befindlichkeiten, die es aber plausibel erscheinen lassen, dass ALG II, so die Autoren, sich zersetzend auf Psyche und Beziehungen auswirkt.
Von der Zuversicht zur VerachtungDeutlich wurde zum Beispiel eine schrittweise Entwicklung der Betroffenen von Zuversicht, eine regelmäßige Erwerbstätigkeit zu finden dahin, andere Hartz-IV-Abhängige abzuwerten und sich selbst als „besser“ anzusehen.

So schrieb ein Thomas anfangs: „Ich hab zwar meine Arbeit verloren, aber Hartz IV werde ich jedenfalls nicht bekommen. Ich hab' eine Ausbildung, ich hab' gearbeitet, werd' schnell was finden. Lisa (seine Frau - Anmerkung der Autoren) meint ich kann jetzt etwas im Garten arbeiten. Eine willkommene Pause also. Du hast ja jetzt auch einen Garten, da weißt du: es gibt immer etwas zu tun. Und du weißt ja, dass ich kein Faulenzer bin, ein paar Bewerbungen und ich sitz wieder im Sattel ;) Bin ja keiner, der nur zu Hause rumhängen will, hehe.“

Später fehlte die Leichtigkeit, und je mehr der Frust stieg, umso mehr wertete Thomas andere Bedürftige ab: „Wenn ich mir ansehe, wie viele gar nicht arbeiten wollen, wird mir schlecht! Ich wäre so froh, wieder eine Arbeit zu haben und die kriegen einfach alles hinterhergeworfen. Und kommen nicht einmal zu Terminen.“
 Hetze gegen SchwächereSchließlich richtete sich diese Verachtung insbesondere gegen Zuwanderer: „Ich reiße mir den Arsch auf um Arbeit zu finden, aber es ist ja kein Geld da für uns Handwerker. Und was soll ich machen? Schwarz arbeiten für ein paar Euro? Aber die Flüchtlinge, die kriegen alles, was sie wollen. Und dann auch noch meckern weil sie das Essen stört und und und.“

Die Autoren verfolgten eine ähnliche Entwicklung bei vielen Betroffenen. Zu Beginn schimpften sie allgemein gegen Politiker, dann richteten sich die Kommentare immer mehr gegen Migranten, die schuld daran seien, dass es keine Jobs gäbe.

So schrieb zum Beispiel ein Frank: „Na toll, vorher gab es wenigstens noch ein paar Jobs, aber jetzt holen sie ja jeden hier rein. Vielleicht sollte ich mich als Syrer verkleiden.“

Bei manchen führt der wachsende Frust dazu, dass sie nach Sündenböcken suchen und diese in Menschen findet, denen es noch schlechter geht wie den Zuwanderern oder sich mit anderen Betroffenen entsolidarisieren, diese also abwerten, um sich aufzuwerten.

SelbsthassAndere sind anfangs noch voller Zuversicht und werden nach und nach depressiv, auch im klinischen Sinne des Begriffs. Sie fühlen sich wertlos; sie betrachten sich als Last für andere Menschen.

Statt ihren Hass zu Recht politisch gegen das Hartz-System oder zu Unrecht gegen andere Opfer zu richten, geben sie sich selbst die Schuld. Sie hassen sich selbst.

Ihre Hoffnung, jemals wieder eine ansprechende Erwerbsarbeit zu finden, sinkt. So schreibt ein Peter nach sechs Jahren ohne Anstellung: „Alt, dumm, ausrangiert, ich bin nur noch Ballast für alle. Ich verstehe jeden, der sich in einer solchen Situation von der nächsten Brücke stürzt. Keine Sorge, mache ich nicht, aber wofür bin ich denn noch gut? Sitze zuhause, mal was im Garten oder so, aber sonst … nix. Letztens musste ich schon die Kinder um Geld bitten weil es zu knapp war.“

BeziehungsproblemeDen Autoren zufolge finden sich Sätze, die auf das gleiche hinaus laufen, häufig. Sie nahmen zu, wenn die Betroffen 3 Jahre und länger ohne Arbeit waren. Ein anderer Peter schrieb: „Mich will sowieso keiner mehr. Ich frage mich warum Susanne (Name geändert) noch bei mir bleibt. Was hat sie denn, nur einen alten Sack, der zuhause sitzt und zu dumm ist, Arbeit zu finden. Die anderen schaffen es ja auch, warum ich nicht? Ich hab auch einfach das Falsche gelernt, zu wenig getan. Weiterbildung? War ja egal für mich. Tja, das ist jetzt die Strafe - ich bin nur noch der arbeitslose Trottel zuhause.“

Solche Selbstbilder zeigen deutlich, dass Hartz-IV die engen Beziehungen belastet. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Situation objektiv gegeben ist, oder ob die Betroffenen sich nur subjektiv als Last für ihre Partnerin ansehen.

Den Autoren zufolge ist die Vorstellung, für den Partner, bzw. die Partnerin wertlos zu sein, vor allem bei Männern verbreitet, zu deren Selbstverständnis es gehört, die Familie zu ernähren. Ohne diese Leistung erbringen zu können, stellen sie ihren eigenen Wert in Frage.

In der Rolle des bedürftigen Kindes Ein Torsten äußert dies explizit: „Mein Vater hat noch seine gesamte Familie ernährt und ich muss jetzt beim Jobcenter betteln damit die Kinder auf Klassenfahrt fahren können. Das ist erbärmlich.“

Andere sehen sich in der Rolle des bedürftigen Kindes. So sind dem 42jährigen Alexander Begegnungen mit den Eltern peinlich: „Ich kann meinem Vater gar nicht in die Augen sehen. Wenn meine Eltern uns besuchen kommen, lassen sie immer Geld da für uns. "Schon okay." sagt er (sein Vater - Anmerkung der Autoren) dann. Aber ich sehe doch, was er denkt. Er denkt ich bin ein Versager. Und er hat ja Recht.42 Jahre und arbeitslos, das wäre ihm nie passiert.“

Einspannen für unentgoltene ArbeitInwieweit sich Hartz-IV auf die Psyche auswirkt, hängt, den Texten der Betroffenen zufolge, auch massiv mit ihrem sozialen Umfeld zusammen. So schreibt der 47jährige Roman: „Ich lebe im Haus meiner Eltern, zusammen mit meinen Geschwistern. Ich habe einen Teil geerbt und das Amt sagt mir, da kann ich auch bleiben. Also leben wir halt vor uns hin. Weil ich keinen Job habe, bleibt nicht nur die Gartenarbeit an mir kleben, sondern alle nehmen auch an, dass ich sowieso immer da bin.“

Nichts besseres zu tun?Da ein Hartz-IV-Abhängiger arbeitslos ist, hat er alle Arbeiten zu erledigen, die im Haus anstehen, so schildert es Roman: „Klar, ein Arbeitsloser hat ja nichts anderes zu tun als nur zuhause rumzuhocken. Wenn der Stromableser kommt, wird nicht vorher gefragt, ob ich Zeit habe, ich finde nur einen Zettel "morgen um 9 kommt der Stromableser". Wenn es etwas zu erledigen gibt, heißt es "geh du mal morgen zur Bank / zum Markt / zur Gemeinde". Dass ich vielleicht auch mal etwas vor habe ist völlig unwichtig. Wenn ich dann sage "also, ich habe aber was vor", dann kommt nur "na ja, das bringt wohl kaum Geld. Also kannst du es verschieben." Höchstens die Jobcentertermine gelten da noch als "na ja, kann man nicht ändern"-Termine, alles andere ist halt völlig unwichtig.“

Eine DauerschleifeMit anderen Worten. Falls es so läuft, wie Roman es beschreibt, erwartet seine Familie dafür, dass er erwerbslos ist, dass er „zumindest“ die Tätigkeiten erledigt, die im Haushalt anliegen. Er hat also für seine Familie immer verfügbar zu sein.

Roman zeigt hier ein Problem, dass viele Betroffene aus ihrem sozialen Umfeld kennen, und das für Hartz-IV-Abhängige zu einer Dauerschleife werden kann, die es immer schwerer macht, aus dem Hartz-System heraus zu kommen.

Bei Roman sind es jetzt die kleinen Behördengänge in der Familie. Viele Betroffene machen ähnliche Erfahrungen im Freundeskreis: Brauchen die Bekannten jemand, der beim Umzug hilft, das Baby sittet, den Hund ausführt, oder beim Renovieren hilft – dann fällt die erste Wahl auf den Hartz-IV-Empfänger.

Verfügbar sein statt weiterbildenEine Dauerschleife ist dies deshalb, weil es sich bei solchen „Freundschaftsdiensten“ um Nebentätigkeiten handelt, mit denen sich die Betroffenen ein Zubrot verdienen könnten, zweitens aber, weil sie sich in dieser Zeit unabhängig vom Jobcenter weiterbilden könnten und somit bessere Möglichkeiten hätten, eine interessante Erwerbstätigkeit zu finden.

Nur gelten solche privaten Weiterbildungen Außenstehenden oftmals als „brotlose Kunst“. Vorausgesetzt, der Betroffene hat Zeit, könnte er zum Beispiel im Internet seine Interessen zu vertiefen, sei es zu lernen, Webseiten zu gestalten oder einen Gartenteich anzulegen. Da er damit aber erst einmal kein Geld verdient, gilt dem Umfeld, das, was er macht, als nichts – ein Teufelskreis.

Dieses Dilemma kennen auch viele Menschen in kreativen Berufen, Schriftsteller ebenso wie Musiker, Künstler ebenso wie Schauspieler. Um überhaupt erfolgreich werden zu können, müssen sie viel Zeit und viel Energie in ihre Arbeit investieren. Da sie damit aber erst einmal nichts verdienen und es per se keine Garantie gibt, mit dieser Arbeit jemals etwas verdienen zu können, stehen sie unter dem Druck derer, die eine „richtige Arbeit“ haben.

Gerhard kennt das Problem: „Seit ich den Job verloren habe, wird alles auf mich abgeschoben. Auch wenn ich etwas nicht kann, heißt es "kann man sich doch beibringen". Aber ich bin halt mit der Bohrmaschine nicht besondern auf du und du. War früher kein Problem, hat halt mein Bruder gemacht. Aber jetzt sagt er "wieso machst du das nicht, du bist doch sowieso zuhause?" Als ob ich plötzlich alles kann.“

Kein Recht, nein zu sagenÜberspitzt gesagt schildert Gerhard, wie Hartz-IV-Empfänger im privaten Umfeld als unentgoltene Arbeitskräfte eingespannt werden: „Umgekehrt bringt er (mein Bruder) auch oft Sachen vorbei, die dringend sind. "Brauch ich bis morgen" sagt er. Manchmal braucht er es auch gleich. Ich bin ja immer da. Klar, ich bin auch meistens da, wie soll ich auch rausgehen? Aber trotzdem hab ich doch auch mal Lust zu schlafen oder will mal in Ruhe gelassen werden. Aber weil ich ja kein Geld mehr reinbringe, kann ich ja auch nichts sagen.“

Unausgesprochen verliert also der Hartz-IV-Empfänger, weil er kein Geld verdient, das Recht, nein zu sagen.

Den von Alexander und Bettina Hammer ausgewerteten Texten zufolge, spielt für viele Frauen, die von Hartz-IV leben, das Äußere eine erhebliche Rolle. Es ist ihnen wichtig, genau so viel für ihr Äußeres zu tun wie vorher, es fehlt ihnen aber an Geld dafür.

Schönheitsanspruch und finanzielle NotSo schreibt die 40jährige Petra: „Früher bin ich zweimal im Monat zum Friseur gegangen und einmal war Maniküre und Pediküre angesagt. Ich bin eigentlich ja brünett, aber blond fand ich mich hübscher. Volker auch. Er hat mir auch dauernd gesagt, wie hübsch ich bin und wie stolz er auf seine hübsche Frau ist. Ich habe ja mitverdient, da war das alles kein Problem. Aber jetzt haben wir nur noch ein Einkommen und Volker wird schon sauer, wenn ich nur zu einem Billigfriseur will.“

Zugleich mäkelt ihr Mann, dass sie nicht mehr „so gut“ aussieht wie zuvor: „Wofür willst du denn zum Friseur? Aber dann sagt er auch, dass ich mich so gehenlasse, dass ich doch in blond viel hübscher gewesen bin… Letzt habe ich ein Blondierungsmittel versucht, aber das sieht schrecklich aus. Aber mehr ist halt nicht drin. "Such dir halt was, dann haben wir auch wieder 70 Euro für den Friseur." meint er. Aber wo soll ich denn was finden?“

Soziale AusgrenzungAndere grenzen sich schleichend vom sozialen Leben raus und gelten bei ihren Freundinnen unterschwellig nicht mehr als gleich berechtigte Sozialpartnerinnen. So schreibt Sylvia: „Ich finde auch gar keinen Grund mehr, mich hübsch anzuziehen oder so. Warum auch? Ich sitze ja sowieso nur zuhause. Wir haben keine Kinder, keine Tiere, nichts. Ich sitze also zuhause, mach den Haushalt und das ist es dann auch. (…) Ich fühle mich einsam und völlig unnütz. Aber von meiner Freundin kommt da nichts, sie kann das nicht verstehen. Raff dich einfach auf, sagt sie. Und dass ich mich zu sehr gehen lasse, dass ich doch so hübsch wäre und früher so toll ausgesehen hätte und jetzt nicht mehr.“

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