Donnerstag, 16. Februar 2017

Ein Jahr "Therapievollzug" in Freiburger Sicherungsverwahrung

 
15.02.17


tmfSeit meiner Verlegung von der Justizvollzugsanstalt Bruchsal in jene Freiburgs im Sommer 2013, befinde ich mich auf "Station 2" der Sicherungsverwahr-Anstalt (SV). Diese hatte bald den Ruf der "Todesstation". Seit einem Jahr wird in der SV ein neues Konzept praktiziert. Darüber soll heute berichtet werden.


Situation bis Jahresende 2015
Die SV-Anstalt besteht aus vier Stationen, jede verfügt über 12-17 Plätze, Einzelzellen mit einer Größe von jeweils ca. 14 qm. Daneben gibt es auf jeder Station einen Freizeitraum mit Couch, Fernseher, Tischen und Stühlen, sowie einem Gefrierschrank. Ferner verfügt jede Station über eine kleine Küche mit Herd, des weiteren über eine Duschzelle, in der man alleine, während der allgemeinen Zellenöffnungszeiten duschen kann.

Während auf drei der vier Stationen -zumindest nach Ansicht des Personals- Therapievollzug, orientiert an sozialtherapeutischen Standards angeboten wurde, galt die "Station 2" als Therapieverweigerer, Querulanten-Station, sowie Verwahrabteilung für besonders gefährliche Verwahrte. Entsprechend überließ man die Insassen sich selbst, über die Sterbefälle, Insassen die völlig vereinsamten, in ihrem Müll lebten, habe ich mehrfach berichtet.

Situation seit Anfang 2016
Die Anstalt stellte, nach ihrem Bekunden, die Konzeption in wesentlichen Bereichen um. Galt zunächst die "Station 1" als "Zugangsstation" für Neuzugänge, die "Station 3" als "Behandlungsvollzug" und die "Station 4" als jene mit "größerer Freiheits- und Außenorientierung" (über "Station 2" habe ich schon oben berichtet), seien nunmehr alle vier Stationen "gleichberechtigt", jede Station sei eine "Wohngruppenstation", mit Bezugsbeamten-System, wöchentlichen Stationsversammlungen und einer intensiven behandlerischen Betreuung und Therapie. Der Sonderstatus der "Station 2" werde beendet.

Waren zudem die Klienten der Therapeutinnen zuvor über das ganze Haus verteilt, wurde nunmehr ein/e Therapeutin für eine Station alleinzuständig und ihre/seine Klienten auf diese Station verlegt.

Ein Beamter/eine Beamtin des uniformierten Dienstes wurde jeweils einem Insassen als "Bezugsbeamter/in" zugeordnet, der oder die dann monatlich Gespräche führen soll um das Alltagsverhalten zu reflektieren.

Ferner sollten besonders mitwirkungswillige Insassen belohnt werden, in dem sie -unter Bewachung, versteht sich- für zwei Stunden in die Stadt gehen dürften, bspw. um dort Kaffee zu trinken. D.h. über die jedem Verwahrten nach dem Gesetz zustehenden vier Ausführungen pro Jahr, sollten weitere Ausführungen gewährt werden.

Die Wirklichkeit
Wie stellt sich nun dieses Idyll aus Verwahrtensicht dar? Kurz nach Einführung des neuen Konzepts gab es tatsächlich für einige wenige Insassen die erwähnten "Sonderausführungen", wobei zum einen die Erwählten bemängelten, sie dürften sich nichts einkaufen und mit in die Anstalt bringen. Was die Anstalt damit begründete, dass die Sonderausführungen "therapeutischen Charakter" hätten, und nicht gedacht seien um einkaufen zu gehen.

Auffällig war zum anderen, dass in den Genuss der Sonderausführungen diejenigen Insassen kamen, die als besonders Therapeutinnen- und Therapeuten-nah galten. So zum Beispiel ein Insasse, der seiner Therapeutin während ihrer Urlaubszeiten mit viel Einsatz deren Büroblumen pflegte- was für manchen Spott sorgte. Allerdings wurden die Sonderausführungen nach wenigen Monaten wieder eingestellt, da es an personellen Ressourcen mangelte um die Ausführungen, für die in der Regel zwei Beamte des uniformierten Dienstes erforderlich sind, durchzuführen.

Ab 2017, so die Anstalt, sollten jedoch nun wieder öfters diese "Sonderausführungen" stattfinden, und man dürfe sogar einkaufen gehen. Allerdings komme weiterhin nur derjenige in den Genuss dieser Maßnahme, der sich diese, so Frau Diplom­ Psychologin W. "verdient" habe.
Auf der "Station 2" nahm es im letzten Jahr Monate in Anspruch den Freizeitraum neu zu gestalten. Ein Insasse der von einer der anderen Stationen auf die "Station 2" im Rahmen der Neukonzeptionierung verlegt worden war, empörte sich regelmäßig über den aus seiner individuellen Sicht "verkommenen Freizeitraum" und forderte dessen Umgestaltung. Als es dann nach endlosen Diskussionen über die farbliche Gestaltung daran ging den Raum zu streichen, ward er nicht mehr gesehen. Mittlerweile steht die Couch anders, der Fernseher auch und zwei Wände sind teilweise rot gestrichen worden (sinnigerweise von einem Insassen, der die endlose Diskussion nicht weiter ertragen konnte und sich bereit erklärte zu streichen, nur damit das Thema endlich erledigt sei).

Auf diesem "Niveau" bewegen sich die "Verbesserungen" im Stationsalltag.

Das Bezugsbeamten-System wird von einigen wenigen Insassen sehr intensiv an- und wahrgenommen, sie sitzen über lange Zeit im Büro und berichten in aller Ausführlichkeit über ihre Befindlichkeiten oder lamentieren über Mitverwahrte. Andere Insassen wiederum lehnen es ab, sich an diesem System zu beteiligen.

Die Stationsversammlungen
Die wöchentlichen Stationsversammlungen verlaufen in der Regel wenig turbulent. Die Therapeutinnen und Therapeuten, wie auch das übrige Personal, berichten wie es ihnen gehe und versuchen, die Insassen auf diese Weise zu animieren, sich ebenfalls "der Gruppe zu öffnen", was freilich nur in selten Fällen gelingt.

Denn in einer Zwangsgemeinschaft wie der der SV, mit all den sehr spezifischen Persönlichkeiten, überlegen es sich die Betroffenen recht genau, wem und wann sie etwas von sich offenbaren wollen. Ganz abgesehen vom Problem des Datenschutzes: der Staat, hier in Gestalt des Personals, erhebt besonders schützenswerte Daten über die inneren Befindlichkeiten von Untergebrachten. Von diesen zu verlangen, dies in Gegenwart anderer Insassen zu tun, erscheint zumindest fragwürdig.

Meist geht es in den Stationssitzungen um Probleme mit der Gefängnisbürokratie, und gelegentlich um Konflikte zwischen einzelnen Insassen, oder -wie erwähnt- es wurde über acht Monate lang diskutiert ob, und wenn ja in welcher Farbe der Freizeitraum neu gestrichen werde solle.

Sondercharakter der "Station 2"
Völlig verschwunden ist der Sondercharakter der "Station 2", über den ich schon 2013 und auch danach mehrfach berichtet hatte, im übrigen nicht. Denn dort wurde auf einem Teil des Flurs, vor kurzem eine Isolations-Abteilung eingerichtet, für Sicherungsverwahrte, die man in strenge Einzelhaft sperrt. Nur wenige Wochen nach Errichtung der lsolier-Abteilung wurde dort der erste Insasse, Herr D., untergebracht. Weshalb? Weil er bei einer Ausführung mit Beamten, unter Begleitung der Cheftherapeutin, Frau Dr. S. versucht haben soll, ein Handy in die Anstalt einzuschmuggeln. Rund um die Uhr ist er nun isoliert. Man kann allerdings am Fenster mit ihm sprechen. In anderen Anstalten gibt es auch Handy-Funde, aber dort belässt man es vielfach bei Disziplinarmaßnahmen und steckt Betreffende nicht sogleich über lange Zeit in Einzelhaft. Die Absonderung von Herrn D. von der Gemeinschaft, trifft bei nicht wenigen Mitverwahrten auf Empörung.

Die Isolierung der Stationen
Nicht wesentlich geändert hat sich die Isolierung der einzelnen Stationen untereinander: die vier Stationen der Freiburger Sicherungsverwahranstalt sind hermetisch voneinander getrennt. Insassen die sich aus dem vorangegangenen Strafvollzug, mitunter schon seit Jahrzehnten kennen, können sich nicht, mal eben spontan besuchen, Kaffee miteinander trinken und reden. Die Justizvollzugsanstalt praktiziert weitestgehend die international geächtete Form der Kleingruppen-Isolation. Lediglich für wenige Stunden am Tag, und auch nur nach vorheriger Anmeldung, und auch nur dann, wenn man an der monatlichen "Pflichtsitzung" der Station teilnimmt, und wenn man nicht mit Sicherungsmaßnahmen belegt ist, darf man jemanden auf einer der anderen Stationen besuchen gehen. Die Uhrzeiten sind exakt festgelegt.
Diverse Insassen lassen sich -auch deshalb- schon früh in ihren Zellen wegschließen.

Während die Gefängniszellen bis 22 Uhr geöffnet wären, gibt es manche die sich schon morgens um 9 Uhr wieder einschließen lassen. Denn wohin sollen sie gehen? Den Flur immerzu auf und ab, das wird eintönig. In den kleinen, von hohen Mauern umgebenen Gefängnishof dürfen sie nur zu festgesetzten Zeiten. Und Mitinsassen auf anderen Stationen besuchen, das geht auch erst spätnachmittags oder abends. An Wochenenden nimmt der Charakter des Verwahrvollzuges zudem noch an Intensität zu, dann sind nur 3 ½ Stunden Hofgang, bzw. "Besuch" auf einer anderen Station möglich. Die übrige Zeit verbringt man unter den Bedingungen der Kleingruppen-Isolation, so dass nicht wenige es vorziehen, sich in ihren Zellen wegschließen zu lassen.

Ausblick
Immerhin gibt es seit einigen Monaten in den Freizeiträumen jeweils einen PC und seit Ende 2016 sogar einen Drucker (freilich keinen Zugang zum Internet). Mittlerweile machen Gerüchte die Runde, die Justizvollzugsanstalt plane eine bauliche Vergrößerung, bzw. Erhöhung der Zahl der Hafträume, denn man muss kein Mathematiker sein um - berechnen zu können, dass die Einrichtung bald aus allen Nähten platzen wird: weder werden Verwahrte in größerer Zahl frei gelassen, noch sterben genügend, um ausreichend Platz für die Neuzugänge in den kommenden Jahren zu schaffen.

An dem Verwahrcharakter hat sich aus Sicht vieler Insassen nichts geändert. Die Menschen hier werden durchweg pathologisiert (etwas was auch ein kriminologischer Sachverständiger bemängelte: er riet in dem Gutachten eines Langzeitverwahrten dazu, nicht permanent dessen Verhalten zu pathologisieren und so "artifizielle Behandlungsfelder" zu schaffen) und als gefährliche Individuen stigmatisiert. Forschungsergebnisse die belegen, wie sehr die "Gefährlichkeit" überschätzt wird, werden augenscheinlich ignoriert.

Und so werde ich auch weiterhin mehr über das menschliche Elend, sowie das Sterben in der Sicherungsverwahrung berichten, als über Zeichen der Hoffnung und Zuversicht.

Thomas Meyer-Falk, z.Zt. JVA (SV)
Hermann-Herder-Str.8
D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

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