Dienstag, 31. Januar 2017

Von mir. Zu Euch. Für uns. (Klaus Nilius)

 
»Finsternis kommt reichlich nachgeflossen;
aber du mit – such sie dir! – Genossen!
teilst das Dunkel, und es teilt sich die Gefahr,
leicht und jäh ---
Bleib erschütterbar!
Bleib erschütterbar – und widersteh.«

Wenn Peter Rühmkorf sein Gedicht »Bleib erschütterbar und widersteh« vortrug, aus dem diese Zeilen stammen, in seinem schamanenhaften Singsang, wenn die Jazzmusiker Michael Naura (Piano) und Wolfgang Schlüter (Vibraphon) dazu Nauras »Choral Nr.1« intonierten, dann war es manchmal, als hielten »die Götter die Waage eine zögernde Stunde an« (Gottfried Benn, »Astern«). Dann schien die Zeit stillzustehen, und die Zuhörer lauschten atemlos.

Peter Rühmkorf starb vor acht Jahren mit 78. Anlass für seinen Verlag, den im März 2000 als Band 1 der Werkausgabe erschienenen »Gedichten« im vergangenen Herbst erstmals »Sämtliche Gedichte« folgen zu lassen, erneut herausgegeben von dem Literaturwissenschaftler und Leiter der Arno Schmidt Stiftung, Bernd Rauschenbach. »All Inclusive« also, aber leider ohne die Anmerkungen der Werkausgabe, die noch mit Zutun Rühmkorfs entstanden waren. Vielleicht wurden die Mühen und Kosten ihrer Ergänzung gescheut?

Dieser Band bringt, wie es in der editorischen Nachbemerkung heißt, »sämtliche zu Lebzeiten Rühmkorfs veröffentlichten Gedichte, was deckungsgleich sein dürfte mit der Summe der von ihm geschriebenen Gedichte«, in annähernd chronologischer Reihenfolge von circa 1955 bis 2008, ergänzt um eine Auswahl von Gedichten, die davor in Selbstverlagen publiziert worden waren, »Fingerübungen« auf »der Suche nach dem eigenen Ton« (Rauschenbach).

Und so können wir, die Leser, die Genießer, durch die Rühmkorfschen Jahre ziehen, gemeinsam mit ihm, »wildernd im Ungewissen, im Abflussrohr der Zeit«, beginnend im Jahr 1956 mit der ersten Buchveröffentlichung, »Heiße Lyrik« betitelt, bis zum »Paradiesvogelschiß«, dem letzten Gedichtband, 2008 kurz vor dem Tod des Lyrikers erschienen.

Auf unserer Zeitreise begegnen wir »Phönix voran!« (»Was dann nachher so schön fliegt … / wie lange ist darauf rumgebrütet worden«), hören »Auf einen alten Klang« (»Liebchen kam geschritten, / Nabel in der Mitten, / Näschen in die Höh«), stolpern über den Dichter, der »Jetzt mitten im Klaren« liegt (»Ich nehm die Dickere, du nimm die Dünnere, / die Welt / läßt wieder mal hoffen; / woran, an welche Stunde ich mich erinnere, / ich war immer besoffen«), lauschen der »Variation auf ›Abendlied‹ von Matthias Claudius« (»Der Mond ist aufgegangen. / Ich zwischen Hoff- und Hangen, / rühr an den Himmel nicht.« Denn: »Ich habe gute Weile, / der Platz auf meinem Seile / wird immer uneinnehmbar sein«). Und wir begleiten ihn auf einem langen Marsch: »Mit unseren geretteten Hälsen, / Immer noch nicht gelyncht, / Ziehn wir von Babel nach Belsen, / Krank und karbolgetüncht.« Und schließlich bilanziert er, in »So müde, matt, kapude«: »Da ziehen die Sprücheklopfer / zu Felde wie gewohnt, / da sagen die Täter, die Opfer / hätten sich doch gelohnt.«

Peter Rühmkorf schrieb neben den Gedichten (»Richtig, ich red von mir / zu euch, / für uns«) auch literaturwissenschaftliche und politische Essays, »aufgeklärte Märchen« (»Der Hüter des Misthaufens«), Dramen (»Was heisst hier Volsinii? – Bewegte Szenen aus dem klassischen Wirtschaftsleben«). Und natürlich seine »Tagebücher«, »Tabu« genannt. Und er betätigte sich publizistisch, zum Beispiel jahrelang in konkret.

Aber in Erinnerung bleiben wird der große schlaksige Mann mit dem freundlichen Lächeln vor allem durch seine Gedichte: als freche Spottdrossel, als hintersinniger Sprachartist und kecker Silbenjongleur, mal als Nachfahre, nicht Epigone, von Eichendorff und Heine daher kommend, mal von Rilke, Benn und Brecht – viele Seelen wohnten in seiner Brust, oder, wie er es einmal formulierte: »In meinen Kopf passen viele Widersprüche.«

Was fehlt noch? Richtig, sein »Grabspruch« aus dem »Paradiesvogelschiß«, geschrieben, als Freund Hein schon an die Tür klopfte:
»Schaut nicht so bedeppert in diese Grube.
Nur immer rein in die gute Stube.
Paar Schaufeln Erde und wir haben
ein Jammertal hinter uns zugegraben.«

Peter Rühmkorf: »Sämtliche Gedichte«, Rowohlt Verlag, 622 Seiten, 39,95 €

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