Dienstag, 31. Januar 2017

„Über die jüngsten Massaker in den Gefängnissen“

    
Wir dokumentieren eine inoffizielle Übersetzung eines Textes des brasilianischen Revolutionärs Igor Mendes über die kürzlichen Massaker in den Gefängnissen des Landes. Mendes saß selber für haltlose Anschuldigungen einige Monate im Knast in Brasilien. In dieser Zeit eintfaltete sich damals eine starke und breite Solidaritätskampagne.

Der Anísio Jobim Penitentiary Complex, in Manaus, beherbergte zum Zeitpunkt des Blutbads 1.224 Menschen gegenüber 454 Plätzen. Dies, alleine genommen, offenbart, dass der Hintergrund dieser Geschehnisse viel mehr ist, als bloß das Begleichen von Rechnungen zwischen Fraktionen. In der Tat die bloße Existenz dieser relativ unorganisierten Gangs innerhalb der Gefängnisse muss als eine Konsequenz des vollständigen Zusammenbruchs gesehen werden, der das brasilianische Gefängnissystem charakterisiert.
In den Gefängnissen ist die grausame, unmenschliche und entwürdigende Behandlung der Insassen der Standard, mit sehr wenigen Ausnahmen. Zu sagen, dass solche Geschehnisse als „Unfall“ behandelt werden, wie es der Geschäftsführer Temer tat, ist, zusätzlich zu reaktionär, eine scheußliche Dummheit.

Das Strafsystem ist der Abfluss einer langen Kette von ökonomisch-sozialen Krankheiten, allen mehr oder weniger bekannt. Von dem Moment an, an dem eine Person in das System fällt (und die große Mehrheit gerät hinein, ohne gewaltsame Verbrechen begangen zu haben) verschärft sich der Teufelskreis: von da an wird sie noch unwahrscheinlicher eine Arbeit bekommen und, auf legalem Weg, lebenswürdige Bedingungen erlangen. Die Gefangenen haben sogar ein Sprichwort darüber: „Knast ist wie ein Magnet, er zieht mehr Knast an“, sagen sie.

Die breiteren sozialen Faktoren ausklammernd gibt es keinen Zweifel, dass Überbelegung der Kern all der anderen fatalen Rechtsverletzungen ist, die das Strafsystem charakterisieren. In 1990 hatte Brasilien 90.000 Gefangene, heutzutage gesprungen auf 700.000 (viertgrößte Gefängnisbelegung auf der Welt). Dem Justizministerium zufolge gibt es ein Minus von 250.000 Plätzen in den Gefängnissen. In der gleichen Periode ist die Zahl der Tötungsdelikte um 127% gestiegen und der Drogenkonsum in die Höhe geschossen. Dies beweist, dass die Masseneinkerkerungen nur Sinn als eine Aufstandsbekämpfungspolitik machen und das ist worauf die herrschenden Klassen zielen. Als eine Maßnahme der öffentlichen Sicherheit ist es, bewiesenermaßen, etwas völlig unnützes.

Nichtsdestoweniger, den neusten Ereignissen folgend, wurde der Ansatz der Bundes„regierung“ fokussiert auf die Freigabe neuer Mittel für den Bau neuer Strafanstalten, so wie auf den „rigorosen“ Kampf gegen Drogenhandel an den Grenzen. Nur vage war die Reduzierung der Einkerkerungen.
Tatsächlich, wovon wir Zeugen wurden in den letzten Monaten, ist eine Eskalation der Maßnahmen, die, einmal durchgeführt, die Überbevölkerung der Gefängnisse noch verschlimmern werden. Wie bekannt ist entschied kürzlich die Plenarsitzung des STF [Oberstes Bundesgericht Brasiliens; Anm. des Übers.] – auseinanderreißend was die Verfassung explizit besagt – dass der Strafvollzug mit der Verurteilung in der zweiten Instanz beginnen muss; das Ministério Público Federal strebt danach neben anderen Ungesetzlichkeiten, im Rahmen der sogenannten „10 Maßnahmen gegen Korruption“, das Kriterium für Habeas Corpus1 zu beschränken.

Es gibt andere Fragen die sich durch diese Blutbäder stellen, so wie die Privatisierung der Gefängnisse, von vielen als das Heilmittel für alle Krankheiten angepriesen. In Manaus, wo ein Unternehmen mit dem Namen Umanizzare die Gefängnisse verwaltet kostet eine Gefangener doppelt so viel wie der nationale Durchschnitt, abgesehen von der Tatsache, dass die Entwürdigung mindestens genau so stark ist, wie in jedem anderen Teil des Landes. Sie machen es auch möglich über organisierte Kriminalität zu diskutieren: Nun ist das Gefängnis ein Gebiet der Gesetzlosigkeit par excellence, angefangen mit den Mafias in der Verwaltung der Strafanstalt, die den Drogengroßhandel verhandeln, Privilegien verkaufen, von der kostenlosen Arbeit der Gefangenen profitieren. Es ist anzumerken, dass während die Besucher der Insassen – überwiegend Frauen – in den Zeitungen für die Suche nach ein paar Gramm Drogen gedemütigt werden, großkalibrige Waffen in den Händen von Fraktionen landen, die dafür bezahlen können. Ohne die Teilnahme von staatlichen Beamten wird in den Gefängnissen nichts gemacht.

Im Angesicht der tiefen ökonomischen und sozialen Krise, die uns plagt können wir keine demokratisierenden Maßnahmen vom verrotteten brasilianischen Staat erwarten: das würde gegen seine eigene Logik verstoßen, unverhohlen feindlich gegenüber den Interessen des Volkes, rückschrittlich und zunehmend faschistisch. Was in den Strafanstalten passiert ist eine extreme Widerspiegelung des Prozesses der Entziehung von sozialen Rechten, was auch auf allen Ebenen außerhalb von ihnen passiert.

[1] HC ist in der Praxis bereits beschnitten, besonders für Gefangene, die nicht auf einen Anwalt zählen können und in den Schubladen der Justiz vergessen sind. Das ist bewiesen durch die Tatsache, dass etwa 40% der brasilianischen Gefangenen provisorische Gefangene sind. Siehe auch den Missbrauch durch Richter der ersten Instanz des vorbeugenden Gefängnisdekrets, basierend auf dem üblichen Argument von der „Erhaltung der öffentlichen Ordnung“ oder als Antwort auf „gesellschaftlichen Aufruhr“ (ein sehr gewöhnliches Argument, um kleine Händler hinter Gittern zu halten).

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