Donnerstag, 22. September 2016

Käthe Kollwitz in Russland (Hartmut Sommerschuh)


Wenn an Sommerabenden in Kaliningrad über hundert Mauersegler um den Hotelblock sausen, fragt man sich: Wo haben die ihre Quartiere? Alte Mauernischen und Häuser gibt es kaum noch.

Das einstige Königsberg ist verschwunden. Wohnblöcke, moderne Hochstraßen, gut gefüllte gläserne Supermärkte und schöne Parks entlang der einstigen Altstadt-Ufer prägen heute die Heimatstadt von Käthe Kollwitz. Liebevoll restauriert der Dom, die noch erhaltenen Stadttore. Hier wurde die spätere Grafikerin im Juli 1867 am Weidendamm Nummer 5 als drittes Kind des Maurermeisters Carl Schmidt geboren.

Nach zwei Angriffen britischer Verbände mit Brandbomben im August 1944 waren die schönen Speicher, Kirchen und Kanäle der nordöstlichsten deutschen Stadt rauchende Trümmer. Bis zum 9. April 1945 zerfielen sie ganz. Da erst ließ Stadtkommandant Otto Lasch den fanatischen Häuserkampf gegen die Soldaten der 3. Weißrussischen Front endlich abbrechen. Das 700 Jahre alte Königsberg existierte nicht mehr. Es war dies der Monat, als Käthe Kollwitz weitab in Moritzburg bei Dresden einsam starb. Im Obdach des ihre Kunst liebenden, aber längst geflohenen Ernst Heinrich von Sachsen. Jüngster Sohn des letzten sächsischen Königs Friedrich August III. Der sächsische König hatte 1918 unblutig abgedankt, nicht wie Wilhelm in Arbeiter- und Soldatenräte schießen lassen, die nach russischem Vorbild demonstrierten.

Russland – ein denkwürdiger Ringschluss am Lebensende der Kollwitz.

Vom Fall ihres geliebten Königsberg hat sie wohl noch erfahren, dass es nach Alliiertenbeschluss mit dem nördlichen Ostpreußen sowjetisch wird, wohl nicht mehr. Die Stadt Immanuel Kants, ein Zentrum der Philosophie und Wissenschaft aber auch der knechtenden preußischen Junker und ein Nazi-Bollwerk gegen Litauer, Polen, Russen und Juden. Sie sollte nicht länger deutsch sein. Auch nicht in mittelalterlicher Kontur wieder entstehen.

Hier verbrachte Käthe Kollwitz ihre Jugend, beobachtete die Mühsal der Hafenarbeiter beim Ziegelabladen, verinnerlichte den linksliberalen Freigeist von Großvater Julius Rupp und das sozialdemokratische Engagement ihres Vaters Carl. Der ihr auch den ersten Zeichenunterricht organisierte. Der väterliche Bücherschrank stand ihr offen: »von Jugend an liebe ich Russland, mit welchem mich Dostojewski, Tolstoi und Gorki bekanntmachten«, schrieb sie 1928 an Gorki. Eine geplante Russlandreise zerschlug der Erste Weltkrieg. 1917, nach der Oktoberrevolution, schrieb sie in ihr Tagebuch, von Russland sei »etwas Neues in die Welt gekommen, was mir entschieden vom Guten zu sein scheint«. Als 1921 nach einer großen Hungersnot an der Wolga und Lenins Hilferuf die entstehende Internationale Arbeiterhilfe Unterstützung brauchte, schuf sie das Plakat »Helft Russland«. Willi Münzenbergs Organisation entwickelte sich zu einem einzigartigen deutsch-russischen Kulturnetzwerk. 1923 liefen in Berlin erste russische Filme wie »Hunger in Russland« und aus dem anspruchsvollen Produktionsstudio von RUSSFILM »Polikuschka«. Eine meisterliche Tolstoi-Verfilmung. 1924 wurde Käthe Kollwitz eingeladen, für die »Erste allgemeine deutschen Ausstellung« in Moskau Bilder zu schicken. Drei Jahre später, zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution fuhr sie sogar selbst hin. Man zeigte ihre erste Personalausstellung 1928 auch in Petersburg und Kasan. Kein anderer Repräsentant deutscher Kunst wurde in dieser Zeit so verehrt, so der damalige sowjetische Katalog, wie diese »junge Sozialistin«. Sie selbst war sich in ihrer politischen Bestimmtheit unsicher. Nicht aber in ihren Eindrücken. »Russland berauschte mich«, so ein weiterer Tagebucheintrag.

Trotzdem wird noch immer darüber gestritten, wie politisch die Kollwitz mit ihrer Russlandliebe wirklich war, wie aufrührerisch ihre Grafiken. 2012 gelang es dem Käthe-Kollwitz-Museum Berlin in der Berliner Fasanenstraße, die Moskauer Kollwitz-Ausstellung von 1928 zu rekonstruieren. Es wurde auch ein Versuch, die Kompassnadel auf eher unpolitisch auszurichten. »Missverständnis im Osten« titelte anerkennend der Tagesspiegel. Die Ausstellung korrigiere einstige sowjetische »Vorurteile« über die Künstlerin. Ihre Arbeiten seien nicht als Aufruf zur proletarischen Revolution zu interpretieren, sondern als Anklage gegen menschliches Leid allgemein, wird Kuratorin Gudrun Fritsch zitiert: »Genau an dieser Stelle beginnt das Missverständnis in der Rezeption des Kollwitz’schen Werkes in der Sowjetunion, denn im Moskauer Katalog von 1928 wird der Weberaufstand‘ eindeutig so verstanden.« Zu fragen wäre hier gewesen: Wie anders hätte Kollwitz nach den Interventionskriegen, am Beginn der Industrialisierung, im Taumel des beginnenden ersten Fünfjahrplans eines bis dato elenden Bauerlandes auch verstanden werden sollen? Angesichts dieser wagehalsigen, in keiner anderen westlichen Nation gelaufenen Aufbruchsgeschichte.

Nun steht 2017 der 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz ins Haus. Und die neue Mannschaft des Berliner Museums unter Iris Berndt startet ein weiteres Russlandkapitel für die Kollwitz. Bereits Mitte September gibt es mit zehn begeisterten Partnern in Kaliningrad – Museen, Schulen, alternativen Cafés, dem Deutschen Sprachzentrum und der Staatlichen Kunstgalerie – über ein Dutzend Workshops und Gespräche zu Käthe Kollwitz. Das vom Auswärtigen Amt geförderte Vorhaben wird mit einer deutsch-russischen Publikation »Käthe Kollwitz in Königsberg. Eine Spurensuche in Kaliningrad« zum Ende des Jahres 2016 abgeschlossen. Weiter geplant sind noch Aufsteller in der Stadt Kaliningrad und im Kaliningrader Gebiet zu wichtigen Spuren von Käthe Kollwitz an ihren Jugendstationen. Dazu ab 8. Juli 2017, dem Geburtstag, eine schöne Kollwitz-Ausstellung in der Staatlichen Kunstgalerie Kaliningrad in Kooperation mit dem Käthe-Kollwitz-Museum Berlin.

Das ist dann auch wieder die Zeit der schnellen Mauersegler. Die keine Ländergrenzen kennen, aber Historisches brauchen zum Leben.

Aktuelles zum 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz unter www.kaethe-kollwitz.de.

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