Donnerstag, 22. September 2016

Hermann Kants Abspann (Horst Schäfer)


Die knarrige Stimme im Hamburger Akzent und in Kantscher Intonation war wieder auf dem Anrufbeantworter gelandet. »Hier is‘ der Herrrmann – wollt‘ nuuur mal quatschen über den Traaamp in JuEsÄh ... Meld‘ mich dann wieder.«

Das fast tägliche Telefongespräch war seit Jahren obligatorisch, besonders seit Hermann Kant nicht mehr lesen konnte. Als er dann im Frühjahr nach einem nächtlichen Sturz in seinem Haus in ein Heim für betreutes Wohnen umzog, vergrößerte sich sein Bedürfnis, Freunde anzurufen und sich auszutauschen.

Da ging es um den Vorwahlkampf in den USA und seine Sympathie für Bernie Sanders, um die Türkei und Merkel, um brennende Flüchtlingsheime und die Verschonung der Täter, um Wagenknecht und eine konsequentere linke Politik, es ging um Polen, Papst, »Terror«-Anschläge, den »selbst gezüchteten« Islamischen Staat, um Syrien, Putin, die Ukraine und selbstverständlich die NATO – aber auch um die Ankündigung, dass er sich nun zwei Tage nicht melden werde, weil sein Blut »aufgefüllt« wird. »Dat musst du dir wie beim Auto mit dem Ölstand vorstellen«, krächzte er seine Erläuterung.

Besonders interessant seine »besonderen Vorkommnisse«: »Kommt 'ne Schwester im Wartezimmer auf mich zu und sagt freudig: ›Ach, der Herr Biermann – Wie kommen Sie denn hier her?‹ Ich war ganz schön perplex, kannste dir ja denken ...« Oder: Ein Taxifahrer, dem sein Name bekannt vorkam, der aber nicht wusste, wo er Kant hinstecken sollte, fragte: »Haben Sie nicht ›Neuland unterm Pflug‹ geschrieben?« – »Hab‘ ich mich aber gefreut – 'ne richtige Ehrung war das! Hatte auch immer neues Land unter meinem Pflug ...«

Öffentliche Ehrung ist dem großartigen Menschen und Geschichtenerzähler in den vergangenen 26 Jahren selten widerfahren. Darum genoss er den stürmischen Beifall im Juni bei der Festveranstaltung zu seinem 90. Geburtstag (siehe auch »Utopie nie aufgegeben« Ossietzky 12/2016) im ausverkauften Landestheater Neustrelitz und revanchierte sich mit dem Geständnis: »Wenn ich gewusst hätte, wie schön es bei Euch ist, wäre ich schon eher 90 geworden.«

Selbst die Nachricht von seinem Tod garnierte die ARD noch mit der Unverschämtheit, dass »niemand an der Wahrheit so vorbeiformulieren (konnte) wie Hermann Kant« – ausgerechnet die »Tagesschau«! Nach Einverleibung der DDR bewarf ihn die Mehrzahl der Medien bei jeder Gelegenheit – mal offen, mal versteckt – mit Dreck, offensichtlich, weil sich dieser Schriftsteller nicht einverleiben ließ. (Siehe Harald Kretzschmar in diesem Heft.)

In einem Gespräch mit Günter Gaus 1997 konterte Hermann Kant die Hetze. »Dass man einem Regime als Vorzeigepoet diente, ja, das hat mich nicht gestört. Ich fand dieses Regime in Ordnung. Mit all seinen Lücken und Fehlern war es in Ordnung.« Es sei ihm um »die einfache Formel ›Wer – Wen‹« gegangen, um den Versuch, »aus deutscher Geschichte auszubrechen, es einmal anders zu versuchen. Dieser Versuch war ... aller Ehren wert.« Besonders wichtig seien ihm Antifaschismus und »Antiantisemitismus« gewesen, und es habe ihn entsetzt, »als man später hierzulande mit diesem ›verordneten Antifaschismus‹ daherkam« (siehe »Der verordnete Atem« in Ossietzky 12/2016). Stolz sei er, so Kant, »mich durchgehalten zu haben in ziemlich grundsätzlichen Dingen«.

»Und dabei hätte ich schon so schön tot sein können«, beginnt Hermann Kants letzte Geschichte »Ein strenges Spiel« (2015), und sie hat auch ein ungewöhnliches Vorwort. Er gebe nun »lauthals bekannt: Ich gehe. Nicht aus dem Leben, ... aber aus der Schreiberei ... Meinen Freunden sage ich Dank, meinen Feinden auch. Ohne diese wüsste ich gar nicht genau, was ich an jenen hatte. Beide finden mich bei Bedarf noch lange, wie ich denke, in jeder gut sortierten Bibliothek.«

Helmut Sakowski, verstorbener Schriftstellerkollege und guter Freund von Kant, lässt einen seiner Haupthelden im Daniel Druskat sagen: »Was wäre das Leben ohne den Tod? Es verlöre seine Einmaligkeit, seine Kostbarkeit ... Der Tod hat einen Sinn, wenn das Leben einen Sinn hatte.«

Tschüss, Hermann Kant. Dein Leben hatte wahrlich Sinn. Und du warst uns über viele Jahrzehnte ein wunderbarer und wichtiger Begleiter. Ja, wir wissen, wo wir dich finden. Du aber fehlst.

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