Freitag, 26. August 2016

Billiglöhner bis zur Rente

Das vom Europäischen Sozialfonds geförderte Programm »Gesellschaftliche Teilhabe – Jobperspektive 58 plus« schönt zwar die Arbeitslosenstatistik. Den Geldbeutel der Teilnehmer füllt es perspektivisch eher nicht.


billliglöhner

Zu viele Langzeiterwerbslose: Sachsen-Anhalts Kommunen starten Beschäftigungsprogramm für über 58jährige

Von Susan Bonath

Aus: Junge Welt vom 14.07.2016

Nach jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat Sachsen-Anhalt den höchsten Anteil an Langzeiterwerbslosen. Fast 55 Prozent der rund 190.000 »erwerbsfähigen« Hartz-IV-Berechtigten haben dort seit mehr als vier Jahren keine existenzsichernde Arbeit. Zu den »Vermittlungshemmnissen« zählen die Jobcenter nicht nur Kinder und Krankheiten, sondern auch das Alter. Das will die Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen ändern – mit 1.100 Billigjobs für über 58jährige. Die meisten sind im Juli angelaufen.
Das vom Europäischen Sozialfonds geförderte Programm »Gesellschaftliche Teilhabe – Jobperspektive 58 plus« schönt zwar die Arbeitslosenstatistik. Den Geldbeutel der Teilnehmer füllt es perspektivisch eher nicht. So erhalten die beteiligten Unternehmen pro Beschäftigtem einem monatlichen Förderbetrag von maximal 910 Euro, wie Ute Albersmann, Sprecherin des SPD-geführten Landesministeriums für Arbeit, Soziales und Integration, auf jW-Nachfrage erläuterte.
Laut Ausschreibung sind in der Fördersumme sowohl das Gehalt als auch der Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung enthalten. So kommen die Beschäftigten auf einen monatlichen Bruttolohn von bis zu 750 Euro. Dafür müssen sie für ein bis drei Jahre »mindestens 20 Stunden wöchentlich« arbeiten. Es sei »die Mehrheit der Beschäftigungsplätze auf der Grundlage des Mindestlohns geplant«, informierte Albersmann. Ausnahmen seien Unternehmen, die »abweichenden tariflichen Bestimmungen« unterliegen.
Mit dem Programm habe das Land Sachsen-Anhalt für die Förderperiode 2014 bis 2020 eigene arbeitsmarktpolitische Vorhaben in den Vordergrund gestellt, führte die Ministeriumssprecherin weiter aus. Verantwortlich sind die Kommunen, also Landkreise und kreisfreie Städte. Dafür wurden dort »Regionale Arbeitskreise« (RAK) eingerichtet. »Mit Stand Ende Juni wurden durch die RAK 252 Projekte mit 827 Beschäftigungsplätzen ausgewählt; der überwiegende Teil hat am 1. Juli begonnen«, erklärte Albersmann.
Bewerben konnten sich der Ausschreibung zufolge alle »Unternehmen, die Beschäftigungsplätze für Ältere bereitstellen«. So wie bei den Ein-Euro-Jobs oder den früheren Maßnahmen im inzwischen ausgelaufenen, ähnlich schlecht bezahlten »Projekt Bürgerarbeit« sollen die Stellen den »ersten Arbeitsmarkt nicht beeinträchtigen«. Albersmann erläuterte: »Die Voraussetzung ist, dass die auszuführenden Arbeiten den Kriterien ›Zusätzlichkeit‹, ›öffentliches Interesse‹ und ›Wettbewerbsneutralität‹ entsprechen.«
So greifen meist gemeinnützige Träger auf die günstige Arbeitskraft der älteren Hartz-IV-Bezieher zurück. In Halle (Saale) sind das Sportvereine, Beratungsstellen, Begegnungsstätten und der städtische »Eigenbetrieb für Arbeitsförderung« (EfA). Letzterer verfolgt nach eigenen Angaben den Zweck, »Sozialleistungsempfänger durch Arbeit zu integrieren«. Er halte Personal vor und stelle Arbeitskräfte bereit. Außerdem koordiniere und organisiere er Beschäftigungsmaßnahmen. Demnach managt der Betrieb Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwands­entschädigung (Ein-Euro-Jobs) und andere Maßnahmen, zu denen zum Beispiel Jobcenter ihre Klienten verpflichten können.
Auch in Dessau-Roßlau jobben seit dem 1. Juli insgesamt 17 über 58jährige, wie die Mitteldeutsche Zeitung am Montag berichtete. Einige archivieren danach Dokumente im Technikmuseum, betreuen bei der Arbeiterwohlfahrt »sozial Bedürftige«, arbeiten für die Jüdische Gemeinde und die Moses-Mendelssohn-Gesellschaft, für den »Offenen Kanal Dessau« und in einer Ölmühle. Weitere 31 Ältere sollen ihren Dienst zum Ende dieser Woche oder zum 1. August antreten, unter anderem im Diakonischen Werk, in der Bahnhofsmission, der Lebenshilfe, beim Stadtsportbund und einem Landschaftspflegeverein.
Warum ausgerechnet jene, die kurz vor der Rente stehen, Beschäftigungsprogramme absolvieren sollen, schreibt die Stadt Magdeburg in ihrem auf ihrer Internetseite veröffentlichten »Aufruf zum Wettbewerb«. Über 58jährige verfügten einerseits über »einen umfangreichen beruflichen Erfahrungsschatz«, andererseits »stellen sie die Unternehmen vor besondere Rahmenbedingungen«, da »Anforderungen und Belastungen der Arbeitswelt« zunähmen. Darum bräuchten Betroffene »erheblichen Unterstützungsbedarf, um wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden zu können«. Um »soziale Isolation zu vermindern«, biete man den Älteren »niederschwellige Tätigkeiten in den Beschäftigungsbereichen Vereins- und Betreuungsarbeit, Verkehrserziehung, Naturschutz, Wege- und Landschaftspflege, Sport und Kultur«.

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