Samstag, 18. Juni 2016

Tag der Bundeswehr: Interview mit einer Aktivistin

 

IMI-Standpunkt 2016/023




IMI-Redaktion: Du fährst am Samstag den 11. Juni 2016 zu den Protesten beim so genannten Tag der Bundeswehr? Was ist denn das für ein Tag?
Aktivistin Jacqueline Andres (JA): Der Tag der Bundeswehr findet dieses Jahr zum zweiten Mal statt. Er dient dazu, einen Anlass zu geben, an je einem Standort pro Bundesland die Bundeswehr zu zelebrieren, diese näher an die Gesellschaft heran zu rücken und sie als aktive Arbeitgeberin zu präsentieren. Letzten Endes soll es darum gehen, das Rekruten-Loch zu stopfen. Dazu geht die Bundeswehr einerseits in die Städte rein, wie in Erfurt oder Bonn oder öffnet die Kasernentore. Sie präsentiert sich dort mit ihrem Kriegsgerät, was zum Einsatz kommt, und versucht mit Technik zu begeistern.
Warum protestierst du dort?
Ich fahre dahin, um zu zeigen, dass es keinen Anlass gibt, die Bundeswehr zu zelebrieren, dass es nicht tolerieren werden kann, dass die Bundeswehr als ein technisches Hilfswerk oder ein Sanitätsunternehmen in Tarnfleck dargestellt wird, sondern dass betont werden muss, dass die Bundeswehr für Kampfeinsätze und den Krieg trainiert und das gerade in Zeiten wie diesen, wo die Bundeswehr aktiv in Afghanistan, in Syrien und jetzt auch in Mali eingebunden ist. Es muss ein klares Zeichen von der Gesellschaft kommen, dass wir gegen Krieg und Militarismus sind.
Du fährst ja nach Stetten am kalten Markt, wo der Tag der Bundeswehr in Baden-Württemberg stattfinden wird, was ist das für ein Ort?
JA: Das ist ein Ort, der sehr stark geprägt ist durch die Bundeswehr. Er ist überhaupt erst von einem landwirtschaftlich geprägten Dorf durch die Stationierung von Militär zu einer Garnisonsstadt erwachsen. Bis heute prägt die Stationierung vom Militär die lokale Politik, die Wirtschaft und selbst das kulturelle Leben der Stadt. Auf nur 5.000 Einwohner_innen werden im Lauf des Jahres 2016 2.900 Soldat_innen kommen; am Standort selbst sind rund 550 zivile Mitarbeiter_innen aktiv.Bereits auf der Homepage der Stadt Stetten wird eindeutig darauf hingewiesen, dass die von der Stadt hervorgehobene Akzeptanz der Bevölkerung für die Bundeswehr als wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sei. Für die Stadt Stetten ist die Bundeswehr „integriert und akzeptiert“.
Kannst du ein Beispiels für diese Verflechtungen geben?
JA: Ja, zum Beispiel ein politisches: der Bürgermeister und der Standort-Älteste treten einerseits sowohl gemeinsam zum politischen Neujahrsempfang auf, anderseits auch bei militärischen Ereignissen wie Gelöbnissen. Bei der kulturellen Verstrickung ist z.B. die seit den 1960ziger Jahren bestehende Patenschaft der Fastnachtsnarrenvereinigung Bockzunft und dem 294. Panzergrenadierbataillon zu nennen. Der Karnevalsverein hat dem Bataillon den goldenen „Bockorden“ verliehen und im Gegenzug hat das Bataillon viele aus diesem Narrenverein zu „Ehrenunteroffizieren“ ernannt. Ein anderes Beispiel ist, dass die Kinder kein eigenes Schwimmbad in Stetten haben, sondern von klein auf in die Kaserne zum Schwimmen oder auch einige Vereine in die dortige Sporthalle gehen müssen. Die Kaserne ist Teil des dortigen Kindheitsalltags.
Das klingt alles sehr banal, wo siehst du da das größere Problem?
JA: Das Problem besteht einerseits darin, dass sich die Bundeswehr dort als „gute Mitbürger_innen“ in Uniform darstellt, bei dem sie vermittelt durch die Patenschaften „freiwillig“ mit anpackt, Blut spendet, usw., aber dabei verdeckt, was eigentlich der Beruf der Soldat_innen ist: nicht gute Nachbarschaftshilfe, sondern weltweit Deutschlands wirtschaftliche und politische Interessen militärisch durchzusetzen.
Anderseits schafft man ein Umfeld, in dem die Stadt eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit zur Bundeswehr aufbaut, sie als alltäglichen Akteur in das Stadtbild einfügt und damit Kritik an der militarisierten Außenpolitik und der Bundeswehr erschwert. Diese Kritik würde nämlich voraussetzten, dass die Stettener_innen sich eingestehen, dass sie selbst von dem Krieg leben und ihn ein Stück weit erst ermöglichen.
Wie erwartest die Reaktion der Stettener_innen und der Besucher_innen des Tages der Bundeswehr auf deinen, eure Proteste?
JA: Ich denke der Großteil wird den Protesten eher verständnislos und ablehnend gegenüberstehen. Aber ich nehme auch an, dass ein kleiner Teil an Personen sich freuen wird, dass in einer Stadt wie Stetten auch Antimilitarist_innen kommen und einen reibungslosen Ablauf des Tages stören.
Was ich mir auch erwarte, ist, dass wir es schaffen, mit einigen Jugendlichen zu sprechen, die sonst in Stetten kaum ein kritisches Wort zur Bundeswehr hören und für die es vielleicht auch bereichernd sein kann, etwas anderes zum Militär hören zu können. Was ich mir auch erhoffe, ist das wir es schaffen, medienwirksam an allen Orten des Tages der Bundeswehr klar und deutlich Dissens zu zeigen, und es somit der Bundeswehr nicht ermöglichen, sich als akzeptiertes und integriertes Element der Gesellschaft darzustellen.

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