Samstag, 18. Juni 2016

Die Kriege der nächsten Jahre (IV)

Zur Begründung verwies von der Leyen auf die vermeintliche Aggression Russlands gegen die Ukraine, in deren Verlauf „Cyber-Angriffe“ zum „feste(n) Begleiter konventioneller Operationsführungen“ geworden seien.

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MÜNCHEN/BERLIN

german-foreign-policyvom   16.06.2016 – Die Universität der Bundeswehr München veranstaltet eine hochrangig besetzte Konferenz zur Kriegsführung im World Wide Web. Bei der vom Forschungszentrum “Cyber Operational Defence” (CODE) der Militärhochschule ausgerichteten Tagung sind außer dem Verteidigungsressort das Bundesinnenministerium, das Auswärtige Amt, das Landeskriminalamt Bayern sowie mehrere führende deutsche Rüstungskonzerne vertreten. Erst unlängst gab die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Aufstellung einer 13.500 Dienstposten umfassenden Teilstreitkraft “Cyber- und Informationsraum” bekannt, die analog zu Heer, Luftwaffe und Marine von einem eigenen Inspekteur geführt werden soll. Schon zuvor hatte die Truppe eine millionenschwere Werbekampagne gestartet, die der Ressortchefin zufolge darauf zielt, Computerspezialisten (“Nerds”) für den Kriegsdienst zu rekrutieren. Explizit geplant ist, die Bundeswehr zu Angriffen im virtuellen Raum zu befähigen – ein Vorhaben, das von der NATO zur Zeit massiv vorangetrieben wird. Diskutiert wird unter anderem, Einrichtungen der feindlichen Luftverteidigung durch Cyber-Attacken “auszuschalten”.

Rüstungswettlauf im World Wide Web

Wie die Universität der Bundeswehr München mitteilt, veranstaltet das an der Militärhochschule angesiedelte Forschungszentrum “Cyber Operational Defence” (CODE) eine Tagung über die Kriegsführung im World Wide Web. An der Konferenz, die am heutigen Donnerstag zu Ende geht, nehmen den Organisatoren zufolge “hochklassige Redner und prominente Gäste” teil. Unter ihnen finden sich Staatssekretäre des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amts ebenso wie der “Beauftragte Strategische Steuerung Rüstung” im Verteidigungsministerium, Gundbert Scherf, und ein für die Kriminalitätsbekämpfung im virtuellen Raum zuständiger Mitarbeiter des bayerischen Landeskriminalamtes. Hinzu kommen etliche leitende Mitarbeiter führender deutsch-europäischer Konzerne; vertreten sind etwa die Waffenschmiede Airbus Defence and Space und die Deutsche Telekom.[1] Die Teilnehmerliste entspricht dem “ganzheitlichen” Forschungsansatz des CODE, das nach eigenem Bekunden “Experten aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen” sowie “Fachleute aus Wirtschaft und staatlichen Einrichtungen” in seine Arbeiten zur Online-Kriegsführung “integriert”.[2] Erklärtes Ziel ist der Sieg im “Wettlauf zwischen den neuesten Angriffsmethoden und den entsprechenden Schutzmaßnahmen”.[3]

Vor dem ersten Schuss

Zu den Forschungsschwerpunkten des CODE auf dem Gebiet der Informationstechnik (IT) zählen einer Selbstdarstellung zufolge “neuartige Systeme und Architekturen zur Ein- und Ausbruchserkennung” bei digitalen Netzen, die “Analyse von Schwachstellen”, die Identifikation von Schad- und Spionagesoftware sowie die weltweite Lokalisierung von IP-Adressen. Zudem arbeite man an der Entwicklung “autonomer” Computersysteme, die in der Lage sind, sich selbst gegen Angriffe zu schützen (“Self-Protection”), und erstelle “Bedrohungsanalysen” für die Luft- und Raumfahrt, heißt es.[4] Laut der Leiterin des CODE, Gabi Dreo Rodosek, ist der Krieg im virtuellen Raum, der “Cyberwar”, der “Krieg der Zukunft”: “Bevor in einem Konflikt der erste Schuss fällt, werden Hacker versuchen, die Waffen- und Radarsysteme, die Kommunikationsmittel aber auch die Energieversorgung des Gegners lahm zu legen.”[5]

Teilstreitkraft Cyberraum

Rodoseks Auffassung entspricht der Haltung der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Erst Ende April kündigte die Ressortchefin per “Tagesbefehl” die Aufstellung einer 13.500 Dienstposten umfassenden Teilstreitkraft “Cyber- und Informationsraum” (CIR) an, die analog zu Heer, Luftwaffe und Marine von einem eigenen Inspekteur geführt werden soll (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Entsprechend hatte sich von der Leyen Mitte September vergangenen Jahres bei einem gemeinsam mit der Bundeswehruniversität München und dem Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (BITKOM) veranstalteten “Expertenworkshop” in Berlin geäußert. Sie werde einen neuen militärischen “Organisationsbereich” aufbauen und einem Kommando CIR unterstellen, um die bis dato innerhalb der Truppe “zersplitterten Zuständigkeiten” zu einer “einheitlichen IT-Architektur” zusammenzuführen, erklärte die Ministerin.[7]

Die gesamte Palette an Fähigkeiten

Zur Begründung verwies von der Leyen auf die vermeintliche Aggression Russlands gegen die Ukraine, in deren Verlauf “Cyber-Angriffe” zum “feste(n) Begleiter konventioneller Operationsführungen” geworden seien. Zudem biete der Krieg im virtuellen Raum aufständischen Gruppen “eine kostengünstige und effektive Möglichkeit, die Funktionsfähigkeit ganzer Gesellschaften und ihrer Streitkräfte anzugreifen”. Mit dem “Selbstschutz” der ihrer Ansicht nach “zunehmend digitalisierten Großorganisation Bundeswehr” wollte sich die Ministerin indes nicht begnügen: Da Angreifer durch Attacken im World Wide Web “gravierende Störungen und Zerstörungen” in den “anderen klassischen Dimensionen Land, Luft, See und Weltraum” verursachen könnten, benötige die Truppe nunmehr die “gesamte Palette an Fähigkeiten”, erklärte von der Leyen – schließlich kämen auch beim Krieg im “Luftraum” ebenso “Aufklärungsdrohnen” wie Kampfjets “parallel” zum Einsatz.[8]

Attacken auf die IT

Ganz ähnlich äußerte sich der von der deutschen Verteidigungsministerin eingesetzte “Aufbaustab Cyber- und Informationsraum” in seinem unlängst veröffentlichten “Abschlussbericht”. Darin heißt es, die Bundeswehr müsse “die gesamte Kette von Prävention zu Reaktion sowie von einfachen bis komplexen Angriffen … beherrschen”. Das World Wide Web wird folgerichtig als “Operationsraum” definiert, in dem die Truppe eine ganze Reihe von “Aufgaben” wahrnehmen soll. Diese reichen von der Absicherung des eigenen IT-Systems und anderer “kritischer” Infrastrukturen über die Erstellung eines politisch-militärischen “Lagebildes” und die Identifizierung feindlicher “Propaganda und Desinformation” bis hin zur Beeinflussung der “Meinungsbildung im Informationsumfeld der Interessengebiete der Bundeswehr und in mandatierten Einsätzen”. Explizit vorgesehen sind darüber hinaus “Maßnahmen des elektronischen Kampfes” und sogenannte Computer Netzwerk Operationen (CNO) [9] – gezielte Attacken auf IT-Einrichtungen des Gegners.

Der Bündnisfall

Cyberangriffe westlicher Streitkräfte waren auch ein zentrales Thema beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister am Dienstag dieser Woche in Brüssel. Presseberichten zufolge wurde unter anderem diskutiert, feindliche Raketen und Luftverteidigungssysteme auf elektronischem Wege “auszuschalten” und gegnerische Computernetze gezielt zu “zerstören”.[10] Gleichzeitig ließ NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wissen, dass eine Cyberattacke auf einen Mitgliedsstaat der Militärallianz den “Bündnisfall” auslösen könne.[11] Dies wäre gleichbedeutend mit massiven Gewaltmaßnahmen gegen den wirklichen oder vermeintlichen Urheber des Angriffs – nicht nur im virtuellen Raum.

Nerds in die Bundeswehr

Unterdessen wirbt die Bundeswehr mit Plakaten und Anzeigen in Online- und Printmedien massiv um Rekruten für ihre “Digitalen Kräfte”. Die millionenschwere Kampagne steht unter dem Motto “Deutschlands Freiheit wird auch im Cyberraum verteidigt”; mit Slogans wie “Gegen virtuellen Terror hilft kein Dislike-Button” und “Wie können wir Kriegstreiber im Netz deinstallieren?” wird die vermeintliche Notwendigkeit eines Krieges im virtuellen Raum suggeriert.[12] Erst am vergangenen Wochenende erklärte Verteidigungsministerin von der Leyen gegenüber der deutschen Presse, die Truppe zahle zwar schlechter als die Elektronik- und Softwareindustrie, biete IT-Spezialisten jedoch “hochinteressante Betätigungsfelder, zu denen sie sonst keinen Zugang hätten”: “Diese Aussicht entschädigt so manchen Nerd für entgangenes Geld.”[13]
[1] Jahrestagung des Forschungszentrums CODE am 15.6. und 16.6.2016. www.code.unibw-muenchen.de.
[2] Willkommen auf den Seiten des Forschungszentrums Cyber Defence. www.code.unibw-muenchen.de.
[3] Forschungsprojekt Cyber Defence. Pressemitteilung der Universität der Bundeswehr München 17.06.2011.
[4] Forschung am Forschungszentrum CODE. www.code.unibw-muenchen.de.
[5] Forschungsprojekt Cyber Defence. Pressemitteilung der Universität der Bundeswehr München 17.06.2011.
[6] Siehe dazu Die Kriege der nächsten Jahre (I).
[7], [8] Keynote der Verteidigungsministerin auf dem Kolloquium des Cyber-Workshop. www.bmvg.de 17.09.2015.
[9] Bundesministerium der Verteidigung: Abschlussbericht Aufbaustab Cyber- und Informationsraum. Empfehlungen zur Neuorganisation von Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Aufgaben im Cyber- und Informationsraum sowie ergänzende Maßnahmen zur Umsetzung der Strategischen Leitlinie Cyber-Verteidigung. Berlin, April 2016.
[10] NATO Recognizes Cyberspace as New Frontier in Defense. www.wsj.com 14.06.2016.
[11] NATO: Cyberspace wird Einsatzgebiet. www.heute.de 15.06.2016.
[12] Christian Stache: Zu den Waffen, Nerds. Junge Welt 07.04.2016.
[13] Die Sicherheitslage hat sich stark verändert. Interview mit Ursula von der Leyen. Welt am Sonntag 12.06.2016.

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