Mittwoch, 13. April 2016

Internationale Linksparteien diskutieren in Mexiko


Ein Bericht über das 20. Seminar "Die Parteien und eine neue Gesellschaft" in Mexiko-Stadt
Roswitha Yildiz [1], Mexiko-Stadt

Zum 20. Mal in Folge hat in Mexiko-Stadt das internationale Seminar "Los Partidos y una Nueva Sociedad" (Die Parteien und eine neue Gesellschaft) stattgefunden. Vom 10. bis 12.März konnten sich Delegierte aus fünf Kontinenten, 40 Ländern und 135 Organisationen zur aktuellen Entwicklung in Lateinamerika und der Karibik austauschen. Neben dem Forum von São Paulo ist dieses Treffen das wichtigste für linke und fortschrittliche Parteien, soziale Bewegungen und Einzelpersonen der Region, "ein großartiger Ort der Begegnung, der Reflektion , des Gedankenaustausches und der Diskussion", wie der legendäre Comandante der Kubanischen Revolution, Josè Ramòn Balaguer Cabrera, in der offiziellen Eröffnungsrede zum Seminar betonte.

Aus Deutschland haben Mitglieder der Partei Die Linke und der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) teilgenommen; beide gehören seit Jahren zu den Organisationen, die das Seminar einberufen. Die Europäische Linke (EL) war mit ihrer zweiten Vorsitzenden Maitè Mola sowie Mitgliedern der Arbeitsgruppe Lateinamerika vertreten. Syriza, die Partei des griechischen Präsidenten Alexis Tzipras und ebenfalls Mitglied der EL, war auf besondere Einladung der Organisatoren mit einer offiziellen Delegation in Mexiko.

Der enorme finanzielle und logistische Kraftakt wird von der mexikanischen Partei der Arbeit, der PT Mexiko, erbracht, die seit ihrer Gründung im Jahr 1990 enge Beziehungen zur Kommunistischen Partei Kubas unterhält und trotz ihrer eher marginalen Rolle im Parteienspektrum Mexikos diesen wichtigen Beitrag für die Integration der lateinamerikanischen Linken leistet. Deren Parteichef Alberto Anaya Gutièrrez machte in seiner Begrüßungsrede an die zirka 300 internationalen und 400 nationalen Gäste eine Analyse des Zustands der Linken weltweit, speziell aber der lateinamerikanischen Region, die, wie er ausführte "Schauplatz von Aufstieg und Niedergang progressiver und linker Kräfte" sei.

Gebot der Stunde sei es, dem "umgekehrten Dominoeffekt" Einhalt zu gebieten, zukünftige Staatsstreiche "neuen Typs" zu verhindern und die weiterhin vorhandenen linken und fortschrittlichen Regierungen zu stärken. Er erinnerte noch einmal an die Wahlerfolge linker und progressiver Kräfte, die nach dem Wahlsieg von Hugo Chávez in Venezuela 1998 dieses Bild eines "Dominoeffektes" vermittelten. Die Kräfteverhältnisse in der Region seien allerdings nicht mehr die selben, Imperialismus und Oligarchien bereiteten eine Gegenoffensive mit Staatstreichen "neuen Typs" vor, für die die ökonomische Destabilisierung in Form von Inflation und Unterversorgung charakteristisch sei. Beispiele seien Venezuela, Bolivien und Brasilien, auch Ecuador und andere Länder stünden auf der Agenda. Dieser Gegenoffensive müsse man mit strategischen Richtlinien entgegentreten, dem Aus-und Aufbau von "Volksmacht" (poder popular) in ihren unterschiedlichen Ausprägungen, einer Rückbesinnung auf das "Prinzip der Massenlinie" sowie der Entwicklung einer Art Sozialstaat, so Anaya.

Waren die Diskussionen in den Jahren des positiven Dominoeffektes geprägt von Euphorie und teilweise heftigen Auseinandersetzungen angesichts der neuen Aufgaben in Regierungsverantwortung, so war das Seminar 2016 überschattet von den Wahlergebnissen in Argentinien, Venezuela und Bolivien, vom offenen und brutalen Rückwärtsgang der Regierung von Mauricio Macri in Argentinien sowie der politischen Destabilisierung der Regierung von Dilma Rousseff in Brasilien. Allerdings wurde in den Redebeiträgen auch angemahnt, sich nicht die vom Imperialismus propagierte These vom "Ende einer Epoche" zu eigen zu machen.

Die Linke gehe zwar durch eine tiefe Krise, diese sei aber nicht unumkehrbar, wie Roberto Regalado, kubanischer Historiker und derzeit Berater am Institut Schafik Handal in El Salvador, anmahnte. Der Aufstieg der Linken sei das Ergebnis der Akkumulation von politischen und sozialen Kräften gewesen. Fehler der Linken und der schmutzige Krieg hätten dazu geführt, dass diese Kräfte sich gegen sich selbst wendeten. Der Imperialismus nutze dies, um fortschrittliche Regierungen zu zerschlagen, wie das Beispiel Argentinien zeige. Linke und progressive Regierungen und Kräfte müßten sich "einen Panzer bauen", um der Offensive des Imperialismus und der Oligarchie entgegenzutreten, so Regalado. Das bedeute Selbstanalyse und Selbstkritik , Identifizierung und Korrektur aller Fehler und Schwächen, die dem Krieg der Medien und den destabilisierenden Kampagnen Öl ins Feuer schütteten und den abstrafenden Voten der Wählerschaft und der eigenen sozialen Basis Vorschub leisteten.

Zur Selbstkritik gehöre auch das Eingeständnis, dass man die Verbindung zum Volk habe schleifen lassen und dass es Korruption in den Reihen der Linken gebe, so Alejandro Yánez aus der nationalen Leitung der PT Mexikos. Es sei notwendig, sich nicht nur auf linkes Gedankengut zu besinnen, sondern auch auf die damit verbundenen Gefühle. Das den Sozialismus prägende Prinzip der Solidarität sei dem Egoismus des Kapitalismus überlegen. Es gelte, die "Spiritualität des Sozialismus" zurückzuerobern, bendete er seinen Beitrag, mit dem er den Gästen den Kampf der PT um die seit den Regionalwahlen 2015 umstrittene Anerkennung ihres Parteienstatus geschildert hatte.

Angesichts der Krise scheine das Konzept des "poder popular", der Volksmacht, das neue Rezept zu sein, so Madardo Gonzales, Generalsekretär der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) aus El Salvador, die nach Wahlerfolgen 2009 und 2014 in Regierungsverantwortung ist. Aber nicht jede soziale Organisation habe emanzipatorischen Charakter. Die Rechte habe gelernt, wie sich die Methode des sozialen Kampfes als Hebel gegen linke Regierungen nutzen lasse, auch unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung. Authentische soziale Bewegungen müßten von denen unterschieden werden, die nur zum Zwecke des Umsturzes aufgebaut wurden. Die FMLN setze bei Projekten der revolutionären und fortschrittlichen Kräfte primär auf den Aufbau und Erhalt solider Hegemonie in der Gesellschaft.

Aus Montevideo zugeschaltet war José Mujica, Mitglied der Frente Amplio (Breite Front), ehemals Guerillero und bis vor kurzem Staatspräsident Uruguays. Ein Ereignis wie dieses, so Mujica, biete die Gelegenheit, "in seinem Weg inne zu halten und sich den Kampf zu vergegenwärtigen, den Genossen unterschiedlichster Strömungen ausfechten, den Kampf um eine ein wenig gerechtere Welt, für eine etwas gerechtere Realität". Mujica plädierte für eine "strategische Bescheidenheit", das Verständnis dafür, dass man nichts wisse, sich immer wieder neu finden und aus begangenen Fehlern lernen müsse. Das Wissen um die hohe Politik falle nicht vom Himmel, es sei ein "Destillat aus Opfern, Fehlern, Erfolgen, Hoffnungen und Utopien", so Mujica.

Die besondere Situation Kubas betonte Comandante Balaguer. Sein Land sei nicht nur den weltweiten Erschütterungen, sondern auch der weiterhin existierenden kriminellen Blockade durch die USA ausgesetzt. Trotz allem sei die kubanische Wirtschaft im Jahr 2015 gewachsen, der Tourismus habe sich gefestigt, alle produktiven Bereiche verzeichneten Wachstum, ausländische Gläubiger seien bedient, soziale Leistungen erhalten worden. Angesichts des weltweiten Szenarios sei der Zusammenschluss von nationalen, fortschrittlichen und revolutionären Kräften mit klarer antiimperialistischer Ausrichtung auf nationaler und internationaler Ebene erforderlich, getragen von politischen Organisationen und sozialen Bewegungen.

Die führende Rolle Kubas auf dem Kontinent sowie die Solidarität mit dem historischen Projekt wurde durchgehend in den Redebeiträgen herausgestellt. Einzelne Organisationen berichteten von den für 2016 geplanten Solidaritätssveranstaltungen in ihrem jeweiligen Land. Im Gegenzug wurde seitens der kubanischen Delagation betont, dass man weiterhin "an der Seite der gerechten Sache und der unterdrückten Völker" stehe, wenn auch auf der Basis des internationalen Rechts "normale" Beziehungen mit den USA angestrebt würden.

In diesem Kontext soll der Beitrag von Dr. Dario Machado Rodriguez erwähnt werden: "Über Demokratie, die Verfassung und die Macht im Hinblick auf den 7. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas"1 (im April 2016). Machado, der eine leitende Position am Internationalen Institut für Journalismus José Martí innehat, warnte davor, bei den anstehenden Reformen in die Falle des Liberalismus zu tappen. Es sei eine Frage der Zeit, dass aufgrund der ökonomischen Reformen auch die Verfassung entsprechend geändert werde, Planungen seien im Gange. Es bestehe die Gefahr, dass im politischen Überbau Möglichkeiten geschaffen werden, die eine unkontrollierte Entwicklung der Marktbeziehungen zulassen. Im Hinblick auf die vorwiegend im Ausland erhobene Forderung nach einem Mehrparteiensystem als Inbegriff von Freiheit und Demokratie führt er aus, dass die Welt, in der ja die Ideologie des Mehrparteiensystems vorherrsche, das Paradies auf Erden sein müsse. Allerdings wisse jeder, dass dies nicht der Fall sei. Parteien seien nicht der Garant für Demokratie. Kuba benötige nicht mehr Parteien, sondern die Stärkung des poder popular, der Volksmacht und der partizipativen Demokratie in all ihren Formen.

Zum Abschluss wurden diverse Resolutionen verabschiedet, unter anderem zu Syrien, zum Yemen, zur Situation in Puerto Rico, zur Westsahara.

Offiziell beendet wurde das Seminar durch Rodrigo Cabezas, den Vizepräsidenten der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), der sich für die Verabschiedung einer Resolution für Venezuela bedankte. Diese verurteilt die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten Barak Obama , das Dekret zu verlängern, mit dem die Bolivarische Republik als "außergewöhnliche Gefahr für die nationale Sicherheit" der USA erklärt und Sanktionen gegen Staatsfunktionäre verhängt werden. Für den 19. April dieses Jahres, den 227. Jahrestag der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung, soll in allen Hauptstädten der Welt zur dritten weltweiten Solidaritätsaktion "Die Völker der Welt gemeinsam mit Venezuela“ aufgerufen werden.

    1.
    Eine Übersetzung des Vortrags wird in Kürze auf amerika21 veröffentlicht

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Links:
[1] https://amerika21.de/autor/roswitha-yildiz
[2] http://www.granma.cu/xx-seminario-internacional-del-pt-de-mexico/2016-03-13/presentaron-libro-de-fidel-en-seminario-internacional-13-03-2016-21-03-43
[3] https://flattr.com/submit/auto?user_id=amerika21&url=https%3A%2F%2Famerika21.de%2Fblog%2F2016%2F03%2F149024%2Flinksparteien-seminar-mexiko&title=Internationale%20Linksparteien%20diskutieren%20in%20Mexiko& amp;amp;description=Zum%2020.%20Mal%20in%20Folge%20hat%20in%20Mexiko-Stadt%20das%20internationale%20Seminar%20%22Los%20Partidos%20y%20una%20Nueva%20Sociedad%22%20%28Die%20Parteien%20und%20eine%20neue%20Gesellschaft%29%20stattgefunden.%20Vom%2010.%20bis%2012.M%C3%A4rz%20konnten%20sich%20Delegierte%20aus%20f%C3%BCnf%20Kontinenten%2C%2040%20L%C3%A4ndern%20und%20135%20Organisationen%20zur%20aktuellen%20Entwicklung%20in%20Lateinamerika%20und%20der%20Karibik%20austauschen.&language=de_DE&category=text
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Quellen-URL: https://amerika21.de/blog/2016/03/149024/linksparteien-seminar-mexiko


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