Dienstag, 22. Dezember 2015

PROZESS Freispruch für Schwarzfahrer

Bergstedt fährt weiter umsonst


Gestern verhandelte das Amtsgericht Gießen über den Fall. Das Verfahren endete mit einem Freispruch.
Bergstedts Argument: Bus- und Bahnfahren ist ein Grundrecht, zu dem alle, unabhängig davon, ob sie mit viel oder wenig Geld auskommen müssen, den gleichen Zugang haben sollen. Ein weiteres: Der juristische Dauerbrenner, die Ermittlungen gegen Schwarzfahrer kosteten menschliche und finanzielle Ressourcen, die woanders besser eingesetzt seien, würde "sich endlich erledigen".

An der Stelle zitiert Bergstedt gerne zwei Berliner Jugendrichter, die sich seit ein paar Jahren über eine Flut an Verfahren beklagen und die Frage aufwerfen, ob Schwarzfahren nicht entkriminalisiert werden solle. Sie ziehen den Vergleich mit Falschparken, das lediglich eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat darstellt.
Der Angeklagte ist stets bester Laune
Bergstedt liest viel, recherchiert, weiß, wie Beweisanträge - die er gerne und in großer Anzahl stellt - aufgebaut sein müssen, um nicht schon wegen formeller Fehler abgeschmettert zu werden. Nicht nur darin unterscheiden sich Bergstedt-Prozesse so sehr von anderen.
Wo sonst oftmals ein stiller, verunsicherter Angeklagter den Gerichtssaal betritt, voll Sorge, was da auf ihn zukommen mag, ist Bergstedt stets blendender Laune und sucht sich, bestens ausgerüstet mit allem, was für eine ordentliche Powerpointpräsentation vonnöten ist, eine Bühne. Dabei wird er stets begleitet von einem guten Dutzend Unterstützern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, durch Zwischenrufe, gelegentlich auch durch Applaus, ihrem Sprecher und seinem Anliegen noch ein wenig mehr Bedeutung zu verleihen.
Gesetzeslücke ja - Nulltarif nein
Sie haben es wieder nicht geschafft. Der Freispruch, den Richter Jürgen Seichter am Ende der Verhandlung in Windeseile verkündete, erging allein aus juristischen Gründen - ohne ein Wort zur Grundsatzdebatte. Für zwei Fahrten gab es keine Zeugen und eine Dritte stellte sich nicht als Schwarzfahrt, sondern als via Internet groß angekündigte Protestaktion heraus.
Bergstedt protestiert immer, ob in einer großen Gruppe oder wenn er allein unterwegs ist. Eine Ausnahme gibt es aber doch: Wenn er vor Gericht erscheinen muss, dann kauft er sich eine Fahrkarte: Um den eigenen Prozess nicht zu verpassen, sollte er mal wieder erwischt werden.
Die juristisch korrekte Bezeichnung für Schwarzfahren lautet "Erschleichen von Leistungen" und steht in Paragraf 265a des Strafgesetzbuches. Jörg Bergstedt vertritt die Meinung, von Erschleichen könne keine Rede sein, wenn der Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel durch einen Button am Revers preisgibt, keinen Fahrschein zu besitzen.
Ganz Unrecht hat Bergstedt zumindest in diesem Punkt nicht. Sogenanntes offenes Schwarzfahren fällt in eine Gesetzeslücke. Folgenlos bleibt Fahren ohne Fahrkarte dennoch nicht. Wer ohne gültiges Ticket Bus oder Bahn besteigt, erkennt die jeweils geltenden Beförderungsbedingungen an und verpflichtet sich damit, gegebenenfalls ein erhöhtes Entgelt zu zahlen.
Zu denken wäre auch an den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs, jedenfalls dann, wenn der erwischte Schwarzfahrer aufgefordert wird, aus dem Zug auszusteigen, und dieser Aufforderung nicht nachkommt. (ab/ga)
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