Mittwoch, 19. August 2015

Flexibilisierung der Arbeitszeit – kommt das Ende des Acht-Stunden-Tags?

In Deutschland ist der Achtstundentag seit 1918 gesetzlich vorgeschrieben und konnte damals auch deswegen durchgesetzt werden, weil das Wirtschaftssystem von einer gut organisierten Arbeiterbewegung grundsätzlich in Frage gestellt wurde. Die tägliche Höchstarbeitszeit ist ein gewerkschaftlich und politisch erkämpftes Schutzrecht, das dazu beitragen soll, die Gesundheit der abhängig Beschäftigten zu erhalten. Je nach den Machtverhältnissen wird der Achtstundentag aber seit fast 100 Jahren immer wieder in Frage gestellt. So ist es nun auch wieder: Weil die Industrie 4.0 mit dem Konkurrenzvorteil bei dem Entwicklungsstand der Digitalisierung bei uns angeblich nicht mehr mit dem Arbeitszeitgesetz übereinstimmen würde, machen die organisierten Unternehmer derzeit massiv Druck. Die Bundesarbeitsministerin Nahles reagierte sofort und startete einen „Dialog“ mit Arbeitgebern und Gewerkschaften und versicherte, dass sie „für vieles offen“ sei. Bei dem angestrebten „Dialog“ besteht die Gefahr, dass dieser zu einem neuen Arbeitszeitgesetz führt. Die Arbeitgeber haben schon genaue Vorstellungen davon, sie fordern, die täglich zulässige Höchstarbeitszeit von acht Stunden abzuschaffen und stattdessen nur noch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit gesetzlich vorzuschreiben. Nach dem Arbeitszeitgesetz von 1994 dürfen Arbeitnehmer an Werktagen nur acht Stunden arbeiten. Die Höchstarbeitszeit kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Weil auch der Samstag zu den Werktagen zählt, begrenzt das Arbeitszeitgesetz die zulässige Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden. Die tägliche Höchstarbeitszeit ist ein gewerkschaftlich und politisch erkämpftes Schutzrecht, das dazu beitragen soll, die Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten. Doch schon heute wird dieses Schutzrecht massenhaft unterlaufen. Die Beschäftigten beantworten E-Mails nach Büroschluss, sind auch am Sonntag online erreichbar oder nehmen frühmorgens an Online-Konferenzen teil. Es wird so oft gearbeitet, wie die Arbeit anfällt. In den Arbeitsspitzen wird die Nacht zum Tag gemacht, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit schwinden immer mehr. Die Belastungsgrenzen werden immer weiter gezogen, bis der Einzelne zusammen bricht. Die Krankenkassen können diese Zusammenhänge zurzeit sehr gut dokumentieren Da ist das Arbeitszeitschutzgesetz doch noch die letzte einklagbare Sicherung. Die Fortschritte bei der Digitalisierung im Produktionssektor werden als Vorwand genutzt, um die betriebsexterne Flexibilität der Unternehmen zum zentralen Standortfaktor zu erklären. Der Ausbau innerbetrieblicher Mobilität wird dabei kaum erwähnt. Die unternehmerischen Risiken sollen bei der Nutzung der IT-Entwicklung noch stärker auf Beschäftigte und Sozialstaat verlagert werden. Das Sozial- und Arbeitsrecht wird wieder mal als viel zu viel Bürokratie diskreditiert, wie das schon bei der Durchlöcherung des Mindestlohngesetzes erfolgreich geschehen ist Die Bundesregierung und die organisierte Unternehmerschaft, im Verbund mit dem Ko-Management einiger Gewerkschaften, vor allem der exportorientierten IG Metall, arbeiten mit Hochdruck daran, den Vorsprung im IT-Bereich mit allen Mitteln für den weltweiten Konkurrenzkampf auszubauen. Da passt ihnen ein gesetzlicher Arbeitszeitkorridor nicht mehr in eine Welt, die 24 Stunden am Tag in Echtzeit online unterwegs ist. „Um mehr Spielräume zu schaffen und betriebliche Notwendigkeiten abzubilden, sollte das Arbeitszeitgesetz von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit umgestellt werden“, heißt es in einem Positionspapier der Arbeitgeberverbände und das klingt als ein erster Schritt doch viel braver, als das Ende des Acht-Stunden-Tags zu fordern. Auch „mit der Umstellung auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit würde die Bundesregierung ihrem Anspruch gerecht werden, EU-Normen eins zu eins umzusetzen und einen effektiven Beitrag zum Bürokratieabbau zu leisten“ bemüht der Unternehmerverband die EU-Normen, die bisher alle Harmonisierungen im Sozial- und Arbeitsrecht auf dem untersten Niveau festgeschrieben haben. Die organisierten Unternehmer missbrauchen die Debatte über die Auswirkungen der Digitalisierung um die Rolle rückwärts bei den Arbeitszeiten einzuleiten. Die vernünftige Antwort auf die BDA-Initiative wäre daher, die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeiten als eine gesellschaftlich breit angelegte Kampagne unter Federführung des DGB mit der griffigen Zahl von 30 (Stunden pro Woche). Wie die Geschichte zeigt, kann man so etwas nur dann durchsetzen, wenn das Wirtschaftssystem von einer gut organisierten Arbeiterbewegung grundsätzlich in Frage gestellt wird. Quellen: DGB, labour net.de Bild: in-online.de

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