Montag, 29. Juni 2015

Nicht nur in Freital will man keine Flüchtlinge

In Meißen brannte eine zukünftige Asylunterkunft und in Bamberg beschmierten Täter ein Heim mit Naziparolen Während Polizei und Antifaschisten ein Flüchtlingsheim im sächsischen Freital schützen müssen, kam es auch andernorts zu Übergriffen auf Asylunterkünfte. »Freital hat kein Flüchtlingsproblem. Die Flüchtlinge haben ein Freital-Problem«, sagt der 16-jährige Nico, der sich in einem Bündnis für die Flüchtlinge engagiert und dafür schon mit Bierflaschen beworfen wurde. Auch an diesem Freitag stehen unten am Baumarkt-Parkplatz wieder 20 Mannschaftswagen voll mit sächsischen Bereitschaftspolizisten, wegen der Art und Weise, auf die einige Freitaler in den letzten Wochen ihre Flüchtlinge willkommen hießen. Während die einen Spielzeug und Kleidung spendeten, grölten die anderen dumpfe Parolen. Hinter der Flüchtlingsunterkunft steht Mohammad aus Damaskus mit einem seiner Kinder am Bolzplatz: »Wir finden es schön hier. Aber die Leute, die etwas gegen uns haben, sollen verstehen, dass wir vor dem Krieg geflohen sind und nicht, um den Menschen etwas wegzunehmen.« Können sie das? In einer Stadt, in der der oberste Asylkritiker im Büro des Oberbürgermeisters sitzt. Sowohl der jetzige als auch der designierte OB (beide CDU) sind gegen die Unterkunft. »Die ganze Politik des OB ist Scheiße«, sagt Michael Richter. Der LINKE-Stadtrat hat die letzten Kundgebungen für die Flüchtlinge angemeldet. Ob er sich Sorgen um das Image der Stadt mache? »Das Image von Freital kann man nicht mehr versauen, dafür laufen längst zu viele sogenannte besorgte Bürger herum.« So langsam füllt sich der Platz vor dem zum Heim umfunktionierten »Hotel Leonardo«, verwandelt sich das Straßenfest in eine Kundgebung. Rund 500 Menschen sind gekommen, mehr als jene 400 Flüchtlinge, die die 40 000-Einwohner Stadt nicht verkraften soll. Auch jenseits der Polizeiabsperrungen wird es laut. Eine Gruppe von rund 50 Hooligans ist angekommen: »Wer Freital nicht liebt, soll Deutschland verlassen. Kriminelle Ausländer raus, raus, raus.« Wer nach echten Sorgen der »besorgten Bürger« sucht, bekommt an diesem Freitagabend kaum andere Antworten als »Linksfaschist«, »Lügenpresse« und »Deine Alte haben wir letzte Nacht durchgefickt.« »Refugees are welcome hier«, rufen unterdessen die 500 Unterstützer. Die Hip-Hop-Band »Antilopen Gang« springt auf der kleinen improvisierten Bühne auf und ab. Auch sie sind aus Berlin gekommen. Die eigentlichen Stars des Abends sind aber fünf kleine Flüchtlingskinder, die bis in die Nacht ihren deutschen Unterstützern einheizen. Nebenan spielen Mädchen Federball. Seifenblasen fliegen. Fast könnte man Freital für seine Willkommenskultur loben. Rund 70 Meter, zwei Reihen Einsatzwagen und Polizisten von den Flüchtlingen entfernt, trägt ein junger Mann eine Fahne aus den Farben Deutschlands und Russlands. »Wir sind ein stolzes Volk, das sich nicht spalten lassen darf«, sagt der junge Mann, der seinen Namen nicht verraten will. Gegen Flüchtlinge habe er nichts. Warum er dann mit Neonazis und anderen Rassisten gegen Flüchtlinge protestiere? »Hier sind keine Nazis, das versichere ich Ihnen«, lautete seine Antwort. Rund zehn Minuten später begrüßt er einen Kumpel in »I love NS«-Shirt. NS steht für Nationalsozialismus. Später am Abend werden einige den Hitlergruß zeigen und »Sieg Heil« rufen. Im ebenfalls nicht weit von Dresden entfernten Meißen hat es in der Nacht zu Sonntag in einer für Flüchtlinge vorgesehenen Unterkunft gebrannt. Das Feuer in der noch unbewohnten Immobilie in Meißen ist ersten Ermittlungen zufolge vorsätzlich gelegt worden, sagte eine Sprecherin des Operativen Abwehrzentrums der Polizei (OAZ) am Sonntag. Das OAZ ist für extremistische Straftaten zuständig. Derzeit sind laut Polizei vier Brandermittler sowie ein Spürhund in dem Gebäude im Einsatz. Den Angaben zufolge wurde an zwei Stellen Feuer gelegt - es sei aber nur an einer Stelle zum Ausbruch gekommen. In dem Haus wurde mindestens ein Zimmer völlig zerstört. Ob es überhaupt noch bewohnt werden kann, blieb am Sonntag offen. Seit Wochen macht in Meißen die »Initiative Heimatschutz« im Internet Stimmung gegen Flüchtlinge. Am Samstagabend hatte die Initiative auf Facebook zu einer »spontanen Zusammenkunft« in Meißen aufgerufen. Mögliche Zusammenhänge würden geprüft, hieß es beim OAZ. Das Feuer in der Kleinstadt bei Dresden erinnert an Fälle im sachsen-anhaltischen Tröglitz und fränkischen Vorra. Auch dort wurden Asylunterkünfte in Brand gesteckt, unmittelbar bevor Flüchtlinge dort einziehen sollten. »Die Zahl der Straftaten gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte ist gestiegen. Dem müssen wir entschlossen und hart entgegentreten«, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dem Berliner »Tagesspiegel«. Man dürfe nicht übersehen, »dass bei einem kleinen Teil der Bevölkerung Frust und sogar Wut steigen«, sagte de Maizière. Seit den Pegida-Demonstrationen in Dresden ist die Stimmung in der Region gegenüber Flüchtlingen angespannt. Im bayerischen Bamberg hat die dortige Kriminalpolizei Ermittlungen aufgenommen, weil ein Flüchtlingsheim in der Stadt mit Nazi-Parolen beschmiert worden war. Wie die Beamten in einer Pressemitteilung am Samstag mitteilten, wurde die vier Meter breite und rund ein Meter hohe Parole an der Hauswand am Samstagmorgen entdeckt. Der Schriftzug, den die Täter vermutlich im Schutz der Dunkelheit in der Nacht zum Samstag aufgemalt hatten, wurde nach der Spurensicherung entfernt. Am Wochenende wurden Flüchtlingsunterkünfte auch in Berlin und Jena Ziel von Übergriffen. In der Bundeshauptstadt wurden in der Nacht zu Samstag an ein Heim im Stadtteil Niederschönhausen mehrere Hakenkreuze geschmiert. In der gleichen Nacht sind nach Polizeiangaben vor einer Flüchtlingsunterkunft in Jena drei Fahrzeuge vorgefahren, aus denen die Insassen »Ausländer raus« gebrüllt hätten. In Wismar in Mecklenburg-Vorpommern attackierten Unbekannte einen Gebetsraum für Muslime. Wie die Polizei mitteilte, zerstörten die Täter in der Nacht zu Sonntag ein Fenster. Im Gebetsraum entdeckten Ermittler später einen Stein, auf den ein Blatt Papier geklebt war. Darauf standen nach Polizeiangaben fremdenfeindliche Äußerungen. Der Staatsschutz ermittelt nun.

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