Dienstag, 17. März 2015

Klassenkämpfe in Frankreich – März 2015

Die französische Gewerkschaft CGT begeht in diesem Jahr ihren hundertzwanzigsten Geburtstag. In ihrem Hauptsitz in Montreuil bei Paris bezeugt eine beeindruckende Ausstellung die kämpferischen Geschichte, die demnächst auch in Buchform erscheint. In der Gewerkschaftszentrale fand am 3. März auch im Rahmen einer Vortragsreihe die Debatte über „die revolutionäre Gewerkschaftsbewegung“ statt. Die lange Serie von Feierlichkeiten hält die Gewerkschaft mit ihrer erneuerten Führungsspitze aber nicht davon ab, weiterhin den Herren (und Damen) in Wirtschaft und Politik auf der Frontseite der Ausbeuter die Stirn zu bieten. Auf dem Großkampftag am 9. April wird, wie „ensemble“, die März-Ausgabe der monatlich erscheinenden Mitgliedszeitung der CGT schreibt, ein Tag der Aktion und des Streiks, zu dem ein übergewerkschaftliches Bündnis zur nationalen Manifestation gegen die EU-Austeritätspolitik der Regierung aufgerufen hat. Neben dem Widerstand gegen die Umsetzung des arbeiterfeindlichen Gesetzes „Macron“ spielt auch die Forderung nach der 35-Stunden-Woche eine Rolle, die Forderung, die Arbeitszeit zu verkürzen als ein Weg, Arbeitsplätze zu erhalten und eventuell zu schaffen. Über 100.000 Demonstranten werden in Paris erwartet. Bahnprivatisierung: Die 149.000 Beschäftigten bei SNCF und die 1.500 beim Gleiskörper-Eigner RFF sollen weiter umgruppiert werden. Bei SNCF stehen bis 2020 über 10.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Die CGT, die bei den Vertreterwahlen 2014 mehr als 35 Prozent bekam, besteht darauf, „Verhandlungen über die Strukturierung der Bahn aufzunehmen“. Im Unterschied zum Juni letzten Jahres, wo auf Initiative von CGT-Cheminots und SUD-Rail die Eisenbahner ein Dutzend Tage lang gestreikt hatten, ruft allerdings diesmal nur noch die CGT zum Kampf. Vom Montag, 16.3.abends bis Mittwoch morgens werden nur 8 von 10 Regionalzügen TER fahren. In Paris werden die RER-Linien in der Region ebenso betroffen sein, während Intercity und TGV ihre Fahrpläne einhalten können, so Le Monde am 8. März. Der Rotstift kratzt auch am Bildungswesen: Wie in Deutschland die personelle Unterbesetzung bei der Altenbetreuung und in Krankenhäusern zu Mängeln in der Versorgung bis hin zu Gesundheitsgefährdungen von Patienten und Unfällen führt, liegt das Problem ähnlich bei den Schulkantinen in Marseille. Die Gewerkschaften reklamieren seit 6 Monaten in den Verhandlungen 300 Posten, um den Service aufrechtzuerhalten, dass mindestens 200 Stellen geschaffen werden müssen. Die Stadt Marseille hat allerdings nur 175 Stellen eingerichtet, darunter nur 25 Techniker und 15 Kantinenleiter. Hatten bislang nur tageweise die Kantinen geschlossen und teilweise wenigstens ein „Picknick“ angeboten, schließen nunmehr die Schulkantinen von Montag, den 9. bis Freitag den 20. März, wie die CGT gemäß der Zeitung „La Province“ ankündigte. Am 16. März legen die Lehrer am Lycee Noordover erneut einen Streiktag ein und mobilisieren mit den Elternvertretern die Öffentlichkeit, nachdem sie, wie La Voix du Nord am 10.3. berichtete, schon am 9.3. den gesamten Unterricht ausfallen ließen. Entgegen den Versprechungen der Regierung Hollande, über 50.000 neue Lehrerstellen zu schaffen, wird im entindustrialisierten Norden mit eisernem Besen gekehrt: Die Elternvertreter und Lehrer kämpfen für den Erhalt der Stellen zur Erziehungsberatung (CPE). Eine halbe Stelle soll gestrichen werden, was an einem „sensiblen“ Gymnasium mit einer Abbrecher-Quote (vor dem Abitur) von 25 Prozent fatale Folgen hätte, denn dann müsste die Psychologin sich um zwei Schulen kümmern. An den Universitäten werden im Unterschied zu Deutschland von der Mehrheit der Lehrergewerkschaften und von Unef Streiks angekündigt – gegen den Abbau von Stellen, Einschränkung der Fortbildung und gegen den Verfall des Campus durch Aufschieben von Reparaturen. Das Ministerium in Paris kürzt das Budget 2015 um 100 Millionen Euro, wohingegen das Doppelte gebraucht würde, um den Universitäten einen korrekten Wissenschaftsbetrieb zu gewährleisten. Die Gewerkschaften der Fernfahrer (CGT, FO, CFDT, CFTC, CFE-CGC), die im Dezember ihren Streik für Lohnerhöhungen unterbrochen hatten, rufen erneut ab 15. März Abend zum unbefristeten Streik auf, da die Verhandlungen seit dem 9. Februar an einem toten Punkt angelangt sind. Die Gewerkschaften verlangen auch, dass für ausländische Kollegen, die durch Frankreich fahren, der Mindestlohn gezahlt wird, auch damit diese nicht als Lohndrücker missbraucht werden können. Wie Le Monde am 16. März berichtet, werden im Zielpunkt der Aktivitäten die Logistikzentren und die Mautstellen liegen. Es ist aber nicht beabsichtigt, das ganze Land zu blockieren. In einigen Regionen sind Flugblattverteil-Aktionen geplant und die „operation escargot“, also auf Autobahnen mobile Staus mittels „Schneckenfahrten“. Brittany-Ferries: Die 14 normannische Seeleute, im Streik getreten am letzten Donnerstag Abend, haben nach zwei Tagen die Arbeit wieder aufgenommen. Die Direktion der Auto-Fähre hat sich bereit erklärt zu verhandeln. Wenn man aber die Kürzung der Erschwerniszuschläge nicht zurücknehme, werde der Streik wieder aufgenommen, so die CGT. Dann würden sich auch die Seeleute vom Mont-Saint-Michel anschließen. Das Werk Fleury-les-Aubrais von ESPA Hutchinson arbeitet seit Ende Februar nur noch mit halber Kraft, wie France 3 am 5.3. mitteilte. Das Werk produziert Kautschuk-Röhren für die Stahl- und Luftfahrtindustrie wie Boeing, Airbus oder Dassault (Mirage). Das Unternehmen prosperiert, der Umsatz ist stetig gestiegen, von 32 Mio. Euro 2011 auf 40 Mio. Euro 2014. Die 200 Beschäftigten forderten eine bescheidene Bruttolohn-Erhöhung von 30 Euro im Monat. Aber nachdem die Direktion provokativ nur 5 Euro pro Kopf anbot, legten die Kollegen die Arbeit bis auf weiteres nieder. Streik bei France Television: Am letzten Sonntag überraschte die Zuschauer der öffentlichen Sender von France Television, TF 2 ff. (TF 1 ist schon lange privatisiert) eine durch den Streik verursachte Störung am Ende der 20-Uhr-Nachrichten. Die Redaktion fand es nicht nötig, die Bürger über die Gründe des Streiks zu informieren. Die Regionalstudios von France 3 Seine-Bucht und Ober-Normandie wurden am 11. März bestreikt. Die zwölf Beschäftigten der Lokalredaktion Le Havre protestieren mit einer Streikankündigung gegen die Einstellung des Programms während der Osterferien. Sie befürchten die Zusammenlegung mit der Regionalredaktion, verbunden mit Stellenstreichungen. In dem kleinen Obstverpackungs-Unternehmen „Les Rives“ in Montauban wurden von den 13 Beschäftigten 9 gekündigt, um sie durch zeitarbeitende Saison-Arbeiter(innen) zu ersetzen, so die in den Pyrenäen erscheinende „La Depeche“ vom 27. Februar. Der belgische Eigentümer, die Gruppe Ringoot, bot Ersatzarbeitsplätze in Belgien an und weigerte sich, über Modalitäten zu verhandeln. Auszuwandern war für die Beschäftigten eine Provokation und besetzten den Betrieb. Am 8. März berichtete France 3-Midi-Pyrenee, die Lage sei immer noch angespannt, aber trotz der Arbeitsniederlegung fänden immerhin Gespräche statt.

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