Montag, 25. August 2014

Bundeswehr: Willst du mit uns spielen?

Die deutsche Armee hat Nachwuchssorgen und wirbt daher auch Kinder und Jugendliche. Das empört nicht nur Kinderschutzorganisationen, sondern selbst die Vereinten Nationen Der Bundeswehr fehlen die Rekruten. Und zwar nicht erst seit dem Aussetzen der Wehrpflicht. Doch aktuell müssen die Nachwuchssorgen bei der deutschen Armee so groß sein wie nie zuvor. Der Werbeetat ist mittlerweile auf den Rekordwert von 30 Millionen Euro geklettert. Jedes Jahr trommeln die „Karriereberater“ und „Jugendoffiziere“ auf Tausenden Veranstaltungen für die Armee – und ködern mit fragwürdigen Methoden auch Kinder und Jugendliche. Dabei hat Deutschland die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen und das Zusatzprotokoll „Kinder in bewaffneten Konflikten“ unterzeichnet. Das Anwerben von Minderjährigen ist zwar nicht ausdrücklich verboten, aber der Grundgedanke ist klar: Kinder sollten aus militärischen Konflikten herausgehalten werden. Kein Wunder, dass die Bundesrepublik jetzt für ihre Praxis mit dem zuständigen UN-Ausschuss Ärger bekommen hat. "Für einen Tag Soldat spielen" Mit welchen Methoden die Bundeswehr vorgeht, illustrieren drei Beispiele aus dem vergangenen Monat: In Oberbayern wurden Schüler in das Innere des Luftwaffen-Transportflugzeugs „Transall“ geführt. Mit dem Flieger werden Materialien zu Bundeswehreinsätzen im Ausland gebracht. Die Schüler waren gerade mal in der vierten Klasse. Für einige Neuntklässler aus Norddeutschland gab es die Zeugnisse nicht in der Schule, sondern in Wilhelmshaven an Bord der Fregatte „Hamburg“. Ausgehändigt wurden sie nicht vom Lehrer, sondern von einem Offizier. Und in der Arnulf-Kaserne in der Oberpfalz konnten 48 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 5 und 18 Jahren „für einen Tag Soldat spielen“, wie es im Bericht der Lokalzeitung heißt. In Uniformen kämpften sich die Minderjährigen unter simuliertem Stacheldraht durch Minenfelder und Schützengräben. Kinderhilfsorganisationen sind schon alarmiert. „Die Bundeswehr ist kein normaler Arbeitgeber“, sagt Ralf Willinger vom Kinderhilfswerk Terre des hommes. Er setzt sich seit Jahren mit der Rekrutenwerbung des Militärs auseinander: „Die Bundeswehr spricht mit ihrer Werbung gezielt die Technikbegeisterung und Abenteuerlust der jungen Leute an und lässt Schattenseiten wie die Risiken von Auslandseinsätze gezielt außen vor.“ Er kritisiert vor allem die Nachwuchswerbung in Schulen – wo sich die Kinder nicht wehren können. Die Bundesregierung ist als Unterzeichnerin der UN-Kinderrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle verpflichtet, regelmäßig über den Stand der Kinderrechte in Deutschland zu berichten. Aber auch Nichtregierungsorganisationen haben die Möglichkeit, den Vereinten Nationen einen Bericht zukommen zu lassen. Terre des hommes hat daher gemeinsam mit UNICEF Deutschland, der Kindernothilfe und weiteren Organisationen einen „Schattenbericht Kindersoldaten 2013“ veröffentlicht. Verfasst hat ihn Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Er kritisiert, dass „Werbung der Bundeswehr für ihre Einsatzpolitik im Schulunterricht durch Jugendoffiziere und Werbung der Bundeswehr für sich als Arbeitgeber im Schulalltag ineinander übergehen.“ Die „Trennung zwischen politischer Bildung und Berufsberatung“ sei bei einigen Bundeswehr-Schulveranstaltungen „gänzlich aufgehoben“. Koalition ist uneins Der Bericht kritisiert aber auch generell die jetzige Praxis der Nachwuchsgewinnung. „In Deutschland werden (…) weiterhin unter 18-Jährige rekrutiert. Freiwillige mit einem Mindestalter von 17 Jahren werden als Soldat oder Soldatin in die Bundeswehr aufgenommen, um eine militärische Ausbildung zu beginnen.“ Dabei werde jedoch gegen die „Freiwilligkeit“ verstoßen, da der Rekrut nach seiner sechsmonatigen Probezeit bei der Bundeswehr nicht mehr aus seinem langjährigen Vertrag heraus komme. Allein im vergangenen Jahr wurden laut Bundesregierung mehr als 1.000 Minderjährige an der Waffe ausgebildet. Die Regierung argumentiert, dass viele potentielle Rekruten einen anderen Arbeitgeber wählen würden, wenn sie erst mit der Volljährigkeit in die Armee eintreten dürften. Mittlerweile hat sich auch der zuständige UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes zu der Problematik geäußert. Er folgt der Argumentation der Kinderrechtler und kritisiert in seiner Stellungnahme „diverse Werbekampagnen der Bundeswehr, die speziell auf Kinder ausgerichtet sind, sowie (…) die Präsenz von Bundeswehrsoldaten an Schulen.“ Das Gremium fordert daher, „jegliche Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen zu verbieten“. Die Kinderrechtsexperten der Vereinten Nationen äußern sich zudem besorgt darüber, „dass die freiwillige Rekrutierung von Minderjährigen in die Bundeswehr für militärisches Training“ möglich ist. Sie wollen die Anhebung des Rekrutenalters auf 18 Jahre. Bei den Kinderschutzorganisationen ist die Freude nun groß. „Der UN-Ausschuss ist unseren Empfehlungen gefolgt“, sagt Willinger von Terre des hommes. Mittlerweile zeige sich auch das Verteidigungsministerium gesprächsbereit. Doch in der Sache habe es sich nicht bewegt. Offenbar scheuen Militärs und Regierungsvertreter eine öffentliche Debatte über Kinder bei der Bundeswehr. Ein offener Brief von Kinderschutzorganisationen, der Lehrergewerkschaft GEW und der kritischen Soldatenvereinigung Darmstädter Signal an Bundeskanzlerin Angela Merkel blieb jedenfalls unbeantwortet. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass die schwarz-rote Koalition uneins ist. Der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels, der den Verteidigungsausschuss im Bundestag leitet, sagte im Januar: „Wir müssen dazu kommen, dass Jugendliche mindestens 18 Jahre alt sind, wenn sie ihren Dienst bei der Truppe antreten.“ Dennoch haben Union und SPD im März gegen einen Antrag der Linken-Bundestagsfraktion gestimmt, der genau das vorsah. Die Grünen enthielten sich. Solange die Armee Nachwuchsprobleme hat und die Rekrutierungspraxis nicht offensichtlich gegen Rechtsvorschriften verstößt, scheint der Bundesregierung der Schutz von Minderjährigen egal zu sein. Kinder schon im Grundschulalter für Kriegseinsätze zu begeistern und 17-Jährige an der Waffe auszubilden – das ist die Folge einer Politik, die immer mehr aufs Militär setzt und dafür auch moralische Grundsätze hinter sich lässt.

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