Montag, 28. April 2014

Rüstungsexporte nach Mexiko – ein Update

IMI-Analyse 2014/011 von: Peter Clausing | Veröffentlicht am: 9. April 2014 Hinweis: Der nachfolgende Text ist unter demselben Titel in der aktuellen AUSDRUCK-Ausgabe (April 2014) erschienen. Seit Redaktionsschluss haben sich aber neue wichtige Informationen bezüglich der FX05-Produktionsstätte ergeben, die für diese aktualisierte Fassung berücksichtigt wurden. Der Verdacht auf illegale Kriegswaffenexporte der Firma Heckler & Koch (H&K) nach Mexiko erzeugte mehrere Wellen medialer Aufmerksamkeit. In jüngster Zeit kamen weitere Diskrepanzen ans Tageslicht. Zudem sollte der Blick auf weitere Akteure nicht verstellt werden. Dazu zählt die Fritz Werner Industrie-Ausrüstungen GmbH. Heckler & Koch in Mexiko: Ein Rückblick Am 19. April 2010 erstattete Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft, Strafanzeige gegen den im baden-württembergischen Oberndorf ansässigen Waffenproduzenten Heckler & Koch (H&K). Grund dafür waren Hinweise, dass G36-Sturmgewehre in mexikanische Bundesstaaten exportiert wurden, in die laut Exportgenehmigung nicht hätte exportiert werden dürfen. Konkret waren vier Bundesstaaten von der Exportgenehmigung ausgenommen. In Chiapas und Guerrero wurden in der Vergangenheit besonders gravierende Menschenrechtsverletzungen verzeichnet (in Chiapas ist außerdem der zapatistische Aufstand als sozialer Großkonflikt nach wie vor präsent). Jalisco und Chihuahua hingegen sind zwei Bundesstaaten, in denen der mexikanische Drogenkrieg besonders heftig tobte. Seit Erstattung der Strafanzeige sind vier Jahre vergangen, ohne dass Konsequenzen gezogen wurden – ein Paradebeispiel für die Verschleppung von Ermittlungen, hier gegen ein Unternehmen, über das der CDU-Abgeordnete und Fraktionsvorsitzende Volker Kauder schützend seine Hand hält. Andererseits hat die Stuttgarter Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nicht eingestellt – das ist die gute Nachricht. Offenbar sind öffentliche Aufmerksamkeit und Beweislast zu groß. Als es im Dezember 2010, ein halbes Jahr nach der Strafanzeige, endlich zu einer Hausdurchsuchung bei H&K kam, vertrat Grässlins Anwalt Holger Rothbauer die Ansicht,[1] dass mit den bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Dokumenten der Tatverdacht wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz ausreichend groß wäre, um Anklage zu erheben. Schließlich, im November 2011, gab es eine Großrazzia, an der rund 300 Einsatzkräfte beteiligt waren und bei der man weiteres Beweismaterial wie Reisekostenabrechnungen, „Exportanträge in ursprünglichen und aktuellen Fassungen, E-Mail-Korrespondenzen und vieles andere mehr“ sicherstellte.[2] Doch eine Anklage gibt es bis heute nicht. Bis April 2013 hatte sich immerhin so viel Druck aufgebaut, dass ein Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin von H&K fristlos entlassen wurden – zwei Bauernopfer, die angeblich die illegalen Exporte nach Mexiko zu verantworten hätten. Ein Eigentor, denn die beiden klagten gegen ihre Entlassung und der Fall wurde Anfang Dezember 2013 in einem überfüllten Gerichtssaal beim Arbeitsgericht in Villingen-Schwenningen verhandelt. Zu einem Urteil konnte sich das Gericht nicht durchringen. Die Parteien erhielten eine Frist, sich außergerichtlich zu einigen. Den Medienrummel anlässlich des Arbeitsgerichtstermins hätte sich das Unternehmen sicher gern erspart. Der Druck auf H&K entstand auch aufgrund der Rechercheergebnisse des Journalisten Wolf-Dieter Vogel und des Politikwissenschaftlers Carlos Pérez Ricart. Unterlagen des mexikanischen Verteidigungsministeriums (SEDENA) belegten, dass die G36-Gewehre nicht zufällig in jene vier Bundesstaaten geraten waren, die laut Ausfuhrgenehmigung nicht beliefert werden durften. Rund die Hälfte der exportierten Waffen ging in voller Absicht direkt dorthin. Dies war einem im Internet zugänglichen Dokument der SEDENA zu entnehmen, das seit März 2011 existierte und von Vogel im Spätherbst 2012 entdeckt wurde.[3] Das Dokument weist aus, dass von der besagten Lieferung 2.113 Sturmgewehre nach Chihuahua, 198 nach Jalisco, 1.924 nach Guerrerro und 561 nach Chiapas geliefert wurden. Von mehreren Experten, darunter Vogel, wird ohnehin die Ansicht vertreten, dass es völlig realitätsfern sei anzunehmen, man könne derartige Lieferbeschränkungen praktisch umsetzen, insbesondere in einem Land wie Mexiko. Rául Benítez Manaut, Professor an der Autonomen Universität in Mexiko-Stadt, bezeichnete eine solche Beschränkung in einer arte-Dokumentation (siehe näheres unten) als Beruhigungspille für die deutsche Öffentlichkeit. Diskrepanzen H&K wurde von einer neuen Welle der „Popularität“ überschwemmt, als am 4. Februar 2014 die anderthalbstündige Dokumentation „Waffen für die Welt – Exporte außer Kontrolle“ von Daniel Harrich auf arte lief, anschließend noch mehrfach ausgestrahlt wurde und zwei Tage zuvor in den ARD-Tagesthemen angekündigt wurde. Das Ganze wurde von einem Dossier der ZEIT (Dezember 2013) und einem auf die Fernsehdokumentation zugeschnittenen Bericht in der taz flankiert. Im Dokumentarfilm von Harrich gibt es ein Interview mit Raul Manzano Vélez, Direktor der mexikanischen Rüstungsbeschaffungsbehörde (DCAM), in dem dieser rundweg bestreitet, dass Lieferbeschränkungen für bestimmte Bundesstaaten überhaupt existiert hätten. Die SEDENA hätte weder offiziell noch inoffiziell Kenntnis davon erhalten. Auf die im Rahmen einer Kleinen Anfrage[4] der Fraktion Die Linke gestellte Frage „Welche Bundesstaaten durften beliefert werden, und welche nicht?“ antwortet die Bundesregierung ausweichend. In einer weiteren Kleinen Anfrage der Linken[5] teilt die Bundesregierung mit: „Eine solche Zusicherung (die Nichtbelieferung der besagten vier Bundesstaaten, P.Cl.) existiert nicht. Vorbehalte bestanden auch nur gegen die Belieferung der örtlichen Polizeikräfte in den genannten Bundesstaaten.“ Daraus lässt sich schließen, dass die Bundesregierung über eine sehr genaue Analyse der in Mexiko weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen zu verfügen scheint: Menschenrechtsverletzungen der Sicherheitskräfte werden in Mexiko offenbar ausschließlich von örtlichen Polizeikräften begangen. Es gibt jedoch eine weitere handfeste Diskrepanz. Pérez Ricart nutzte sein Recht als mexikanischer Staatsbürger und fragte im Jahr 2011 unter Berufung auf das dort geltende Gesetz auf Informationsfreiheit (IFAI) bei der mexikanischen Regierung zweimal nach, wieviel G36-Gewehre zwischen 2006 und 2008 importiert wurden. Überraschenderweise unterschieden sich die Zahlen in den beiden Antworten deutlich: das eine Mal waren es laut offizieller Auskunft 9.652, das andere Mal 10.082 Gewehre dieses Typs. Noch überraschender war jedoch, dass laut Auskunft der Bundesregierung in der genannten Periode nur 8.769 Exemplare exportiert worden sein sollen.[6] Wenn bereits die nackten Zahlen der offiziellen Stellen um rund 900 oder gar 1.300 differieren, wieviel Wert haben dann die „Endverbleibserklärungen“? Wäre es nicht höchste Zeit, dass die deutsche Regierung ihre Buchführung über ein so kritisches Exportgut wie Kriegswaffen mit dem Empfängerland abgleicht? Hat H&K 900 oder vielleicht 1.300 dieser Gewehre illegal exportiert? Oder wurde dieser über die offiziellen deutschen Zahlen hinausgehende Export verdeckt genehmigt und über dunkle Kanäle nach Mexiko geschafft? Es wäre nicht das erste Mal, dass Deutschland knietief in illegale Waffengeschäfte verstrickt ist. Erinnert sei an die MEREX AG, die u.a. Mitte der 1980er Jahre an der „Iran-Kontra-Affäre“ beteiligt war, wobei der investigative mexikanische Journalist Manuel Buendía den MEREX-Chef und ehemaligen SS-Offizier Gerhard Mertins illegaler Waffengeschäfte in Mexiko beschuldigte. Kurze Zeit später wurde Buendía ermordet, und bis heute besteht der Verdacht, dass Mertíns einer der geistigen Urheber dieses Mordes war.[7] Ein Lizenzgeschäft mit Fragezeichen Damit nicht genug, durch den Film „Waffen für die Welt – Exporte außer Kontrolle“ wurde publik, dass die mexikanische Regierung in den Jahren 2003/2004 an einem Lizenzvertrag mit H&K „interessiert war“. Es wird ein Dokument gezeigt, das Pérez Ricart ebenfalls auf der Grundlage des mexikanischen Informationsfreiheitsgesetzes erlangt hatte und dem zu entnehmen ist, dass umgerechnet 1,2 Millionen Euro für „Technologietransfer“ geflossen sind. Der Politikwissenschaftler verweist darauf, dass das mexikanische Finanzministerium für eine Lizenz von H&K vier Jahre lang Geld auf ein Konto in Deutschland überwiesen hat. Aus unbekannten Gründen kam es jedoch zu keiner Produktion von G36-Gewehren. Ebenso unklar ist, ob die deutschen Behörden jemals die Genehmigung für einen solchen Technologietransfer erteilt haben. Fakt ist, dass Mexiko etwa seit dem Jahr 2006 eigene Schnellfeuergewehre produziert, die die Typenbezeichnung FX05 tragen, ein Modell, das dem G36 verblüffend ähnelt. Ob und wenn ja, wieviel von dem erwähnten Technologietransfer in die FX05-Produktion eingeflossen ist, wird wohl erst klar werden, wenn es zu einem Strafprozess gegen H&K kommt. Bislang konnte noch nicht abgeklärt werden, wo sich die Fabrik zur Produktion der FX05-Gewehre befindet und wer die Fabrik errichtet hat. Im Fall von Mexiko ist es offenbar nicht die Fritz Werner Holding GmbH, wie erste Informationen es ursprünglich nahelegten.[8] Weitere Recherchen sind also notwendig, um den Waffenlieferanten noch stärker ins Handwerk zu pfuschen. Anmerkungen [1] www.juergengraesslin.com/index.php?seite=Pressemit_Hausdurchsuchung_HK_2010-12-22.htm [2] Grässlin, J. (2013): Schwarzbuch Waffenhandel. W. Heyne Verlag München, S.478 [3] http://jungle-world.com/artikel/2013/09/47219.html [4] Bundestag Drucksache 17/6432 v.5.7.2011 [5] Bundestag Drucksache 17/8275 v.28.12.2011 [6] http://mexicoviaberlin.org/wp-content/uploads/2014/02/MVB-AG-2014-002.pdf, Grässlin (2013) spricht in seinem Buch (S.447) von 8.710 Gewehren in dieser Periode [7] Pérez Ricart, C.A. (2014): MEREX AG o la frontera de lo (i)legal en la politica alemana de exportación de armament: una perspectiva historica (1963-1991). México via Berlín Working Paper, in press, http://mexicoviaberlin.org/ Alle Links waren am 23.3.2014 zugänglich. [8] Im zitierten Dokumentarfilm von Daniel Harrich wird behauptet, dass die FX05-Gewehre in einem Werk im mexikanischen Bundesstaat Querétaro produziert würden und dass an der Errichtung der Fabrik die deutsche Fritz Werner Holding GmbH beteiligt gewesen sei. Eine Überprüfung durch die ZEIT-Journalistin Amrai Coen und ihren Kollegen Hauke Friedrichs (persönliche Mitteilung) ergab, dass diese Behauptung nicht stimmt.

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