Sonntag, 15. September 2013

Putin: INTERVIEW FÜR CHANNEL ONE UND AP

Der gesamte Text des Interviews übersetzt von Jens-Torsten Bohlke JOHN DANISCHEWSKI: Danke, dass Sie uns in Ihr Haus eingeladen haben und Fragen für AP’s weltweites Publikum beantworten. Ich weiß, dass dies eine sehr arbeitsreiche Woche für Sie ist, denn Sie haben so viele Staatsführer aus aller Welt auf dem G20-Gipfel in dieser Woche, dafür allen Respekt. Wenn ich darf, würde ich gerne mit der Syriengeschichte loslegen. Präsident Obama sagt, dass er abwarten wird, bis er die Einwilligung vom Kongress bekommt, bevor er gegen Syrien losmacht. Was sollte Ihrer Meinung nach dort geschehen? Was geschah dort nach Ihrer Meinung, wenn es schon bis zum Angriff mit chemischen Waffen reicht? Was sollte da unternommen werden? RUSSLANDS PRÄSIDENT WLADIMIR PUTIN: Wir haben keine genaue Information darüber, was sich ereignet hat. Wir meinen, dass wir zumindest die Ergebnisse der von den UN-Waffeninspektoren durchgeführten Untersuchung abwarten sollten. Aber wir haben keinen Beweis, dass diese chemischen Stoffe – denn es ist bisher nicht deutlich, ob das eine chemische Waffe oder eben eine schlimmer Stoff gewesen ist, – von der syrischen Armee eingesetzt worden sind. Darüber hinaus habe ich bereits hinsichtlich unserer Meinung erwähnt, dass es absolut absurd ist, dass die regulären Streitkräfte, die derzeit in der Offensive sind und in einigen Gebieten die sogenannten Rebellen eingekreist haben und mit ihnen gerade Schluss machen, dass unter diesen Umständen diese regulären Streitkräfte Syriens damit beginnen würden, verbotene chemische Waffen einzusetzen, wo sie doch bestens im Bilde sind, dass genau dies als Anlass für das Verhängen von Sanktionen gegen Syrien dienen kann, und zwar einschließlich des Gewalteinsatzes. Es ist einfach absurd und zuallererst unlogisch. Zweitens meinen wir, wenn es Angaben darüber gibt, dass die chemischen Waffen eingesetzt worden sind, und sie insbesondere von der regulären Armee Syriens eingesetzt wurden, dann diese Beweismittel dem UN-Sicherheitsrat zuzuleiten sind, und zwar an die Inspektoren und den UN-Sicherheitsrat. Und da sollte es sich um Überzeugendes handeln, was nicht auf ein paar Gerüchten oder auf Information gegründet ist, welche von speziellen Diensten durch eine Art von Fallenstellerei oder ähnliche Dinge beschafft wurde. Auch in den USA gibt es Fachleute, welche meinen, dass die von der US-Regierung vorgelegten Beweismittel nicht überzeugend aussehen. Und sie schließen die Möglichkeit einer vorgeplanten Provokation der Opposition nicht aus, welche da in dem Bemühen handelt, ihren Sponsoren einen Anlass für die militärische Intervention zu liefern. JOHN DANISCHEWSKI: Wenn ich da mal anknüpfen darf: Das Video war so dramatisch. Es zeigte die leidenden Kinder und die nach Luft röchelnden Menschen. Haben Sie das Video gesehen? Und was war Ihre Reaktion darauf? WLADIMIR PUTIN: Hinsichtlich der Bilder, Sie erwähnten bereits die Videobilder, welche tote Kinder zeigten, die mutmaßlich im Angriff mit chemischen Mitteln umgebracht wurden, so waren diese Bilder schrecklich. Die Frage lautet lediglich, wer tat was, und wer ist dafür verantwortlich? Die Bilder selbst beantworten die Fragen nicht, die ich gestellt habe. Einige denken, dass dies eine Fälschung ist, welche von diesen argen Rebellen vorgenommen worden ist, bei denen wir uns sehr darüber im klaren sind, und die US-Amerikaner erkennen dies auch an, dass sie mit Al-Quaida verknüpft sind, und dass sie stets durch eine äußerste Brutalität aufgefallen sind. An dieser Stelle würde ich gerne Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass wenn Sie diese Videos aufmerksam angeschaut haben, sie keine Eltern zeigen, sie keine Frauen oder medizinisches Personal zeigen. Wer sind diese Menschen? Und was hat sich dort abgespielt? Es gibt keine Antwort auf diese Frage. Und diese Bilder sind an sich ohne Zweifel schrecklich. Aber sie beweisen nicht, wer daran schuldig ist. Zweifellos ist dies Gegenstand der Untersuchung. Und es wäre gut zu wissen, wer für diese Grausamkeiten verantwortlich ist. JOHN DANISCHEWSKI: Was wäre Russlands Standpunkt, wenn Sie überzeugt werden würden, dass dies von der Regierung Syriens zu verantworten ist. Würden Sie mit einem militärischen Vorgehen einverstanden sein? WLADIMIR PUTIN: Ich schließe das nicht aus. Aber ich möchte unsere Aufmerksamkeit auf den einen absoluten Schlüsselmoment richten. In Übereinstimmung mit dem vorhandenen internationalen Recht kann nur der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Einsatz von Gewalt gegen einen souveränen Staaten verhängen. Jeder andere Vorwand, jede andere Methode zur Rechtfertigung des Einsatzes von Gewalt gegen einen unabhängigen souveränen Staat ist unzulässig und kann nur als Aggression aufgefasst werden. JOHN DANISCHEWSKI: Ich verstehe Ihre Argumentation bei dieser Sache. Aber ich frage mich, ob es noch eine Frage ist, wer diese Verbrechen begangen hat. Ob Russland sich nicht selbst von der Regierung Assad distanzieren sollte und seine Waffenlieferungen nicht aussetzen sollte, also so etwas machen sollte. WLADIMIR PUTIN: Wenn wir objektive und konkrete Daten vorzuliegen haben, wer diese Verbrechen begangen hat, dann werden wir reagieren. Irgendetwas jetzt zu spekulieren und Dinge im Voraus zu erzählen wie zum Beispiel jawohl, wir werden dieses oder jenes machen, wäre absolut falsch. Das wird in der Politik nicht gemacht. Ich versichere Ihnen, dass wir eine grundsätzliche Haltung einnehmen werden. Ich möchte sagen, dass unsere Haltung auf Grundsätzen beruht, weil der Einsatz von Massenvernichtungswaffen ein Verbrechen darstellt. Andererseits ergibt sich noch eine andere Frage. Wenn erwiesen ist, dass die Massenvernichtungswaffen von den Rebellen eingesetzt worden sind, was werden die USA dann mit ihnen machen? Was werden diese Sponsoren mit den Rebellen anstellen? Werden sie ihnen die Waffenlieferungen kürzen? Werden sie militärische Einsätze gegen sie einleiten? JOHN DANISCHEWSKI: Gut, ich denke, dass John Kerry sagte, dass jeder, der Beistand leistet, wenn diese Verbrechen gemacht werden, der Geschichte wird antworten müssen. Und ich bin sicher, dass Sie und Russland inbegriffen sein werden, und die Vereinigten Staaten. Aber haben Sie Angst, dass Sie heute als Beistand eines Regimes gesehen werden können, welches unterdrückt und Verbrechen begeht? Gibt es eine Gefahr, dass Sie als Beschützer dieser Regierung gesehen werden? WLADIMIR PUTIN: Wir verteidigen nicht diese Regierung. Wir verteidigen gerade ganz andere Dinge. Wir verteidigen derzeit die Normen und die Grundsätze des internationalen Rechts. Wir verteidigen gegenwärtig die moderne Weltordnung. Wir verteidigen jetzt die Möglichkeit, die Diskussion einer Möglichkeit, die Gewalt nur innerhalb der bestehenden internationalen Ordnung, der internationalen Regeln und des internationalen Rechts einzusetzen. Dies verteidigen wir derzeit. Dies macht den absoluten Wert aus. Werden mit der Anwendung von Gewalt im Zusammenhang stehende Themen außerhalb des Rahmens der UN und des Sicherheitsrates behandelt, dann gibt es das Risiko, dass derart unrechtmäßige Entscheidungen gegen jeden und unter jedem Vorwand angewendet werden. Sie haben gerade gesagt, dass Herr Kerry meint, dass die chemischen Waffen von der Armee von Assad eingesetzt worden sind. Doch derselbe Punkt wurde von einem anderen Staatssekretär unter Präsident George W. Bush benutzt, als er die gesamte Weltgemeinschaft von Iraks Besitz an chemischen Waffen überzeugen wollte und ein Teströhrchen vorlegte, welches ein weißes Pulver enthielt. Alle diese Argumente stellen sich als haltlos heraus. Aber sie wurden benutzt, um ein militärische Vorgehen einzuleiten, welches viele in den Vereinigten Staaten heute einen Fehler nennen. Haben wir dies vergessen? Nehmen wir an, dass neue Fehler so einfach vermieden werden können? Ich versichere Ihnen, dass dies nicht der Fall ist. Jeder erinnert sich an jene Tatsachen, behält sie im Gedächtnis und zieht sie in Betracht, wenn Entscheidungen anstehen. JOHN DANISCHEWSKI: Demzufolge verstehe ich, dass Sie den als hinreichend überzeugend angebotenen Beweis nicht akzeptieren werden. Was muss geschehen, um Sie zu überzeugen? WLADIMIR PUTIN: Es muss eine tiefgreifende und spezifische Untersuchung geben, die den Beweis erbringt, der offenkundig ist und zweifelsfrei belegt, wer das getan hat, und welche Mittel eingesetzt worden sind. Dann werden wir bereit sein, auf die entschiedenste und schwerwiegendste Weise zu reagieren. KYRILL KLEJMENOW: Herr Präsident, erfüllt Russland weiterhin die Verträge zur Lieferung und Erhaltung der militärischen Ausrüstung gegenüber Syrien? WLADIMIR PUTIN: Ja, selbstverständlich. Das tun wir. Und wir meinen, dass wir mit einer legitimen Regierung zusammenarbeiten, ohne Regeln des internationalen Rechts oder eine unserer Verpflichtungen zu verletzen. Von der UN sind keine Beschränkungen hinsichtlich der Waffenlieferungen an Syrien verhängt worden. Es ist in der Tat sehr enttäuschend, dass die Lieferungen an die Rebellen in vollem Umfang seit dem Beginn dieser bewaffneten Auseinandersetzung erfolgen, obwohl das internationale Recht die Lieferung von Waffen an Oppositionsgruppen verbietet. KYRILL KLEJMENOW: Kann ich bitte die Dinge ein wenig mit Bezugnahme auf die hochmodernen S-300-Systeme ausführlicher ansprechen? WLADIMIR PUTIN: Tun Sie dies, bitte. KYRILL KLEJMENOW: Es gibt eine Menge Gerede jetzt darüber, ob Russland derzeit diese Systeme an Syrien geliefert hat oder nicht. WLADIMIR PUTIN: Die S-300 sind keine hochmodernen Systeme. Ich denke, dass sie tatsächlich etwas besser als die Patriot sind. Aber wir haben bereits die S-400. Und wir sind dicht dran, die S-500 Systeme fertig zu stellen. Diese Waffen sind sicher hocheffektiv. Wir haben einen Vertrag für die Lieferung der S-300. Und wir haben schon einige ihrer Bestandteile geliefert. Aber die Lieferung ist nicht abgeschlossen worden. Wir haben sie derzeit ausgesetzt. Bei all dem gilt, dass wenn wir sehen, dass Schritte unternommen werden, die die gegenwärtigen internationalen Normen verletzen, wir darüber nachdenken werden, wie wir künftig handeln sollten, was auch die Lieferungen von so sensiblen Waffen in bestimmte Teile der Welt einschließt. KYRILL KLEJMENOW: Viele Staatsoberhäupter haben erklärt, dass ihre Länder sich unter keinen Bedingungen in diesen Konflikt reinziehen lassen werden. Können Sie dazu etwas sagen? WLADIMIR PUTIN: Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass in diesem Augenblick Russland keine Streitkräfte im Ausland stationiert hat, abgesehen von zwei Stützpunkten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und der Teilnahme unserer Friedenstruppen unter dem Blauhelm des UN-Mandats. Das ist sehr gut, und wir sind sehr zufrieden darüber. Wir werden und wollen in keine Konflikte reingezogen werden. Zur Entscheidung einiger Länder, sich aus der Beteiligung an einem militärischen Vorgehen herauszuhalten, – dies war gegenwärtig eine Überraschung für mich, weil ich bisher üblicherweise meinte, dass die westliche Gemeinschaft vom Grundsatz einer bestimmten Einheitlichkeit nach dem Beschlussfassungsprinzip geleitet wird, welches von den Mitgliedern der Kommunistischen Partei der Sowjetunion verwendet wird. Wie dem auch sei, es kam heraus, dass dies nicht wahr ist. In Wirklichkeit gibt es Menschen, die ihre Souveränität schätzen, die die Lage einschätzen und den Mut haben, Entscheidungen zum Nutzen ihrer eigenen Länder zu treffen und ihre Ansicht zu vertreten. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Es zeigt, dass die vielpolige Weltordnung tatsächlich gestärkt worden ist. KYRILL KLEJMENOW: Herr Präsident, welchen Platz wird Ihrer Meinung nach das Thema Syrien auf der Tagesordnung des G20-Gipfels einnehmen? Unser Gespräch findet kurz vor diesem großen Treffen in St. Petersburg statt. WLADIMIR PUTIN: Erstens möchte ich sagen, dass die Tagesordnung des G20-Gipfels schon vor längerer Zeit abgeschlossen worden ist, und dass wir diese Tagesordnung mit allen unseren Partnern diskutiert haben. Wir denken nicht, dass wir das Recht haben, gegen diese Vereinbarungen zu handeln. Der Zweck des G20-Gipfels besteht zuerst und vor allem darin, die wirtschaftlichen Probleme und die weltwirtschaftlichen Probleme zu diskutieren, und zwar die Probleme des Wachstums, des Bekämpfens der Arbeitslosigkeit und der Korruption, das Steuerstrafrecht und die Verwaltung. Bei all dem steht im Raum, dass die Lage rund um Syrien akut und umstritten ist und wir bisher nicht imstande gewesen sind, eine umfassende Vereinbarung zu diesem drückenden Thema zu erzielen, so dass die Führungspersönlichkeiten der 20 größten Wirtschaftsmächte der Welt die Gelegenheit bestimmt nutzen können, um etwas Zeit dafür zu verwenden, dieses Thema auf ihrem Treffen in St. Petersburg zu diskutieren. Wir werden darauf nicht bestehen. Aber wir könnten vorschlagen, über die beschlossenen Diskussionspunkte hinauszugehen und etwas Zeit zu verwenden, um das Thema Syrien zu erörtern. Ich möchte nochmals Nachdruck darauf legen, dass wir Gastgeber des Gipfels sind, was bestimmte Regeln und eine vereinbarte Tagesordnung einschließt. Folglich denken wir nicht, dass wir das Recht haben, irgendwelche Zusätze einseitig vorzunehmen. Jedoch werde ich meine Amtskollegen bestimmt dazu einladen, dieses Thema zu erörtern. Hoffentlich werden sie dies nicht ablehnen. KYRILL KLEJMENOW: Was wäre Ihrer Ansicht nach ein Erfolg des Gipfels? WLADIMIR PUTIN: Der Gipfel wird ein Erfolg sein, wenn er eine offene und positive Diskussion gibt, die darauf abzielt, vorbereitete Entscheidungen zu einem Abschluss zu bringen. Entscheidungen welcher Art? Ich spreche von einem Maßnahmepaket zur Wachstumsankurbelung in der Weltwirtschaft und zur Arbeitsplatzschaffung. Dies sind die beiden Hauptaufgaben. Gleichzeitig meinen wir, dass wir mehrere untergeordnete Aufgaben erfüllen müssen, um diese Aufgaben zu erfüllen, vor allem die Investitionsförderung, die Herstellung von mehr Transparenz in der Weltwirtschaft und das aktive Handeln auf dem Gebiet der Steuerverwaltung, in den Banksystemen, usw. Übrigens schließt dies bezüglich der Steuerverwaltung und der Verbesserung des Steuersystems Maßnahmen zur Vorbeugung gegen die Steuerhinterziehung und teilweise bezogen auf den Kampf gegen die Korruption ein. Ich denke, dass wir fähig geworden sind, die Grundsätze für die Entwicklung eines weltweiten Steuersystems (nicht wir allein, aber in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern und den Amtskollegen unter der Schirmherrschaft der OECD) zu vollenden. Niemand schaffte dies im vorigen Jahrhundert. Somit ist dies ein sehr bedeutender Bestandteil unserer Arbeit. Wir haben den sogenannten „Aktionsplan St. Petersburg“ für die Entwicklung der Weltwirtschaft und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen vorbereitet. Wir haben eine Vereinbarung über einige andere Themen erreicht, und zwar solche wie den Kampf gegen die Korruption und das Vorgehen zur Beseitigung der Steueroasen. Es gibt ein breites Spektrum an zu ergreifenden Maßnahmen. Natürlich werden wir die Probleme des Welthandels und der Weltfinanzen diskutieren und einen Erfolg des Gipfels bewerkstelligen, sofern alle vor dem Gipfel vorbereiteten und vereinbarten Dokumente beschlossen werden. KYRILL KLEJMENOW: Habe ich Sie recht verstanden, dass Russland außer dem Einleiten einer Diskussion über diese Hauptprobleme unseren Gästen etwas hinsichtlich der Lösung bestimmter Probleme zu bieten hat, über die Sie gesprochen haben? WLADIMIR PUTIN: Sie verstehen, dass der Vorsitz eines Landes ein Jahr lang währt, und dass der Gipfel der Gruppe der 20, der G20, den Höhepunkt darstellt, das Finale der gesamten gemeinsamen Arbeit des Jahres auf der Ebene der Minister, der Fachleute, usw. ist. Und natürlich haben wir in diesen gemeinsamen Diskussionen Vorschläge eingebracht und wurden uns Vorschläge unterbreitet. Das war eine gemeinsame Arbeit, ein ‘gemeinsames Kochen in der Küche’, in der wir den ‘Kuchen’ für alle G-20-Führungspersönlichkeiten zubereiteten, die zur Unterzeichnung der Abschlussdokumente erwartet werden. JOHN DANISCHEWSKI: Präsident Putin, ich möchte auf das Thema der Beziehungen zwischen den USA und Russland zurückkommen. Aber kann ich zuvor noch eine weitere Frage über Syrien stellen? Angenommen, dass Präsident Obama die Unterstützung des Kongresses für einige militärische Handlungen erhält und die anderen Länder dabei sind, was würde Russland tun? Werden Sie für Syrien kämpfen? Oder würden Sie die Beziehungen zu Syrien einfrieren? Was wird da Ihre Reaktion sein? WLADIMIR PUTIN: Arbeiten Sie zurzeit für eine Nachrichtenagentur oder für die CIA? Sie stellen gerade Fragen, die normalerweise von Kollegen gestellt werden, die zu ganz anderen Agenturen gehören. Russland hat bestimmte Pläne, wenn die Lage sich entsprechend einem ersten, zweiten oder dritten Szenario entwickelt. Wir haben unsere Vorstellungen darüber, was wir tun werden, und wie wir es tun werden, ob die Waffen eingesetzt werden oder nicht. Wir haben unsere Pläne. Aber es ist zu früh, um darüber zu reden. JOHN DANISCHEWSKI: Okay. Gut. Lassen Sie mich zu Präsident Obamas Besuch fragen. Sie wissen, dass wir heute hier mit dem US-Präsidenten sitzen und den Gipfel diskutieren wollten, der heute beginnen sollte. Sind Sie enttäuscht, dass der Besuch von Präsident Obama abgesagt worden ist? Sehen Sie dies als eine Art der Brüskierung? VLADIMIR PUTIN: Ja, natürlich. es hätte mir gefallen, dass der US-Präsident Moskau besucht, die Gelegenheit zu haben, mit ihm zu sprechen und Probleme zu diskutieren, die entstanden sind. Aber ich sehe hier keine sonderliche Katastrophe. Tatsache ist, dass die Kontakte zwischen unseren Ministerien, zwischen den Ministern nicht aufgehört haben. Erst vor ganz kurzer Zeit haben Russlands Verteidigungsminister und Außenminister Washington besucht. Unsere Parlamente stehen miteinander in Kontakt. Das bedeutet, dass die Arbeit weitergeht, sie stoppt nicht. Wir verstehen, dass die Position Russlands bei bestimmten Problemen etwas Irritation in der US-Regierung erzeugt. Aber wir können da nicht helfen. Ich denke, dass es besser wäre, nicht irritiert zu sein, sondern geduldig zu sein und zusammenzuarbeiten, um Lösungen zu finden. Ich hoffe wirklich, dass ich am Rand des G20-Gipfels mit meinem amerikanischen Amtskollegen sprechen kann. Alle unsere bisherigen Begegnungen sind sehr konstruktiv gewesen. Präsident Obama ist ein interessanter Gesprächspartner. Er ist ein pragmatischer Mensch mit Geschäftssinn. Ich bin sicher, dass auch dann, wenn unsere Begegnung während unserer Arbeit am Rande des G20-Gipfels stattfindet, es ein nützliches Treffen sein wird. Auf jeden Fall gibt es eine Menge Probleme, denen wir uns zu stellen haben. Und wir sind daran interessiert, sie zu lösen. Dies schließt die Tagesordnung der Abrüstung, die Entwicklung der Weltwirtschaft, die Probleme im Zusammenhang mit Nordkorea und Iran ein. Es gibt viele andere Probleme und Themen. Sie zu lösen, liegt in den besten Interessen sowohl der Vereinigten Staaten als auch Russlands. Zum Beispiel das Problem der Bekämpfung des Terrorismus. Erst vor sehr kurzer Zeit haben die Amerikaner eine Tragödie erlebt. Ich meine die Explosionen auf einer Sportveranstaltung. Und unsere Strafverfolgungsbehörden und speziellen Dienste haben sehr aktiv miteinander zusammengearbeitet. Offenbar dient diese Zusammenarbeit den Interessen sowohl des amerikanischen als auch des russischen Volkes. Diese Zusammenarbeit ist nicht ausgesetzt worden. Und ich bin sicher, dass sie sich weiterentwickeln wird. JOHN DANISCHEWSKI: Es hat einige Spekulationen über ihre persönliche Chemie mit Präsident Obama, Ihre Beziehung gegeben. Er wurde mit den Worten zitiert, dass einige Bemerkungen über ihre Körpersprache gemacht worden sind, wonach Sie lässig und gelangweilt ausgesehen haben sollen. Ich fragte mich, wie Sie wohl diese Bemerkungen aufgenommen haben. Haben Sie das Gefühl, dass dies zu persönlich und angemessen oder was auch immer war? Was war Ihre Reaktion? WLADIMIR PUTIN: I denke, dass jeder in seinen Aktivitäten, und da meine ich die an Politik, an Wirtschaft, am Sicherheitsbereich, an der Informationsverbreitung beteiligten Menschen, jeder ist bestrebt, seine besten Qualitäten zu zeigen. Auch jene Beobachter, von denen Sie gerade sprechen. Manchmal lese ich von der Körpersprache, gelangweilt zu sein oder mich anders zu benehmen. Wer außer uns selbst kann schon sagen, was wir in unseren Gedanken und in unserer Seele haben? Es gibt bestimmte Gestiken, die natürlich ohne Hintergedanken gedeutet werden können. Aber niemand hat jemals weder mich gegenüber Herrn Obama oder Herrn Obama mir gegenüber solche Gestiken machen gesehen. Und ich hoffe, dass dies auch nie passieren wird. Alles Weitere ist frei erfunden. Ich wiederhole noch einmal. Ich habe schon gesagt, dass unsere Gespräche stets sehr konstruktiv im Wesen, sehr inhaltlich und recht offenherzig sind. Diesbezüglich ist der Präsident der Vereinigten Staaten ein sehr guter Gesprächspartner. Mit ihm ist leicht zu reden, weil es klar ist, was er will. Er hat eine klare Position. Er zeigt Beachtung für die Position seines Gesprächspartners, seines Gegenspielers, und er reagiert darauf. Für mich ist es interessant, mit ihm zu arbeiten. JOHN DANISCHEWSKI: Denken Sie, dass es noch ein paar Überbleibsel der Mentalität eines Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Russland und den USA gibt? Und wenn dem so ist, wie überwinden beide Seiten dies? WLADIMIR PUTIN: Das stimmt teilweise. Aber Sie wissen, dass dies in erster Linie, so würde ich es sagen, die mittlere Stufe des gedanklichen Miteinanders auf allen Gebieten und in allen Bereichen betrifft. Viele Leute, vor allem in den Geheimdiensten, die in den USA gegen die Sowjetunion gearbeitet hatten, und die in der Sowjetunion gegen die USA gearbeitet hatten, und die dies jahrzehntelang machten, verbleiben in jenem Koordinatensystem und in jenem Leben. Aber ich will wirklich denken, dass dies keine Auswirkung auf der höchsten politischen Ebene hat. Und unsere derzeitigen Diskrepanzen ergeben sich nicht daraus – sie stammen wahrscheinlich aus einem unterschiedlichen Verständnis der vor uns stehenden Probleme, von unterschiedlichen Mitteln zur Erzielung von gemeinsamen, und das wiederhole ich, von gemeinsamen Zielen, und natürlich von der Fähigkeit oder der Unfähigkeit, Kompromisse zu finden und die Meinung der Partner zu respektieren. JOHN DANISCHEWSKI: Ich denke, als Sie Ihre dritte Amtszeit ansteuerten, da sagten Sie so etwas wie das US-Außenministerium stiftete Arrest* in Russland und versucht, einen potentiellen Rivalen zu schwächen. Denken Sie wirklich, dass die USA die geheime Tagesordnung haben, Ihre Macht zu untergraben oder Russland zu unterlaufen? Dies steht in bezog zu den zivilgesellschaftlichen Gruppen. WLADIMIR PUTIN: Ich denke nicht, dass ich verstehe, von welchen Inhaftierungen* Sie gerade reden, die den Wahlkampf in Russland beeinträchtigt haben könnten. Welche Art von Inhaftierungen* könnten in Russland stattgefunden haben, um den Wahlkampf zu beeinträchtigen? Ich wäre erfreut, wenn Sie dies erklären könnten. Ich habe von keiner einzigen Inhaftierung* gehört, die den Wahlkampf in Russland beeinträchtigt hat. Es gab keine solchen Inhaftierungen*. Unsere Strafverfolgungsbehörden mögen jemanden für etwas verfolgt haben. Und bei solchen Situationen gibt es eine sehr gute Methode der Verteidigung. Das Losbrüllen „Hilfe! Das ist ein politischer Fall!“ Ich habe von keinem solchen Fall gehört. Von was konkret reden Sie gerade? JOHN DANISCHEWSKI: Ich entschuldige mich. Das wird ein Übersetzungsfehler gewesen sein. Ich sagte nicht ‘Arrest’*. Ich sagte, dass Sie gezeigt wurden, als Sie sagten, dass Sie dachten, dass das US-Außenministerium eine Tagesordnung hat, um Unruhe* in Russland zu stiften, um zu versuchen, seinen potentiellen Rivalen zu schwächen. Nicht ‘arrest’* sondern ‘unrest“*, – nicht ‘Inhaftierung’* sondern ‘Unruhe’*. WLADIMIR PUTIN: Manchmal kommen wir auf solche Gedanken. Ich werde freimütig zu Ihnen sein. Und ich habe meinen amerikanischen Amtskollegen dasselbe gesagt. Ich bin nicht sicher, ob es richtig ist, dies den Medien zu sagen. Aber wie dem auch sein mag, – es ist offenkundig, und daher werde ich es sagen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass der Botschafter der Russischen Föderation in den USA aktiv mit den Mitgliedern der Bewegung „Occupy Wall Street“ arbeitet. Ich kann mir so etwas gar nicht vorstellen, denn die Aufgabe des Botschafters besteht darin, die zwischenstaatlichen Beziehungen zu verbessern. Das ist ein delikater Job! Angesichts der Komplexität der Probleme muss es auf beiden Seiten Menschen geben, die wissen, wie man mit sensiblen Problemen umzugehen hat, die den Kompromiss suchen und Vereinbarungen erzielen. Aber wir haben Zeugen dafür, dass Leute von der Botschaft der USA in diesem Milieu agiert haben. Das ist dasselbe, ich wiederhole es, als ob wir mit „Occupy Wall Street“ gearbeitet hätten. Wir tun dies nicht. Aber einige Beamte aus der Botschaft der USA in Moskau denken, dass das okay ist. Nach meiner Ansicht entspricht dies nicht den diplomatischen Normen. Bei all dem sind wir nicht hysterisch geworden, aber wir richteten unser genaues Augenmerk darauf und dachten „Gut, wenn dies eben der Weg ist, auf dem sie da gehen“. Aber das beeinträchtigte nicht negativ unsere Beziehungen. Ich meine, dass diese Praxis schlecht und kaputtmachend ist. Aber sie ist offenbar der Stil einiger höherer Beamter der dahinterstehenden Behörde. Die Menschen kommen und gehen, aber die Interessen so großer Länder wie Russland und den Vereinigten Staaten bleiben. Und da muss noch viel Arbeit geleistet werden. JOHN DANISCHEWSKI: Verläuft die von Ihnen angesprochene geheimdienstliche Zusammenarbeit im gleichen Umfang weiter, trotz der verschiedentlichen Irritationen in den Beziehungen gerade jetzt? WLADIMIR PUTIN: Nein, auf der Ebene der Geheimdienste laufen die Dinge auch schlecht, so nach der Art, dass wenn wir Information weitergeben, dann wird uns gesagt „Gut so. Wir erledigen das ohne Eure Hilfe“. Und wir sagen „Okay, wenn Ihr das nicht braucht.“ Aber insgesamt entwickelt sich die Zusammenarbeit derzeit erfolgreich, und sie ist nützlich. Ich bin überzeugt, dass sie uns hilft, das Leben unserer Bürger zu schützen. Und das ist das Wichtigste und das Hauptergebnis unserer gemeinsamen Arbeit vor Ort. Ich möchte nochmals die Hoffnung ausdrücken, dass wir es schaffen werden, die Zusammenarbeit zwischen unseren Geheimdiensten zu erweitern und zu entwickeln. KYRILL KLEJMENOW: Herr Präsident, um mit dieser Diskussion hinsichtlich der Beziehungen zwischen Russland und den USA fortzufahren, wie schätzen Sie diese Beziehungen heute ein? Sie wissen, dass die Tagesordnung für Präsident Obamas Besuch in Russland für heute verkündet war. Gleich nach der Ankunft trifft er sich gerade mit Menschenrechtsaktivisten und den Vertretern von sexuellen Minderheiten. Und die Kommentare dazu sind bereits gemacht worden… WLADIMIR PUTIN: Warum? KYRILL KLEJMENOW: Ist dies ein gewisses Anzeichen dafür, wo unsere Beziehungen heute stehen? VLADIMIR PUTIN: Schön, das ist etwas, was die amerikanische Diplomatie tut. Sie zeigen Unterstützung für die Zivilgesellschaft. Für mich ist nichts daran schlimm. Im Gegenteil, wir begrüßen dies. Es hilft jemandem dabei, vollauf zu verstehen, was in unserer Gesellschaft abgeht. Es wäre bei all dem sehr schön, wenn der diplomatische Dienst, die Botschaft, die Sicherheitsdienste tun würden, wofür sie da sind, ein vollständiges, und ich meine es so, ein vollständiges und objektives Bild von der Lage in der russischen Gesellschaft zu liefern, und wenn sie da nicht nur einen einseitigen Blick hätten. Doch ist auch wichtig zu sehen, wie die Leute mit den Menschenrechtsdingen organisiert sind, und wie sie sich fühlen. KYRILL KLEJMENOW: Dennoch, wenn wir diese Beziehungen beschreiben, dann haben wir einen ‘Neustart’ gehabt, und was ist das dieses Mal? Ein Einfrieren? Ein Aussitzen? WLADIMIR PUTIN: Nein, ist konkret weiteres Arbeiten, der Schutz der nationalen Interessen und Grundsätze der Lösung der internationalen Angelegenheiten und der bilateralen Angelegenheiten. Das ist eine schwierige und intensive gemeinsame Arbeit. Es stimmt, dass diese Arbeit nicht mit Rosen oder anderen Blumen dekoriert ist. Es ist eine komplizierte und manchmal harte Arbeit. Und es gibt daran nichts Besonderes. Bei all dem wurde Präsident Obama vom amerikanischen Volk nicht gewählt, um Russland zufriedenzustellen, und auch unser gewählter Präsident wurde vom Volk Russlands nicht gewählt, um jemand sonst zufriedenzustellen. Wir arbeiten, wir argumentieren, wir sind Menschen. Und manchmal kann jemand irritiert werden. Aber ich möchte mich wiederholen: Ich meine, dass die globalen gemeinsamen Interessen ein gutes Fundament für das gemeinsame Finden von Lösungen sind. KYRILL KLEJMENOW: Der September ist nicht nur die Zeit, in der der Gipfel stattfindet, sondern auch der Beginn der politischen Jahreszeit Russlands. Die Wahl ist auf dem Weg. Am 8. September werden viele Regionen ihre Führungspersönlichkeiten und die Parlamentsvorsitzenden wählen. Wie gewohnt sind vor dem Wahltag viele Umfragen erfolgt. Sie wissen, dass einige davon recht unbequeme Tatsachen enthüllt haben. Eine ganze Menge Menschen zweifeln daran, dass die Wahl fair verlaufen wird. Können Sie jenen, die sich durch diese Tatsache verärgert fühlen, nicht helfen? WLADIMIR PUTIN: Die Menschen in Russland finden es im Allgemeinen schwer, irgendetwas überhaupt zu glauben. Und das ist derzeit normal. Die Menschen müssen immer Zweifel haben. Die Arbeit der Behörden ist darauf gerichtet, ein perfektes Ergebnis zu erzielen, obwohl eine Wahl wohl niemals perfekt sein kann. Trotzdem, die Verpflichtung der Behörden, eine Ehrensache für jeden Beamten vor Ort, für die Wahlkomitees und die Strafverfolgung besteht darin, alles sauber zu organisieren, damit die Menschen objektiv ihre Haltung gegenüber den Kandidaten bekunden können und ihre Willensbekundung zur Bildung der effektiven und effizienten Machtorgane führen kann. Wir sind höchst interessiert daran, weil der Erfolg Russlands als Staat wesentlich davon abhängen wird, wie effektiv das Volk in den örtlichen und regionalen Strukturen arbeiten wird. Und wenn diese Menschen uneffektiv sind, wenn sie sich als jene herausstellen, die auf Machtgewinn durch Hinterlist aus sind, dann wird sicherlich nur der Schaden für das Land insgesamt groß sein. KYRILL KLEJMENOW: Bei dem Thema Objektivität und Fairness möchte ich Sie über das Gerichtssystem oder einige in diesem System getroffene Entscheidungen fragen. Dazu ein besonderes Beispiel: Ein mittlerer Beamter erhält eine Bewährungsstrafe für eine erwiesene Veruntreuung von rund 400 Millionen Rubel. Und zur gleichen Zeit wird ein Dorflehrer, der auch einen lokalen Verein auf einer Teilzeitbasis leitet, zu sieben Jahren verschärfter Haft und 3 Millionen Rubel Strafe dafür verurteilt, dass er ein Bestechungsgeld von 400.000 Rubel gezahlt hat. Wenn ich mich nicht irre, ist er der Vater einer großen Familie. Nun, wissen Sie, ich frage nicht einmal nach dem Sinn dieser Rechtsprechung. Natürlich verstehe ich, dass Sie nicht sagen können, dass das gesprochene Urteil unfair war. Aber es scheint, dass es sicherlich unmöglich ist, einen solchen Stand der Dinge zu ertragen. Das System muss geändert werden. Es ist Unfug. WLADIMIR PUTIN: Sie wissen, dass dies immer wie fast dieselbe Sache aussehen mag, aber laut den Gesetzgebern weisen diese Verbrechen dennoch eine unterschiedliche Gefährdung für die Gesellschaft auf. Zum Beispiel kann der Schaden für ein Opfer derselbe sein, sagen wir mal eine Million Rubel. Irgendjemand hat ihm seine Million Rubel gestohlen, und jemand anderem wurden eine Million Rubel geraubt. Da ist der Raub ein gesellschaftlich viel gefährlicheres Verbrechen, welches mit größerer Skrupellosigkeit begangen worden ist. Dies ungeachtet der Tatsache, dass der Schaden für das Opfer derselbe ist. Die Strafe für den Raub fällt also üblicherweise höher als für den Diebstahl aus, in diesem Fall, wo es um den wirklichen Geldwert von einer Million Rubel geht. Wenn ein Dieb stiehlt, dann nimmt er an, dass das Opfer nicht bemerkt, was er gerade tut. Demgegenüber weiß der Räuber schon von vornherein, dass sein Opfer alles mitansieht und versteht, aber dennoch begeht er skrupellos dieses Verbrechen. Der Schaden ist derselbe, aber die Bestrafung kann unterschiedlich sein und ist es, übrigens ganz zu Recht. Das Beispiel, welches Sie angeführt haben, ist sicherlich nicht völlig dasselbe, was ich erwähnt habe. KYRILL KLEJMENOW: Ich führte ein Beispiel mit einem besonderen Namen an. WLADIMIR PUTIN: Ja, ich sage gerade genau, dass es wie dasselbe aussehen mag, aber tatsächlich laut einem Macher der Gesetze sind dies unterschiedliche Straftaten. Dieser Fall ist natürlich empörend. Es gibt gewisse Strafmaße, unter welchen der Richter persönlich eine spezifische Entscheidung auf die Empfehlung seiner Kollegen auswählt, natürlich. Es mag da verschiedene Einschätzungen über den Grad der Gefährdung für die Gesellschaft geben. Bestechung ist ein gesellschaftlich gefährlicheres Verbrechen als eben ein Diebstahl. Verstehen Sie? Das ist eine offenkundige Sache. Aber es können auch Fehler unterlaufen. Zum Beispiel gibt es eine Todesstrafe in den Vereinigten Staaten. In allen Ländern mit Todesstrafe, und wir hatten sie in unserem Land auch, gibt es zahlreiche Fälle, wo nach der Vollstreckung sich herausstellte, dass die hingerichtete Person nicht schuldig war. Was kann ich dazu sagen? Sollten wir alle Gerichte niederschießen oder was sonst? Nein, es ist vielmehr notwendig, das Justizsystem zu verbessern, die Gesetzgebung zu verbessern, sie transparenter zu machen, sie an die Wirklichkeit anzupassen und an jene gesellschaftlichen Verhältnisse, die von einem bestimmten Gesetz geregelt werden. Dies sind die Dinge, die im Zusammenhang mit der Verbesserung des Justizsystems stehen. Aber das heißt nicht, dass das Justizsystem überhaupt nicht gut ist und niedergemacht werden sollte. Das ist nicht der Fall, weil das russische Justizsystem seine tiefen Wurzeln hat. Das russische Justizsystem ist ein Bestandteil des internationalen weltweiten Justizsystems. Unser Recht hat sehr tiefe historische Wurzeln. Es ist ein Teil des kontinentalen europäischen Rechts. Und viele Grundsätze unseres Rechtssystems und unserer Strafverfolgungspraxis sind so gut und manchmal sogar besser als die Gesetze und die Strafverfolgungspraktiken in den anderen Ländern. Ja, es gibt Probleme, und es gibt eine Menge Probleme, aber wir haben damit umzugehen. KYRILL KLEJMENOW: Denken Sie, dass russische Gerichte unabhängig genannt werden können? WLADIMIR PUTIN: Russische Gerichte sind selbstverständlich unabhängig. Will ein Richter nicht unabhängig sein, gibt es keine Unabhängigkeit, und er kann zu einem Gouverneur gehen oder jemand sonst aufsuchen. Aber ich versichere Ihnen, dass dies fast überall geschieht. Im Allgemeinen ist es so, dass wenn ein Richter einen prinzipiellen Standpunkt einnimmt, ihm niemand etwas anhaben kann. Und ich denke nicht, dass irgendjemand es in den derzeitigen Verhältnissen tun wollen würde, denn ein Richter ist mit Autorität und Prozessvollmachten ausgestattet. JOHN DANISCHEWSKI: Wir sprechen über Rechtsfragen. Der Fall Edward Snowden hat eine Menge Unglück und Enttäuschung verursacht. Was denken Sie als einstiger Sicherheitsfachmann über die Handlungen eines Mannes wie Snowden, der ihm anvertraute geheime Information weitergibt? WLADIMIR PUTIN: Wenn das wirklich geheime Information war und so eine Person irgendeinen Schaden angerichtet hat, dann würde ich sicherlich seine Strafverfolgung in voller Nutzung des russischen rechtlichen Spielraums anstreben. JOHN DANISCHEWSKI: Denken Sie diesbezüglich, dass die US-Regierung richtig handelt, um seine Rückkehr aus Russland zu ersuchen und nachzusuchen, ihn zurückzuschicken? WLADIMIR PUTIN: Ja, wahrscheinlich. Wie Sie sehen, liegt das Problem ganz woanders. Wir wissen nicht, ob die US-Regierung richtig oder falsch liegt. Die Sache besteht nicht darin, dass wir Snowden schützen. Wir schützen ihn überhaupt nicht. Das Problem besteht darin, dass wir keine Vereinbarung über die gegenseitige Auslieferung von Straftätern mit den Vereinigten Staaten haben. Wir haben wiederholt vorgeschlagen, dass die USA ein solches Auslieferungsabkommen mit uns abschließen sollen, aber sie haben dies uns gegenüber abgelehnt. Es gibt bestimmte Regeln und Verfahrensweisen in der Welt, gemäß welchen ein Straftäter an die andere Seite ausgehändigt werden kann und muss, sofern es ein diesbezügliches Abkommen gibt, in welchem viele Angelegenheiten geregelt sind und bestimmte Garantien gegeben werden. Wie dem auch sei, die USA weigerten sich, so ein Abkommen mit uns zu unterzeichnen. Und sie liefern nicht unsere Straftäter aus, die nicht bloß ein paar Geheimnisse enthüllten, sondern deren Hände mit Blut befleckt sind, die Menschen umgebracht haben, die Menschenhandel betrieben haben, wessen sich unsere amerikanischen Amtskollegen bewusst sind. Wir können nicht darüber urteilen, ob Snowden eine Straftat in den Vereinigten Staaten begangen hat oder nicht. Wir tun dies einfach nicht. Aber als ein souveränes Land, welches kein solches Auslieferungsabkommen mit den Vereinigten Staaten hat, können wir gar nichts anderes machen, als Snowden die Möglichkeit zu geben, hier zu leben. Ich werde Ihnen etwas erzählen, was ich nie zuvor gesagt habe. Ich lasse mal einige Hinweise außer acht. Aber ich habe niemals so etwas konkret gesagt. Herr Snowden ging zuerst nach Hongkong und kontaktierte unsere diplomatischen Vertreter. Ich wurde informiert, dass dort so ein Mann, ein Agent der speziellen Dienste ist. Ich fragte sie, was er will. Mir wurde gesagt, dass dieser Mann für die Menschenrechte und den freien Informationsfluss sowie gegen die Verletzungen der Menschenrechte und des Rechts in den Vereinigten Staaten und die Verletzungen des internationalen Rechts kämpft. Ich sagte „Was soll das? Wenn er in diesem Land bleiben will, dann ist er willkommen, vorausgesetzt er stoppt jede Art von Handlungen, die die Beziehungen zwischen Russland und den USA schädigen könnten. Dieses Land ist keine Nichtregierungsorganisation. Es hat seine eigenen nationalen Interessen. Und es will keine Beeinträchtigung der Beziehungen zwischen Russland und den USA.“ Diese Information wurde ihm mitgeteilt. Er sagte: „Nein, ich kämpfe gegenwärtig für die Menschenrechte, und ich bitte Sie, dass Sie mit mir in diesen Kampf eintreten.“ Ich antwortete: „Nein, Russland wird nicht bei ihm mitmachen, lasst ihn allein kämpfen.“ Und er beließ es dabei. Dann nahm er einen Flug nach Lateinamerika. Ich erfuhr zwei Stunden vor der Landung des Flugzeugs, dass Herr Snowden in unser Land unterwegs war. Was ereignete sich dann? Informationen sickerten durch. Nichts für ungut, aber ich denke, dass die Agenten der US-Geheimdienste an der Seite der Diplomaten professioneller gehandelt haben sollten. Dann bekamen sie mit, dass er in unser Land auf einem Transitflug unterwegs war, und sie setzten alle möglichen Zielländer unter Druck, alle Länder in Lateinamerika und Europa. Jedoch könnten sie ihm auch erlaubt haben, in ein Land zu gelangen, wo seine Sicherheit nicht gewährleistet werden kann, oder sie ihn auf dem Weg dorthin abfangen können. Sie taten dies übrigens mit dem Flugzeug, welches den Präsidenten eines lateinamerikanischen Landes beförderte, was nach meiner Meinung völlig inakzeptabel war. Das lief in einer so rüden Art ab, wie sie für die Vereinigten Staaten oder Ihre europäischen Partner unwürdig ist. Das war demütigend. Die Vereinigten Staaten hätten dies bei Snowden tun können. Was hielt sie davon ab? Stattdessen schreckten sie alle Welt auf. Der Mann entschloss sich auf die Schnelle, in Russlands Transitbereich zu verbleiben und befand sich festgefahren in unserem Land. Was sollten wir nach all dem tun? Ihn an die USA aushändigen? In diesem Fall müssen wir eine Vereinbarung unterschreiben. Ihr wollt dies nicht? Alles klar, dann händigt uns stattdessen unsere Straftäter aus. Ihr wollt auch dies nicht? Gut. Warum begehrt ihr dann die Auslieferung auf einseitiger Basis? Warum so arrogant? Beide Seiten müssen ihre Interessen gegenseitig in Betracht ziehen, zusammenarbeiten und nach professionellen Lösungen suchen. Somit verteidigen wir derzeit viel mehr die spezifischen Normen beim Umgang mit den zwischenstaatlichen Beziehungen als Herrn Snowden. Ich hoffe wirklich, dass in der Zukunft Russland und die Vereinigten Staaten die entsprechenden Vereinbarungen treffen werden und sie in die Form rechtsverbindlicher Instrumente bringen. JOHN DANISCHEWSKI: Hat Edward Snowden Russland Information, vertrauliche Information angeboten? Und wenn ja, würden Sie uns sagen welche? WLADIMIR PUTIN: Nein, er hat uns keine Information angeboten. Wir haben nichts von ihm erhalten, und wir beabsichtigen da auch nichts. Wir sind ebenfalls professionell. Und wir meinen, dass alles, was er uns erzählen könnte, unseren US-amerikanischen Kollegen von den speziellen Diensten bereits bekannt ist. Sie haben alle möglichen Risiken diesbezüglich minimiert. Sie haben Dinge verändert, vernichtet, alles umgekrempelt. Snowden ist für uns nutzlos. Wir wollten nicht mal in all dies reingezogen werden, wie Sie sehen. Snowden ist ein Mann ganz anderer Art. Natürlich kann er als jemand präsentiert werden. Ich verstehe, dass die speziellen Dienste in den USA daran interessiert sind, ihn als Verräter darzustellen, aber er sieht die Dinge anders – er bezeichnet sich selbst als einen Kämpfer für die Menschenrechte. Ihm kann diese Charakteristik verwehrt werden, aber dies ist bereits das Geschäft jener, die Urteile vornehmen. Er nennt sich so, und er benimmt sich dementsprechend. Wir haben kein Verlangen, ihn in irgendeine Art der Zusammenarbeit einzubeziehen oder Information von ihm zu erlangen. Er hat nie versucht, uns irgendetwas zu geben. Und wir haben niemals versucht, irgendetwas aus ihm herauszubekommen. JOHN DANISCHEWSKI: Somit könnte er theoretisch bis in ein hohes Alter in Russland leben? WLADIMIR PUTIN: Wissen Sie, manchmal denke ich über ihn nach. Er ist ein merkwürdiger Typ. Er ist ein junger Mann, mal gerade über 30 Jahre alt. Ich kann mir nicht mal vorstellen, was er denkt. Wie wird er sein künftiges Leben gestalten? Von den Tatsachen her erwartet ihn ein hartes Leben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was er später tun wird. Obwohl klar ist, dass wir ihn nicht ausliefern werden, er kann sich hier sicher fühlen. Aber was kommt dann? Mit der Zeit werden die Vereinigten Staaten wahrscheinlich verstehen, dass sie es mit einer Person zu tun haben, die bestimmte Ansichten hat, die verschieden beurteilt werden können, und zwar anders als der Verräter oder der Spion. Und ein paar Kompromisse könnten in diesem Fall gefunden werden. Fragen Sie nicht mich danach. Es ist sein Leben. Und er hat für sich selbst entschieden. Er glaubt, dass dies großartig und gerechtfertigt ist, dass solche Aufopferungen notwendig sind – das ist seine Entscheidung. KYRILL KLEJMENOW: Herr Präsident, wenn Sie mir gestatten, stelle ich ein paar Fragen zur Wirtschaft. Auf einem Treffen mit Studenten bei ihrem kürzlichen Besuch in Wladiwostok sagten Sie, dass die Regierung die geplanten Ausgaben kürzen wird. Und hier kommt ein vergessenes Wort „sequester“ in den Sinn. Aber erst mal, ist dies der Haushalt von diesem Jahr oder vom nächsten Jahr, über welchen wir sprechen? Und was ist der Maßstab für diese Kürzungen? WLADIMIR PUTIN: Ich möchte Sie daran erinnern, dass sequester bedeutet, um einen bestimmten Wert alle Ausgaben zu kürzen, und zwar ohne Ausnahme und ungeachtet von Prioritäten. Dies ereignet sich zuweilen in den Ländern und ist einigen drastischen Veränderungen der wirtschaftlichen Lage und negativen Trends in der Wirtschaft geschuldet. Das ist nicht der Fall für Russland. Wir sind nicht im Negativtrend. Und es gibt ein leichtes Wachstum im Vergleich zum Vorjahr. Das Problem besteht darin, dass wir erwartet haben, dass die Wirtschaft stärker wächst, und je höher das Wachstum, umso größer fällt der Haushalt aus. Und anfänglich planten wir, mehr Mittel in etliche Vorhaben zu stecken. Heute hat sich herausgestellt, dass die Prognose anders ist. Die Wirtschaft wächst derzeit faktisch, aber langsamer, so dass der Haushaltszuwachs moderater ausfällt. Das heißt, dass wir das Geld sorgfältiger auszugeben haben. Das ist nicht sequester. Und bei all dem müssen wir mit einer anderen Sichtweise an das Wirtschaftswachstum gehen und die Prioritäten bei den Ausgaben gemäß den Möglichkeiten für dieses Projekt klären und die derzeitige Realität berücksichtigen. Ich denke, dass wir ein paar Einschnitte vornehmen müssen. Dies sollte von der Regierung eingeleitet werden, wenn sie am Haushalt arbeitet. KYRILL KLEJMENOW: Bedeutet das, dass die Kürzungsgegenstände noch nicht festgelegt sind? WLADIMIR PUTIN: Da haben Sie recht. Kennen Sie das Risiko, in welches wir laufen könnten, wenn das nicht getan wird? Wir würden den Schritten von jenen Ländern folgen, die in ein großes Defizit gehen und daher Souveränitätsschulden anhäufen. Wenn nichts getan wird, dann steht unser Land 2014 vor einem bestimmten Defizit. Nächstes Jahr würde das noch schwerwiegender sein, im Folgejahr noch schlimmer als zuvor, und am Ende würden wir uns in einer sehr schwierigen Lage befinden. Wenn wir verantwortungsbewusst sind, wenn wir uns vertrauenswürdig finden und wohl etwas bescheidener für einen bestimmten Zeitraum unseres Lebens sind und bei all dem sicher sind, dass nichts zusammenbricht, kracht oder wegbricht, dann müssen wir sorgfältig und professionell vorgehen. Davon spreche ich gerade. KYRILL KLEJMENOW: Was haben die Leute zu erwarten, wenn sie gerade davon sprechen, moderater zu sein. Sollten sie anfangen, für einen verregneten Tag zu sparen, eventuell? WLADIMIR PUTIN: Nein, das sollten sie nicht. Das Einkommen des Volkes ist allgemein gestiegen. Wohl nicht so schnell und nicht für alle Kategorien der Bevölkerung, aber trotz der Tatsache, dass die Wachstumsrate unter unseren Erwartungen liegt, steigen die Einkommen. Die Regierung wird eine Lösung für die Investitionstätigkeiten oder möglicherweise den Sozialbereich vorlegen, ich weiß es nicht. Lassen Sie mich nochmals hervorheben. Das ist eine komplexe und vielgestaltige Arbeit. Ist sie getan, wird die Regierung ihre Vorschläge vorlegen. KYRILL KLEJMENOW: Ich möchte Sie bitten, auf eine weitere kürzliche Geschichte zurückzukommen – den Angriff auf einen Polizeibeamten auf einem der Moskauer Märkte. Und nachdem diese Geschichte große öffentliche Beachtung fand, wurden auf einmal Maßnahmen ergriffen. Und zwar, wie man in unserem Lande sagt, harte Entscheidungen, es wurde eine Menge an Rechtsbrüchen untersucht. Sie wissen, dass das eine merkwürdige Sache ist. Warum erfordert das Untersuchen dieser Rechtsbrüche Ihre persönliche Aufmerksamkeit diesbezüglich und Ihren persönlichen Einsatz? Wir spüren, dass im System der öffentlichen Verwaltung eine große Zahl von, ich weiß es nicht, Konformisten steckt, möglicherweise Katzbuckler, die außerstande sind, unabhängig Entscheidungen zu treffen und schnell sowie wirksam zu handeln. WLADIMIR PUTIN: Ich denke dabei an mich selbst. Wissen Sie, kürzlich habe ich ein Video gesehen, wo junge Männer Drogendealer „abstraften“. Sie griffen sich die Drogendealer in den Straßen und so weiter. Ich habe für mich nachgedacht, dass wohl niemand etwas davon weiß, warum diese Männer das tun müssen… KYRILL KLEJMENOW: Sie, die Drogendealer, werden in Farbe getränkt. WLADIMIR PUTIN: … Ja, sie tun das. Das spricht für die Tatsache, dass mancherorts dies geschieht, weil die Schärfe der Vision verloren gegangen ist. Andernorts werden diese Dinge zur Routine, und an noch anderen Orten ist es das Ergebnis der Korruptheit der Strafverfolgungsbehörden. Es ist eine Kombination solcher Gründe. Gut, wir müssen eben dagegen ankämpfen. KIRILL KLEJMENOW: Ist aber das System noch von Hand kontrolliert? WLADIMIR PUTIN: In einigen Aspekten ist es nicht von Hand kontrolliert, in anderen funktioniert es in seiner normalen gewohnten Art. Aber wenn es scheitert, dann muss jemand mit seiner Hand eingreifen und die Kontrolle herstellen. KYRILL KLEJMENOW: Ist es dasselbe bei der Lage in der Fernostregion derzeit, auf dieser Reise? WLADIMIR PUTIN: Nicht genau dasselbe. Hier kann ich Ihnen nicht zustimmen, denn die Fernostregion stand vor einer unvorhergesehenen Katastrophe. Selbst alte Einwohner dort können sich an derartige Überschwemmungen nicht erinnern. Das ist nie zuvor geschehen, dass das Wasser dermaßen hoch in Chabarowsk, Komsomolsk-am-Amur, im Jüdischen Autonomen Gebiet angestiegen ist. Sie wissen, als ich mit dem Hubschrauber geflogen bin, hatte ich einen Eindruck, als ob ich über ein Meer fliege. Das Einzige, was Dich da wieder zurück auf die Erde bringt, sind die Dachspitzen, die aus diesem ‘Meer’ herausragen. Da versteht man sofort, was für schreckliche Dinge sich unten gerade abspielen. Das Ausmaß dieser Katastrophe ist gigantisch. Und darum denke ich, dass die Einmischung des Präsidenten vernünftig und angebracht ist. KYRILL KLEJMENOW: Die Katastrophe ist in der Tat enorm. Aber genau, nachdem Sie vorschlugen, dass Beamte jenen Haferschleim Balanda essen, welcher den Menschen in den Evakuierungszentren gegeben worden ist, die Situation… WLADIMIR PUTIN: Wie Sie bemerkten, habe ich dort nicht mit meinen Füßen getrampelt, meine Fäuste auf keinen Tisch gehauen, jeden mit einem Schlag gefeuert. Sie sehen, dass die Sache wie folgt ist. Menschen arbeiteten dort Tag und Nacht. Sie kümmerten sich, Gott sei Dank gibt es keine Opfer. So Gott will, wird es keine Opfer geben. KYRILL KLEJMENOW: Keine Plünderungen. WLADIMIR PUTIN: Keine Plünderungen, kein Verbrechen, keine Zunahme bei den Straftaten, usw. Im Allgemeinen arbeiteten sie dort Tag und Nacht. Sie retteten Menschen. Sie evakuierten die Einwohner aus den Gebieten mit den großflächigen Überschwemmungen. Sie dachten, wenn die Menschen zu diesen Armeebaracken evakuiert werden und dies Gott sei Dank lebendig und gesund geschieht, dann ist es gut, dass wir uns mit anderen Dingen befassen können. Aber dies ist nicht gut, es ist unmöglich. Es ist unmöglich, die Leute dort reinzustecken, wie sie schrieben. Sie selbst bemalten Wände und aßen Haferschleim. Ich musste sie daran erinnern, was nicht schlimm ist. Ich entschuldige mich bei den Menschen, die in diesem Zustand belassen wurden. Wenn sich die Beamten vor Ort bisher nicht entschuldigt haben, dann entschuldige ich mich stattdessen. Aber wir sollten die Lage verbessern, die Dinge in Ordnung bringen. Ich denke, dass schon vieles dort getan worden ist. Und niemand wird mehr so etwas wie jene Zeiten durchmachen. JOHN DANISCHEWSKI: Herr Präsident, die Winterolympiade ist nur noch sechs Monate entfernt. Und es sieht so aus, dass alles rechtzeitig fertig sein wird. Vor kurzem bei den Weltmeisterschaften richteten sich viele Augen auf das neue russische Gesetz der Ächtung von schwuler Propaganda. Sind Sie besorgt, dass dieses Problem bei der Olympiade in den Winterspielen wieder ins Licht rücken wird? WLADIMIR PUTIN: Ich hoffe, dass es keine negativen Auswirkungen haben wird, vor allem weil wir keine Gesetze gegen Menschen mit nichttraditioneller sexueller Orientierung haben. Sie haben das jetzt angesprochen. Das ist Ihre Art, eine Illusion unter Millionen von Zuschauern zu erzeugen, dass wir solche Gesetze hätten. Aber wir haben solche Gesetze in Russland nicht. Russland hat das Gesetz zur Ächtung der Propagierung nichttraditioneller sexueller Beziehungen unter Minderjährigen beschlossen. Aber das sind ganz andere Dinge. Zweitens sehen wir Bestrebungen, die gemacht werden, um die vor uns liegenden Olympischen Spiele in Misskredit zu bringen. Dies schließt auch das Ausbeuten dieses Themas ein. Leider sehen wir diese Bestrebungen auch seitens der Vereinigten Staaten. Was ich diesbezüglich sagen will: In unserem Land sind die Rechte der Menschen mit nichttraditioneller sexueller Ausrichtung weder bei der Berufsausübung noch beim Lohn und auch nicht bei ihren Errungenschaften in der Kunst, auf der Arbeit geschmälert, sie sind auch nicht bei der Anerkennung ihrer Ergebnisse durch den Staat zurückgesetzt. Ich meine damit, dass ihnen Orden und Medaillen verliehen werden. Sie sind völlig gleichberechtigt und gleichgestellt in ihren Bürgerrechten als Bürger der Russischen Föderation. Demgegenüber sollten jene, die uns zu belehren versuchen, insbesondere unsere Kollegen und Freunde aus den Vereinigten Staaten, wissen müssen, dass es in den Vereinigten Staaten eine Menge Probleme für die Menschen nichttraditioneller sexueller Orientierung gibt. Wissen Sie zum Bespiel, dass in manchen US-Bundesstaaten die nichttraditionelle sexuelle Orientierung immer noch als Straftatbestand gilt? Insbesondere in Oklahoma, wie mir erzählt wurde, und in Texas. Gut, wahrscheinlich sind jene, die mir das erzählten, Irrtümern unterlegen, und Sie sollten dies mal nachprüfen. Aber wenn das wirklich stimmt, dann sieht die Lage wirklich sehr merkwürdig aus. Wenn jene, die selbst nicht als Beispiel dienen können, uns zu belehren versuchen. Was die Statistiken angeht, so machen einige unabhängige Nichtregierungsorganisationen solche Statistiken auf, sie nennen es so. Ich sage nicht, dass das stimmt. Aber sie sagen, dass in einigen Firmen die Amerikaner mit nichttraditioneller sexueller Orientierung sogar beim Lohn herabgesetzt werden. Und sie sagen, dass sie dazu Statistiken haben. Ich weiß das nicht. Es sollte nachgeprüft werden. Aber die Tatsache, dass die nichttraditionelle sexuelle Orientierung als Straftat gilt, wissen Sie, eine solche Missgeburt wurde in unserem Land vor langer Zeit abgeschafft. Wir hatten nach meiner Erinnerung den Artikel 120 im Strafrecht der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR), welcher die nichttraditionelle sexuelle Orientierung unter Strafe stellte. Das alles ist vor langer Zeit abgeschafft worden. Wir haben so etwas nicht! Aber einige Länder haben das. Aber mir scheint, dass wir besser nicht untereinander herumboxen und uns nicht untereinander als Wilde und die andere Seite als die zivilisierten Menschen bezeichnen sollten, sondern die Dinge mit dem Respekt vor den Menschenrechten auf eine unvoreingenommene, professionelle und partnerschaftliche Art anpacken sollten. Und auf diesem Gebiet sollten wir nicht verbiegen, sondern ein objektives Bild zeichnen und zusammen Lösungen suchen. JOHN DANISCHEWSKI: Wenn das Gesetz sagt, dass es ein Verbrechen ist, Propaganda zu machen, würde dies auch solche Dinge wie das Schwenken einer Regenbogenflagge oder das Bemalen des Körpers in Regenbogenfarben einschließen? Ist dies Propaganda für junge Leute? Werden die Besucher und die Sportler sich diese Art von Gedanken machen müssen? WLADIMIR PUTIN: Nein. In Russland gingen die Menschen, die diese Gesetze einführten und dieses Gesetz beschlossen (Ich war übrigens nicht der Initiator) davon aus, dass homosexuelle Eheschließungen keine Kinder ergeben. Russland geht durch harte Zeiten hinsichtlich seiner Demographie. Und wir sind interessierter an intakten Familien und mehr Kindern. Das ist nicht der Hauptgegenstand im gesamten System der Maßnahmen, die auf die Unterstützung der demographischen Prozesse gerichtet sind. Aber ich denke, dass die Urheber des Gesetzes von der Notwendigkeit geleitet wurden, die demographischen Probleme zu lösen. Und wir sind weit entfernt von der Vorstellung, irgendjemandes Rechte zu beeinträchtigen. Und bestimmt nicht während der Olympischen Spiele oder den anderen Massensportereignissen, vor allem der Olympiade, da kann jeder absolut sicher sein, dass Russland aufrichtig den Grundsätzen des Olympiageistes folgen wird, welcher keinerlei Art der Diskriminierung nach Nation, Geschlecht oder sexueller Ausrichtung wie von Ihnen erwähnt zulässt. JOHN DANISCHEWSKI: Sie erwähnten vor kurzem, und mein Kollege tat dies, dass Präsident Obama sich mit den Mitglieder der Lesbisch-Schwul-Bisexuell-Transsexuellen Gemeinschaft (LGBT) treffen möchte. Ist dies etwas, was Sie in Verbindung mit diesen Olympischen Spielen demnächst oder im Allgemeinen zu tun gedenken würden? WLADIMIR PUTIN: Ich habe keine Einwände, wenn jemand von ihnen sich mit mir treffen will. Aber niemand ist mit so einer Initiative bisher gekommen. Wir haben eine ganze Reihe von Gruppen, eine Vielfalt von Organisationen, Vereinigungen. Ich treffe gewöhnlich jeden, der um ein Treffen nachsucht und ein Problem anspricht, welches nach seiner Meinung diskutiert werden sollte. Bisher ist die LGBT nicht mit solchen Vorschlägen gekommen. Aber warum nicht? Ich versichere Ihnen, dass ich mit solchen Leuten arbeite. Manchmal verleihe ich ihnen staatliche Medaillen und Orden für ihre Erfolge auf bestimmten Gebieten. Wir haben völlig normale Verhältnisse. Und es gibt da nichts besonderes, meine ich. Einige Leute sagen, dass Peter Tschaikowsky homosexuell war. Aber wir mögen ihn, obwohl aus einem anderen Grund. Er war ein großer Musiker. Und alle von uns lieben die Musik, die er komponierte. Was also? Man sollte die Dinge nicht aufbauschen. Es ist nichts Schlimmes hierzulande geschehen. JOHN DANISCHEWSKI: Noch mal zu den Spielen, da gibt es einige Sorge vor dem Terrorismus. Ich weiß, dass einige terroristische Gruppen Drohungen gegen die Spiele geäußerte haben. Würden Sie den Besuchern sagen, haben die Besucher den Terrorismus zu fürchten, und welche Art Extramaßnahmen müssten Sie ergreifen? Wir sahen in Boston, dass es schwer ist, Sportereignisse zu schützen. WLADIMIR PUTIN: Die Terroristen bedrohen ständig jemanden. Sobald Sie uns Angst einjagen, gewinnen sie. Was nicht heißen soll, dass wir vor ihren Drohungen die Ohren verschließen sollten. Wir sollten alles tun, was wir tun können, um diese Drohungen scheitern zu lassen und den Terroristen keine Möglichkeit zu geben, ihre Grausamkeit zu zeigen oder ihre mörderischen Handlungen und ihre Hasspolitik umzusetzen. Es ist sicher, dass wir ein breites Spektrum von Schritten mit dem Ziel der Gewährleistung der Sicherheit bei den Olympischen Winterspielen einleiten können. Ich gehe sehr davon aus, dass unsere speziellen Dienste und Strafverfolgungsbehörden diese Aufgabe bestimmt meistern werden. Was könnte darüber hinaus getan werden, um die Sicherheit zu gewährleisten? Diesbezüglich ist die Zusammenarbeit mit den Kollegen von den Strafverfolgungsbehörden hervorzuheben. Ich darf Ihnen dazu erzählen, dass wir diesbezügliche Absprachen mit sowohl unserem Partner USA, dem FBI und den anderen speziellen Diensten, als auch unseren europäischen Partnern haben. Alle diese Leute spüren ihre Zuständigkeit gegenüber den Sportlern, den Sportfreunden und den Zuschauern. Ich hoffe, dass ihre gemeinsame Arbeit effektiv sein wird und die vollständige und absolute Sicherheit der Olympischen Winterspiele in Sotschi gewährleisten wird. JOHN DANISCHEWSKI: Weiter zu den Olympischen Spielen. Ich verstehe, dass Sie derzeit etwa 50 oder 60 Millionen Dollars für Sotschi ausgeben, um dort die Gebäude und die Straßen usw. herzurichten. Können Sie mal erklären, warum sich diese Investition für das Land rechnet? Ich glaube, dass das mehr ist, als irgendein Land jemals für die Olympiade ausgegeben hat. WLADIMIR PUTIN: Dieses Land mag mehr für die Vorbereitung der Spiel ganz allgemein ausgegeben haben, aber es hat bei all dem nicht mehr als jedes andere Land in die Einrichtungen für die Olympiade selbst investiert. Insgesamt 214 Milliarden Rubel werden zur Vorbereitung der Olympiade ausgegeben. Jeder kann leicht nachrechnen, wie viele Dollars das wären, bei einem heutigen Dollarkurs von 33 Rubel. Von dieser Summe stellt die Regierung 100 Milliarden Rubel bereit, während 114 Milliarden Rubel von privaten Investoren stammen. Noch mehr Geld wurde in die Infrastruktur gesteckt. Das war unsere bewusste Entscheidung. Wir taten dies, um den Süden Russlands – und Russland ragt viel stärker in den Norden hinein, attraktiv und komfortabel nicht nur während der Olympischen Spiele, sondern für die Jahrzehnte danach zu machen. Wir wollen, dass unsere Bürger ihr Geld eher hier als im Ausland, in der Türkei, in Europa, Italien usw. im Urlaub ausgeben. Und wir wollen diese Region mit ihrem guten Klima befähigen, Erholungskapazitäten das ganze Jahr hindurch anzubieten. Wir könnten dies auch sehr gut ohne die Olympischen Winterspiele tun. Sie würden verstehen, dass es dann komplizierter wäre, diese stets begrenzten Mittel aus dem Haushalt zu bewilligen. Wie dem auch sei, wenn die Olympischen Spiele anstehen, haben wir keine andere Wahl, als dies zu tun, jenes zu tun, und weiteres auch zu tun. Noch konkreter haben wir Hunderte Kilometer neuer Straßen, Dutzende Brücken und Tunnel gebaut. Wir haben zwei neue Straßen gebaut, (eine davon wurde rekonstruiert, aber von den Tatsachen her war es eher wie ein Wiederaufbau, und die andere Straße wurde vom ersten Spatenstich an gebaut,) zwischen dem Meer und den Gebirgsausläufern. Wir haben eine Bahnlinie zur Verbindung zwischen dem Meeresteil und den Gebirgsauläufern gebaut. Es gibt ein Kraftwerk mit 17 Unterstationen. Wir haben ein neues Gesundheitsversorgungszentrum und 43 moderne Hotels für die Unterbringung von Zehntausenden Menschen gebaut. Ich hoffe, dass all diese Bauten unserem Volk für Jahrzehnte von Nutzen sein werden. Das dafür ausgegebene Geld ist nicht verplempert, denn es wurde ausgegeben, um das Volk der Russischen Föderation zu befähigen, sich an dem zu erfreuen, was für die nächsten Jahrzehnte getan worden ist. Wie ich schon gesagt habe, ist dies für das Volk getan worden und nicht nur, um diesen großen Wettbewerb auszutragen. Gewiss sind die Olympischen Spiele interessant und prestigeträchtig, aber das ist nicht die Hauptsache für uns. Daneben ist noch etwas, was ich für wichtig halte. Ich meine die Förderung der sportlichen Betätigungen und eines gesunden Lebensstils. Wenn ein Land solche sportlichen Hauptereignisse beherbergt, dann steigt die Zahl der sich an Körperkultur und Sport beteiligenden Menschen im Vergleich zum Zeitraum vor dem Ereignis an. Das ist der Hauptgrund, warum wir diese Ausgaben machen. Wofür sollten wir all dieses Geld ausgeben, wenn nicht zum Nutzen unseres Volkes? Wir haben Einnahmen aus unserem Erdöl und Erdgas und geben das Meiste davon auf diese Weise aus. Was gibt es noch weiteres, wie Sie wissen, im Zeitraum von 2008 bis 2010, dem Zeitraum der Wirtschaftskrise, stellte sich die Errichtung der olympischen Bauten als größte Maßnahme gegen die Krise heraus, denn wir schufen Tausende Arbeitsplätze dort und bezogen Fachkräfte aus allen Regionen der Russischen Föderation ein. Wir bauten dort Städte. Das hilft, die Qualität und den Grad unserer Bauorganisationen zu verbessern und erleichtert die internationale Zusammenarbeit (da waren Probleme, die schwierig jemandem zuzuschreiben sind). Ich erwarte sehr, dass die in Sotschi gebildeten Spezialistenteams zumindest teilweise in folgende Infrastrukturvorhaben in den verschiedenen Regionen Russlands einbezogen werden, einschließlich möglicherweise im Süden. JOHN DANISCHEWSKI: Wollen Sie für heute Abend Gold für die russische Hockey-Mannschaft voraussagen? WLADIMIR PUTIN: Natürlich kann ich das. JOHN DANISCHEWSKI: Okay, wir werden es sehen. WLADIMIR PUTIN: Und was werden Sie da sehen? Ich habe Ihnen doch gar nicht erzählt, was meine Vorhersagen sind. JOHN DANISCHEWSKI: Oh, ich dachte, Sie sagten gerade einen russischen Sieg voraus. Oder möglicherweise Schnee, es wird eine Menge Schnee vorhanden sein. WLADIMIR PUTIN: Gut, ich hoffe, dass es eine Menge Schnee geben wird. Ich hoffe, dass all jene, die zu den Olympischen Spielen kommen werden, sowohl die Sportler als auch die Trainer, die Fachleute, die Zuschauer, die Journalisten, sie alle sich selbst in einer festlichen Atmosphäre wiederfinden werden, und dass wir imstande sein werden, die Atmosphäre hervorzubringen, dass wir es schaffen werden, gastfreundliche Gastgeber zu sein, und dass wir Erfolg haben, die Olympischen Spiele auf der höchsten Stufe abzuhalten. KYRILL KLEJMENOW: Herr Präsident, Sie wissen, dass wir alle bis zu einem gewissen Grad vom historischen Hintergrund abhängig sind. Hier steht der 100. Jahrestag des Ausbruchs des 1. Weltkriegs bevor. Das war der Krieg, der zum Zusammenbruch des Russischen Reiches führte. Im Hintergrund lag der Grund für den Zusammenbruch in einem hohen Grad in der Illoyalität der Eliten ihrem eigenen Staat gegenüber. Später konnten ähnliche Ansätze 1991 genauso aufgespürt werden, als die Sowjetunion zusammenbrach. Denken Sie, dass Russlands Eliten heute loyal dem Staat gegenüber sind? WLADIMIR PUTIN: Das ist nicht nur die Frage der Eliten. In der Gesellschaft gibt es immer einige Arten von Bazillen, die diesen gesellschaftlichen oder öffentlichen Organismus zerstören. Aber sie werden dann aktiv, wenn die Immunität nachlässt, wenn die Probleme hochkochen, wenn die Masse des Volkes mit Millionen von Menschen zu leiden beginnt. Wenn diese Millionen Menschen schon glauben, dass die Dinge nicht mehr schlimmer werden können. Wenn sie glauben, lasst uns das irgendwie um jeden Preis verändern, wir werden hier alles zerstören, „wir werden unsere neue Welt aufbauen, und wer nichts war wird alles werden“. Tatsächlich geschah nicht, was man sich erwünschte. Bei der Loyalität oder Illoyalität der Eliten existiert vielleicht möglicherweise so ein besonderes Problem. Ich denke, es war Puschkin, den übrigens niemand verdächtigen könnte, ein Anbeter des Zaren oder des Staates gewesen zu sein. Im Gegenteil, er war freiheitsliebend, ein Freund der Dekabristen. Und es gibt bestimmt niemanden, der daran zweifelt, – aber sogar er sagte einst: „Wir haben eine Menge Menschen, die sich nicht der Regierung, sondern Russland entgegenstellen“. Leider hat unsere Intelligenz eine solche Tradition. Aber dies ist der Tatsache geschuldet, dass die Menschen immer ihr bürgerliches Dasein unterstreichen wollen, ihren Bildungsgrad hervorheben. Die Menschen wollen immer von den besten Beispielen geleitet werden. Gut, es mag sein, dass das unvermeidlich auf einer bestimmten Entwicklungsstufe ist, aber ohne jeden Zweifel war der Verlust der eigenen Identifizierung sowohl im Fall des Zusammenbruchs des Russischen Reiches als auch während des Zusammenbruchs der Sowjetunion katastrophal und verheerend. Wir müssen das im voraus verstehen und für den Staat vorsorgen, in Bedingungen zu geraten, in welche er im Endstadium des 1. Weltkrieges oder zum Beispiel in den letzten Jahren der Sowjetunion geraten war, als sogar die Seife gegen Coupons verkauft wurde. Erinnern Sie sich an eine Anekdote, wenn eine Familie kommt, um eine andere Familie zu besuchen, und sie fragen die Gäste: - Wollen Sie Tee mit Zucker trinken? - Ja, mit Zucker. - Gut, dann werden Sie Ihre Hände ohne Seife waschen. Sie mögen darüber lachen. Aber es scheint, dass die Leute dachten, dass die Dinge nicht noch schlimmer kommen könnten. Aber wir müssen alle verstehen, wenn einmal die revolutionären Veränderungen einsetzen, nicht die evolutionären, sondern die revolutionären Veränderungen beginnen, dann können die Dinge schlimm und immer schlimmer werden. Und ich glaube, dass die Intelligenz dies als erste Schicht begreifen sollte. Und wenn die Intelligenz dies erkennt, sollte sie jeglichen abrupten Schritten und Revolutionen verschiedener Arten und Wesen vorbeugen. Wir haben schon genug gehabt. Wir haben schon so viel experimentiert, sowohl bei Revolutionen als auch bei Kriegen, dass wir Jahrzehnte der Ruhe und der reibungslosen Entwicklung brauchen. KYRILL KLEJMENOW: Hinsichtlich der ruhigen und reibungslosen Entwicklung gestatten Sie mir eine Frage über die Ukraine. Warum wird nichts daraus, sich zusammen ruhig und reibungslos zu entwickeln? Warum können wir keinen gemeinsamen Raum mit Leuten bilden, mit denen wir nebeneinander seit Jahrhunderten gelebt haben, und mit denen wir tatsächlich eine sehr ähnliche Gemütslage haben? Sie treffen sich in der Tat oft mit den ukrainischen Führungspersönlichkeiten. Wo drückt nach allem nach Ihrer Meinung da der Schuh? WLADIMIR PUTIN: Wissen Sie, egal was passiert, und wohin die Ukraine geht, auf jeden Fall werden wir uns manchmal irgendwo treffen. Warum? Weil wir eine Nation sind. Und wie verärgert die Nationalisten auf beiden Seiten auch über meine Worte sein können, und es gibt die Nationalisten in unserem Land genauso wie in der Ukraine, das ist von den Tatsachen her wahr. Weil wir die eine Kiewer Taufkapelle am Dnjepr haben, haben wir gemeinsame historische Wurzeln und ein gemeinsames Schicksal. Wir haben eine gemeinsame Religion, den gemeinsamen Glauben. Und wir haben eine sehr ähnliche Kultur, sehr ähnliche Sprachen, Traditionen und die Gemütslage, wie Sie richtig gesagt haben. Natürlich gibt es einige Besonderheiten und ethnische Eigenarten in allem. Übrigens sind die ukrainische Kultur, die ukrainische Sprache, die Tänze und die Musik wundervoll. Ich für mich bewundere dies stets. Und Sie haben jetzt die revolutionären Ereignisse erwähnt, die nach dem 1. Weltkrieg stattgefunden haben. Ich lenkte Ihre Aufmerksamkeit darauf, und wir haben auch über die Eliten gesprochen. Und was ist daran interessant? Beide, sowohl die Weiße Bewegung als auch die Rote Bewegung bekämpften einander bis zum Tod. Millionen Menschen kamen im Bürgerkrieg um. Aber sie gingen niemals an die Sache mit der Abtrennung der Ukraine. Sowohl die Roten als auch die Weißen verfuhren aus der Integrität des russischen Staates. So weit dieser Teil der Ukraine betroffen war, ist das ein Territorium. Und wir verstehen und erinnern uns, dass wir geboren worden sind, wie ich sagte, an der vereinten ukrainischen Dnjepr-Taufkirche. Russland wurde dort geboren. Und wir alle stammen von dort ab. So geschah es, dass der Teil dieses Territoriums in die Hand verschiedener Staaten fiel, die im Westen dieser Territorien liegen. Und in allen diesen Jahren, in allen diesen Jahrhunderten erlebte das ukrainische Volk viele Entbehrungen. Es litt in der Tat und befand sich in einer demütigenden Lage. Erst nach der Wiedervereinigung der beiden Teile Russlands begann sich dieser Teil der Ukraine zu entwickeln und zu gedeihen. Während der gemeinsamen und vereinten Koexistenz wurde die Ukraine ein großer europäischer Staat, welcher zusätzliche Territorien, Bevölkerung erhielt, und zwar auch wegen Russland, wegen einiger seiner Territorien im Westen. Die Sowjetunion machte solche Austauschdinge und schenkte diese Territorien der Ukraine. KYRILL KLEJMENOW: Sie liegen im Süden. WLADIMIR PUTIN: Ja, im Süden, das spielt keine Rolle. Auf jeden Fall wurde die Ukraine zu einem größeren Staat. Beträchtliche Investitionen wurden in der Infrastruktur, der industriellen Entwicklung und so weiter vorgenommen. Aber heutzutage ist es passiert, dass wir in verschiedenen Staaten leben. Wir sollten uns an die Realität halten. Wir sollen uns an die Tatsache halten, dass eine Großzahl der Ukrainer ihre Selbständigkeit schätzt, und das ist die Unabhängigkeit. Man sollte dies nicht nur akzeptieren, sondern es respektieren. Übrigens ist es nur mit dem Respekt für die gegenseitigen Interessen und mit solchen Ansätzen möglich, allgemeine Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse zu regeln. Hinsichtlich des Integrationsprozesses sollten wir die Ukraine genauso mit Respekt behandeln. Sollte die Ukraine erwägen, dass es notwendig und vernünftig für sie ist, beispielsweise ein Abkommen über eine Freihandelszone mit der Europäischen Union abzuschließen, lasst es so sein. Jedoch sehen wir hier einige Probleme für uns und für sie. Was sind sie? Was bedeuten eine Freihandelszone und eine assoziierte Mitgliedschaft? Ich erinnere mich nicht an die Titel dieser Dokumente, aber ich kenne ihr Wesen. Die Quintessenz liegt darin, dass die Ukraine zusätzliche Verpflichtungen eingeht, die Schutzzölle und die Zollbarrieren abzusenken. Hinsichtlich einer großen Gruppe von Produkten – und was ich sagen werde ist deutlich, dafür muss man kein Spezialist sein – senkt die Ukraine die Importzölle gerade zeitweilig auf null, genauso bei einigen anderen Gütern, sie macht dies bei allen Produkten. Das ist der erste Punkt. Zweitens führt sie europäische Standards und technische Regeln ein. Ich werde das erklären. Wenn die Einfuhrzölle auf null gesenkt werden, dann erscheinen die ausländischen Waren auf dem ukrainischen Markt, wobei ihre eigene Warenproduktion arbeitet, und ihre eigenen Waren genauso verkauft werden müssen. Wir sind besorgt darüber, dass sie in unseren Markt gedrückt werden, und zwar in den Markt der Zollunion aus Russland, Kasachstan und Belarus. Wir stimmten dabei nicht zu. Das wird Probleme für unsere Wirtschaft verursachen. Das ist der erste Punkt. Und zweitens, was bedeutet es, technische Standards auf einen Schlag einzuführen? Dies bedeutet, dass die ukrainischen Firmen alles, beispielsweise einen Fahrstuhl, ein Auto, ein Shirt, Uhren und andere Waren in Übereinstimmung mit den technischen Regeln der Europäischen Union herstellen müssen. Diese Regeln sind gut, aber sehr streng. Firmen in Übereinstimmung mit diesen Regeln arbeiten zu lassen, erfordert milliardendollarschwere Investitionen und Zeit. Ich zweifle, dass dies auf einen Schlag getan werden kann. Und während dies getan wird, werden viele Firmen bereits bankrott gehen, oder sie werden wieder einmal Waren in unseren Markt drücken. Wir werden gezwungen, unsererseits dichtzumachen, und das ist das Problem. Wohin kann das führen? Unsere Wettbewerbsvorteile sind klar. Wir haben eine gemeinsame Infrastruktur im Transportwesen, im Energiebereich. Wir haben eine tiefgreifende Zusammenarbeit, eine gemeinsame Sprache. Dies sind klare Wettbewerbsvorteile. Sie werden verschwinden. Ich kann mir die Entwicklung der ukrainischen Raketen- und Raumfahrtindustrie schwer vorstellen. Sie sind eher von Bedeutung, und die Raketen- und Luftfahrtbereiche. Ich kann sie mir nicht ohne unseren Markt vorstellen. Zum Beispiel bei den Flugzeugmotoren. Alle unsere Hubschrauber haben in der Ukraine hergestellte Motoren. Was sollen wir tun? Wie wird sich das entwickeln, oder wird es sich überhaupt nicht entwickeln? Somit besteht die Frage nicht darin, ob wir das wollen oder nicht wollen, dabei bleiben oder nicht dabei bleiben. Wir haben genauso Gespräche mit der Europäischen Union. Wir denken derzeit auch über eine Freihandelszone nach. Wir erwägen gerade den Abschluss eines neuen Rahmenabkommens. Ich habe unsere europäischen Partner seit langem kennengelernt und kenne sie sehr gut, das sind nette Kerle. Ich kann ein Glas Bier mit ihnen trinken, ein Gläschen Schnaps mit ihnen trinken, ein Glas köstlichen französischen oder italienischen Wein mit ihnen trinken. Aber wenn sie sich an den Verhandlungstisch setzen, dann werden diese Menschen sehr hartnäckig, pragmatisch. Und etwas von ihnen zu bekommen, wissen Sie, das ist eine schwierige Aufgabe. So schien es mir, dass wenn wir zusammen einige Grundsätze mit ihnen innerhalb unseres gemeinsamen Wirtschaftsraums festlegen, dann würde es für die Europäer schwieriger werden, mit uns als einer russisch-ukrainisch-kasachisch-belorussischen Zollunion insgesamt zu sprechen, als wenn sie mit uns als getrennten Staaten sprechen, vor allem direkt mit nur der Ukraine. Wir werden sehen, was die ukrainische Führung entscheiden wird. Egal welche Entscheidung gemacht wird, wir werden sie mit Respekt behandeln und unsere Arbeit fortsetzen. Aber die Frage ist schon, wie wir dann arbeiten, was wir werden tun müssen, um unsere eigenen Interessen zu schützen. Wir werden sehen. JOHN DANISCHEWSKI: Vor kurzem sprachen Sie über die Intelligenz, die loyale Intelligenz. Und ich fragte mich dabei zwei Sachen. Was denken Sie über jene Russen, die Russland verlassen und ins Ausland gehen? Ist das von ihnen illoyal, in dieser Zeit das Land zu verlassen? Und dann fragte ich mich auch über die Moskauer Bürgermeisterwahl, wo die Hauptfigur der Opposition ein Kandidat ist. Ist es richtig für ein führendes Mitglied der Opposition, Bürgermeister der Hauptstadt zu werden? WLADIMIR PUTIN: Der erste Teil der Frage ist über jene, die derzeit weggehen. Wie Sie wissen, sind wir ein offenes Land, Gott sei Dank. Die Tatsache, dass die Menschen in unserem Land die Möglichkeit haben, ihren Wohnort und ihren Arbeitsort zu wählen und dies unabhängig tun, ist eine großartige Errungenschaft des modernen Russlands. Sie können die Menschen nicht dafür verurteilen, dass sie gegenwärtig nach einer geeigneten Arbeit suchen und sie irgendwo außerhalb der Russischen Föderation finden. Unser Ziel ist nicht das „Abgreifen und nicht Weglassen“, wie wir sagen, sondern hier in der Russischen Föderation für uns alle und durch uns selbst faire Lebensbedingungen und Löhne für hochqualifizierte Fachkräfte zu schaffen. Wir machen gerade ein paar Fortschritte bei einigen Problemen, sind aber immer noch dabei, andere Probleme zu lösen. Ich kam gerade aus der Fernostregion zurück, wo ich in der neu eröffneten Universität mit Experten aus dem neuen medizinischen Zentrum der Universität gesprochen habe. Es gibt dort Spezialisten, die aus dem Ausland zurückgekehrt sind. Es gibt dort einen Arzt, der aus Singapur zurückgekommen ist. Wenn ich mich recht entsinne, war er dort in einer guten Anstellung, ein netter Arzt und guter Spezialist. Ich fragte ihn „Warum kamen Sie zurück?“. Er antwortete „Nun gut, da geht es um die guten Möglichkeiten, eine Chance für die Arbeit mit dieser Ausstattung, und um das Arbeiten in ausgezeichneten Bedingungen. Eine Chance heimzukehren, in die muttersprachliche Umgebung – ich machte das mit großem Vergnügen“. Dasselbe spielt sich in einigen wissenschaftlichen Bereichen ab. Arbeitskraft, natürlich relativ auszusprechen, Leute, besonders hochqualifizierte Fachkräfte suchen stets nach dem besten Platz, um ihr Wissen und ihre Kenntnisse einzusetzen. Das ist völlig normal. Wir müssen daran arbeiten, damit jene, die weggegangen sind, wieder zurückkommen, und Bedingungen für jene geschaffen werden, die hier arbeiten, und sie dadurch hier halten. Für Forscher ist dies ein Laboratorium, ein Wohnplatz, Hausprobleme, und der Lohn. Das kann nicht alles auf einmal getan sein, es sollte sich schrittweise entwickeln. Noch mal, wir machen gerade Fortschritte bei einigen Dingen und versuchen noch, andere Probleme zu lösen. Aber wir kennen die Richtung, in die wir uns bewegen müssen. Nun zur Wahl des Moskauer Bürgermeisters. Egal, wer von den Moskauern gewählt werden wird, die Föderalregierung wird mit jedem künftigen Bürgermeister Moskaus arbeiten, das ist ein unstrittiger Fakt. Dessen ungeachtet liegt heute gemäß den Meinungsumfragen der derzeitige Bürgermeister von Moskau, Sergej Sobjanin, vorn. Er hat über 60% der Stimmen. Ich entsinne mich nicht an die genaue Zahl. Alle diese Angaben kommen von verschiedenen unabhängigen Soziologen. Ich denke, dass sie objektiv sind. Ich habe keine Zweifel daran. Er ist sehr erfahren, ruhig, nicht zu öffentlich und in gewisser Weise ein stiller Mensch. Ich mag solche Leute. Er spricht weniger und handelt dafür mehr. Mir scheint, dass das Volk dies spürt. Und das ist sehr wichtig. Wenn jemand von der Opposition gelingt, ihn zu überholen, dann soll es so laufen, er wird arbeiten. Bei all dem sind große Erfahrung und Kenntnisse notwendig, um eine Metropole wie Moskau zu regieren. Es reicht nicht zu brüllen „Hilfe, haltet den Dieb!“ oder „Morgen stecken wir jeden wegen Korruption ins Gefängnis“ oder „Morgen werden wir kommen und jedem von euch 1000 Rubel geben und dann weitere 5000 Rubel“. Das ist gewöhnlich Wahlkampfagitation. Aber um systematisch zu arbeiten, ruhig, ohne Skandal und ohne viel Aufhebens, das ist sehr viel schwieriger. Ich denke, dass Sobjanin weiß, wie das zu tun ist. Wir werden die Ergebnisse sehen. JOHN DANISCHEWSKI: Herr Nawalny, ich glaube, dass nach seiner Verurteilung zur Gefängnisstrafe Tausende Menschen spontan auf die Straße kamen, und am nächsten Tag wurde er gegen Kaution freigelassen. Ist es in diesem Land normal, dass das Gericht auf den Protest in dieser Weise reagiert? Waren Sie von dieser Gerichtsentscheidung überrascht? WLADIMIR PUTIN: Das ist keine Haltung für die Opposition. Das ist eine Haltung für einen Menschen, der laut den Strafverfolgungsbehörden Rechtsbruch begangen hat. Wo auch immer dieser Gentleman erscheint, hat er immer etwas im Auge, wie man sagt, bringt er immer ein Problem mit sich. Das ist entweder ein Alkoholproblem, oder eine gestohlene Alkoholbrennerei, oder ein paar Probleme bezüglich des Waldes, oder er fordert, dass er etwas über einige im Ausland tätige Firmen herausgefunden hat, welche er nicht deklariert hatte. Das ist eine offenkundige Tatsache. Um über den Fall zu sprechen, den Sie erwähnten. Ich bin mit den Einzelheiten nicht vertraut. Aber was ich weiß, dass es Schuldurteile in diesem Fall gibt. Darüber hinaus sind Leute damit einverstanden, die schuldig gesprochen worden sind und es ablehnten, die Entscheidung des Gerichts anzufechten. Daher ist hier nicht der Fall, dass ein Oppositioneller gerade inhaftiert wird, weil er die Behörden kritisierte. Es gibt Dinge, die es wert sind, darüber nachzudenken und sie zu diskutieren seitens des Gerichts und der Strafverfolgungsbehörden ganz allgemein. Allerdings ist die Fähigkeit, sich auf das beliebte Thema der Korruption zu stürzen, nicht gleichbedeutend mit der Fähigkeit, eine 12-Millionen-Einwohner-Stadt zu regieren, und mit der Fähigkeit, die Korruption auf seine eigene Weise zu bekämpfen. Wenn übrigens eine Person das Thema Korruption aufwirft, dann muss er selbst ein spurlos sauberer Mann sein. JOHN DANISCHEWSKI: Denken Sie, dass die hier in Russland vorhandenen Oppositionsparteien wirklich unabhängig sind? Oder muss da jemand in gewisser Weise mit dem Kreml arbeiten, um in das jetzt vorhandene politische System zu passen? WLADIMIR PUTIN: Jeder arbeitet auf seine Weise. Ich denke, dass die Situation ganz dieselbe ist wie in den USA oder in irgendeinem anderen Land. Allerdings gibt es natürlich Situationen, und es gibt einige politische Gruppen, die es vorziehen, keinerlei Kontakte zu haben. Allerdings ist das eine Straße in das Nirgendwo. Das ist ein Weg in die Konfrontation und die Unordnung. Allerdings ist die Zahl unterschiedlicher Parteien, die bei den Wahlen auf verschiedenen Ebenen wie den örtlichen oder regionalen vertreten sind, angewachsen. Und das ist eine Tatsache. Die Zahl solcher Parteien ist vielfältig gestiegen. Sind sie unabhängig oder nicht? Natürlich! Sie sind völlig unabhängig! Nachdem dies gesagt ist, gibt es politische Parteien, die gerade versuchen, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. Sie versuchen, Veränderungen in den Handlungen der ausführenden Behörden vorzunehmen. Es gibt einige Parteien, die einfach kritisieren und scheinbar rationellere und effektivere Lösungen für die Probleme geltend machen, denen sich eine bestimmte Region oder das Land im Allgemeinen gegenübersieht. Allerdings ist die Tatsache offenkundig, dass sie unabhängig sind. Sie haben schon einige unserer Oppositionellen erwähnt. Sind sie unabhängig, oder verdächtigen Sie sie dessen? JOHN DANISCHEWSKI: Gut, ich meine, was ich versuche anzusprechen ist, ob es eine Art „zahme“ Opposition gegenüber der „harten“ Opposition gibt. Ich meine, dass ist eine Sache des Grades in einigen Fällen. Sie haben Leute wie Herrn Navalny, den ich schon erwähnte, und der das System von außen sehr stark anzugreifen scheint. Kann er im politischen System arbeiten und erfolgreich sein? WLADIMIR PUTIN: Dieser Mann hat ein sehr beliebtes Thema, die Korruption, benutzt. Wie ich schon gesagt habe, muss man ein Mann mit integrem Charakter sein, um die Korruption zu bekämpfen. Leider deswegen hege ich den Verdacht, dass dies nur ein Weg ist, um ein paar Punkte zu machen, und nicht das ehrliche Bestreben, die Probleme zu lösen. Aber auf jeden Fall sollten Sie vernommen haben, was die anderen Parteivorsitzenden, beispielsweise die Kommunisten oder die Unterstützer von Faires Russland (was eine unserer politischen Parteien ist) über die Behörden zu sagen haben, die Art ihrer Kritik an ihnen. Herr Schirinowsky kritisiert manchmal die föderalen oder die regionalen Behörden sehr drastisch. Es gibt Dutzende Parteien, die gar nicht im Parlament vertreten sind. Ich will nicht weniger Kritik haben, ich will sie nur in einer mehr literarischen Sprache formuliert haben. Ja gut, so viel für eine politische Kultur in unserem Land. Ich denke, dass wir mit der Zeit positive Veränderungen in dieser Richtung auch sehen werden. JOHN DANISCHEWSKI: Zur politischen Philosophie, – ich denke, dass Ihre politische Philosophie noch etwas von einem Mysterium hat. Ich will Sie nur fragen. Sind Sie ein Liberaler? Sind Sie ein Konservativer? Sind Sie ein Marxist? Sind Sie ein Pragmatiker? Was sind Ihre politischen Wegweiser? WLADIMIR PUTIN: Ich meine, dass ich mich selbst einen Pragmatiker mit einer konservativen Perspektive nennen kann. Es wäre schwer für mich, dies zu erklären. Aber ich nehme mich stets der Realitäten von heute an. Ich greife die Lehren aus der Distanz auf und ziehe die jüngste Vergangenheit in Betracht. Ich versuche, diese Ereignisse und diese Erfahrung aufzugreifen und wende sie auf die Zukunft mittel- und langfristig an. Bitte bestimmen Sie für sich selbst, ob dies ein pragmatischer oder ein konservativer Ansatz ist. JOHN DANISCHEWSKI: Gut, ich denke, dass eine Menge Menschen konservativer werden, je älter sie werden. Ich meine, sie starten bei den Linken… WLADIMIR PUTIN: Ich meine, dass Sie da recht haben. Allerdings denke ich noch, dass es Sinn macht, dass der Konservatismus nicht Stagnation bedeutet. Der Konservatismus gründet sich auf traditionelle Werte. Aber gleichzeitig hat er ein Wesenselement, welches ein Ziel für die Entwicklung ist. Ich denke, dass das ein Grundwert ist. Es ist die gemeinsame Praxis für die Konservativen in allen Ländern, die Mittel und die Vorkehrungen für das Wirtschaftswachstum anzuhäufen. Und dann kommen die Revolutionäre und teilen dies alles auf die eine oder andere Art aus. Bei all dem können die Vertreter der linksgerichteten Bewegungen oder Parteien und die Radikalen auch die Revolutionäre sein. Sie teilen alles aus, und jedermann ist glücklich. Dann kommt der Moment der Enttäuschung, weil sich herausstellt, dass alles aufgegessen und ruiniert ist, und es an der Zeit ist, wieder zu akkumulieren. Die Menschen erkennen dies und wenden sich wieder den Konservativen zu. Die Konservativen beginnen wieder zu arbeiten, sie akkumulieren etwas. Aber dann wird ihnen gesagt, dass es genug ist. Und die Zeit ist gekommen, es wieder auszuteilen. Daher ist dieser Kreislauf ein Bestandteil der politischen Spielarten. KYRILL KLEJMENOW: Ich möchte Ihnen eine Frage über das in verschiedenen Blogs nach Ihrem Urlaub diskutierte Thema stellen. WLADIMIR PUTIN: Meinen Sie den Hecht? KYRILL KLEJMENOW: Zuallererst den Hecht, in der Tat. Die Leute haben darüber gesprochen und dabei versucht, sein Gewicht mit Hilfe des Fotos herauszubekommen, zu sehen wie lang und dick er ist. Und dann begannen die Leute zu sagen, dass diese Geschichte ein Fake ist, denn Sie trugen dabei dieselbe Kleidung und Uhr wie auf einem wenige Jahre zuvor gemachten Foto. WLADIMIR PUTIN: Erstens trage ich stets dieselbe Uhr, aber die Kleidung ist neu. Sie sieht genauso aus, aber nur, weil es sich da um die Jagdtarnung handelt. Aber sie ist neu. Sie wurde für diesen Ausflug gekauft. Zweitens fing ich wirklich jenen Hecht. Das erste Mal in meinem Leben fing ich einen so großen Hecht. Es war ein 250-300 Gramm schwerer Fisch in dem Hecht drin. Ich denke, dass er darum so schwer war. Ich versuchte drei Minuten lang, ihn rauszuholen, der Ablauf wurde aufgenommen. Diese Erfahrung veränderte meine Einstellung zum Sportangeln. Ich war nicht sonderlich begeistert über das Angeln gewesen, aber dieser Fang hat mein Denken darüber verändert. Übrigens wurde der Fisch mit einem kleinen Blinker gefangen, der in Krasnojarsk von einem kleinen Familienbetrieb mit dem Namen „Tsaryba“ hergestellt worden ist. Das ist ein kleines Unternehmen. Der Blinker selbst wird auch als „Tsar-Ryba“ („Zarenfisch“) bezeichnet. Ich machte absichtlich ein Foto und wollte es an die Hersteller senden, aber ich habe nicht die Zeit. Hoffentlich komme ich eines Tages dazu. KYRILL KLEJMENOW: Das wäre eine gute Werbung! WLADIMIR PUTIN: So sei es! Sie verdienen diese Werbung, ihr Produkt arbeitet Erfolg bringend. Ich denke jedoch nicht, dass es so überraschend ist, dass so ein schlechter Angler wie ich dort so einen Hecht fing, denn es waren beinahe gar keine Menschen dort. Zurzeit gibt es keine Menschen dort. Die nächste Siedlung liegt 300 Kilometer entfernt von diesem See. Das ist ein Bergsee auf einer Höhe von 1700 Metern. Es gab dort niemanden, um an diesem See zu fischen. Daher war das nicht wirklich schwer. Offenkundig war das kein Heldentum nach allem. Allerdings werde ich nach diesem Tag wohl professionell mit dem Angeln anfangen. Ich habe wirklich Freude daran gefunden. KYRILL KLEJMENOW: Danke. WLADIMIR PUTIN: Vielen Dank. Quelle: http://eng.news.kremlin.ru/news/5935 Anmerkungen von Jens-Torsten Bohlke *Die englischen Worte „arrest“ und „unrest“ klingen sehr ähnlich, so dass es hier zu einem Übersetzungsfehler kam, der sich in den übersetzten Worten „Inhaftierung“ und „Unruhe“ äußerte.

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