Sonntag, 21. Juli 2013

Das linke Bündnis Syriza wird zur Partei

Alexis Tsipras wandelt sich zum Realpolitiker, Regierung entlässt Lehrer und argumentiert mit einer gefälschten OECD-Studie Die Regierung in Athen wurschtelt sich buchstäblich durch die Krise. Nahezu jede Forderung der Kreditgebertroika wird erfüllt. Unter anderem Vorzeichen spielt bei der größten Oppositionsgruppe SYRIZA das gleiche Stück. Das zur Partei werdende Bündnis sucht nach Kompromissen, die allen gefallen. Allen Nachrichten gemeinsam ist, dass es sich prinzipiell um Kopien bereits gescheiterter Vorgänge handelt. Ein Gründungskongress mit Misstönen Vom 10. bis 14. Juli fand im Athener Taekwondo Stadion der Gründungsparteitag von SYRIZA-EKM statt. Alexis Tsipras, bisheriger Vorsitzender des SYRIZA-EKM-Bündnisses hatte entschieden, die bisherigen Bündnisparteien auflösen zu lassen. Er möchte als Vorsitzender einer Gesamtpartei die Linke regierungstauglich machen. Nicht alle bisherigen Bündnispartner goutieren dies. Vor allem der knapp einundneunzigjährige Manolis Glezos wehrt sich dagegen, seine Bewegung der aktiven Bürger aufzulösen. Aus Protest trat er seinen Sitz im Parteitagspräsidium nicht an. Tsipras half sich kurzfristig aus. Captain Gianoutsos, der letzte lebende Kämpfer aus der Eliteeinheit von Aris Velouchiotis nahm Glezos Platz ein. Für den greisen Giaoutsos war es nach eigener Aussage gegenüber Telepolis "eine Ehre, die mir fünf weitere Lebensjahre schenkt". Vom Symbolcharakter her zeigte Tsipras Schachzug seine Intention. Er sieht sich als wahrer Verfechter der Linken. Dabei beschränkt sich Tsipras Zielsetzung nicht nur auf Griechenland. Er möchte in ganz Europa für ein Ende der Sparmemoranden und der bankenzentrierten Politik sorgen. Zu diesem Zweck waren neben Pierre Laurent, dem Generalsekretär der Parti Communiste Français (PCF) und Vorsitzenden der Europäischen Linken, und Tobias Pflüger von der Linkspartei nahezu sämtliche internationalen Vertreter linker Parteien geladen. Es gab Repräsentanten aus den afrikanischen Staaten, Südamerika und sogar Afghanistan. Der internationale Flair lenkte ein bisschen von den innerparteiischen Zerreißproben ab. Schließlich geht es für Tsipras bunte Truppe um ein regierungstaugliches Parteiprogramm. Seit 2009 hat sich der Wählerzuspruch von normalerweise vier bis fünf Prozent auf satte 29 bis 30 Prozent katapultiert. Glezos und seine Fans vermuten, dass das Bündnis als Sammelsurium der traditionell untereinander in Detailfragen zerstrittenen griechischen Linken der Grund ist. Schließlich leistet sich das Land mit der Marxistisch Leninistischen Kommunistischen Partei und der Kommunistischen Partei der Marxisten-Leninisten außerhalb des SYRIZA gleich zwei Splittergruppen nahezu identischer Ideologie. Für Ideologen wie den gern patriotisch auftretenden Glezos aber auch den prominentesten Vertreter des linken SYRIZA-Flügels, Panagiotis Lafazanis, sollten alle diese Splittergruppen als gemeinsames Puzzle unabhängiger Partner gegen die vorherrschende unsoziale Politik ankämpfen. Tsipras dagegen gibt sich als Realpolitiker. Es versucht, die früheren Stammwähler der einstigen Volkspartei PASOK an sich zu binden. Dafür umwirbt er offensichtlich auch früher der PASOK nahe stehende Gewerkschaftsfunktionäre. Für viele wirkt er daher wie eine Wiederholung von Andreas Papandreou, dem legendären Gründer der PASOK. Ebenso wie "Andreas" als Volkstribun für widersprüchliche Gefühle bei den Griechen sorgte, droht Tsipras Kopie der erprobten Masche auf dem Weg zur Macht, die alte Basis der Linken zu teilen. Noch hält die Partei zusammen. Glezos selbst zerstreute mit einer Rede am Samstag die Gerüchte um eine Spaltung. Das, was am Parteitag von SYRIZA für griechische Parteien einzigartig ist, sind die Diskussionen um jedes Kapitel und jeden Satz des Grundsatzprogramms. Geduldig harren die Kongressteilnehmer während der Diskussionen im Saal aus. Sie erwecken den Anschein, allen Redebeiträgen aufmerksam zuzuhören. Schüler ohne Schulen Weniger ums Zuhören geht es derweil der Regierung. Noch im Juni stoppte sie einen Lehrerstreik mit der militärischen Zwangseinberufung der Lehrer. Antonis Samaras Administration begründete die drakonische Maßnahme mit den anstehenden Zentralabiturprüfungen. Es sei ein Unding, dass die Lehrer die Psychologie der Schüler mit einem Streik erschüttern wollten, hieß es. Weniger um die Seele der Schüler aber mehr um die Begehrlichkeiten der Troika sorgt sich die Regierung nun. Obwohl mehrere Minister und zahlreiche Experten offen zugaben, dass es keinen wesentlichen Einspargewinn gibt, entlässt die Regierung zahlreiche Lehrer. So werden mitten in den Sommerferien die Ausbildungsgänge zum Frisör, Krankenpfleger, Schweißer und zahlreiche weitere Berufe an staatlichen Schulen schlicht abgeschafft. Mehrere tausend Lehrer wurden deshalb mit der Begründung fehlender Planstellen kurzerhand entlassen. Dabei kam es zu einem Novum in parlamentarischen Demokratien. Noch bevor das am Dienstag zur Diskussion stehende Gesetz für diesen tiefen Einschnitt das Parlament passiert, gab das Bildungsministerium am vergangenen Freitag die kompletten Namenslisten der Entlassenen samt deren persönlichen Daten zum Download frei. Nicht erklärt wurde bislang, was mit den knapp 20.000 Schülern pro Jahrgang der dreijährigen Berufsausbildung geschehen soll. Schneller als die Regierung reagierten Privatschulen. Sie versenden Massenmails an griechische Internetbenutzer. Darin werden just jene Ausbildungsgänge angeboten, die an staatlichen Schulen gestrichen wurden, jedoch zum großen Teil bis vor knapp einer Woche vom Bildungsministerium selbst als zukunftssicher beworben wurden. Selbstverständlich verzichten die Griechen künftig auch auf Hausmeister an Schulen und Schülerlotsen. Stolze achtzehn Millionen Euro soll dieser Plan in die Kassen spülen. Wohlgemerkt "soll". Denn bereits jetzt stehen private Wachdienste und Reparaturbetriebe bereit, um sich die künftig anfallenden Staatsaufträge zu sichern. Schließlich hatten sie in der Vergangenheit, bevor der Staat die Leistungen selbst übernahm, gut verdient. Öffentlich Rechtlicher Rundfunk als Regierungssender mit Raubkopien Ähnlich bizarr und wahrscheinlich teuer gestaltet sich der Versuch der Regierung, den staatlichen Rundfunk ERT durch etwas Neues zu ersetzen. Per Gerichtsbeschluss war Antonis Samaras Truppe dazu verdonnert worden, nach der überraschenden Abschaltung der ERT, weiterhin ein öffentliches Fernsehprogramm zu liefern. Obwohl es sich zeigte, dass die abrupte Schließung der ERT den Staat rund 300 Millionen Euro an Vertragsstrafen, Abfindungen, entgangenen EU-Programmen und Verwaltungsaufwand kostet, besteht die Regierung weiterhin auf ihren Schritt. Um die gerichtliche Vorgabe zu erfüllen, sendet nun ein Sender, dessen Namen sich innerhalb der letzten Tage von NERIT zu EDT, dann zu DT und nun wieder zu EDT, Elliniki Dimosia Tileorasis - Griechisches Öffentliches Fernsehen - wandelte. Freie Studios gab es nicht, weil von den bestehenden ERT-Studios aus ein Programm über Internet verbreitet wird. Die offiziell entlassenen Angestellten harren nämlich weiter an ihren Arbeitsplätzen aus. Sie machen rund um die Uhr ein Vollprogramm, bestehend aus Nachrichten, Reportagen und Archivmaterial. Eine Räumung der Studios ist ohne Weiteres nicht möglich. Denn jedem Mitarbeiter wurde sein Arbeitsgerät, ob Computer oder Kamera, persönlich übertragen. Formaljuristisch bewachen die nun nach Regierungslesart als Piraten agierenden, arbeitslosen Fernsehmacher schlicht ihr anvertrautes Staatseigentum. Eine offizielle Übergabe kann erst nach Berufung eines Konkursverwalters und ausgiebiger Inventur erfolgen. Als Piraten agieren derweil die Verantwortlichen des nun offiziellen Staatssenders EDT. Sie senden eigene Nachrichten, die natürlich weitestgehend mit Kritik an der Regierung sparen. Darüber hinaus laufen Spielfilme. Zu dumm, dass niemand auf die Idee kam, sich dafür die Senderechte zu besorgen. Fest steht bisher, dass mindestens ein Regisseur, Roviros Manthoulis, wegen der Verletzung des Copyrights eine Schadensersatzklage einreicht. Gibt es keine passende OECD-Studie, dann erfinden wir halt eine! Eine andere Art Kopie, offensichtlich eine Fälschung, hat derweil das Entwicklungsministerium genannte Wirtschaftsministerium der Presse untergejubelt. Minister Kostis Chatzidakis begründete mit einer von ihm auf Griechisch vorgelegten OECD-Studie, warum die Öffnung der Geschäfte an Sonntagen tausende Arbeitsplätze schaffen und Millionen in die Staatskassen spülen soll. Einem Teil der Presse erschien das suspekt. Die Journalisten konnten sich nicht vorstellen, wie die an sechs Tagen mangels Käufer leeren Läden sich am siebten Tag wundersam füllen sollten. Sie fragen beim OECD nach und erfuhren, dass man dort von der besagten Studie keine Ahnung hat und diese nicht auffinden kann. Den Aufstand gegen die Entweihung des siebten Tags, an dem bekanntlich geruht und gebetet werden soll, probt derweil die Kirchenführung. Was international geächtet ist, muss nur oft genug praktiziert werden Vor etwas mehr als einem Jahr hatte der damalige Gesundheitsminister Andreas Loverdos beschlossen, mit rigorosen Maßnahmen auf Stimmenfang zu gehen (Wie Einwanderer zu "wandelnden Krankheitsbomben" werden). Er ließ Transsexuelle, Prostituierte, Immigranten und jeden, den er für eine wandelnde Gesundheitsgefahr hielt, in Rasterfahndungsmanier festnehmen und zwangsweise auf HIV untersuchen. Wehe den positiv Getesteten. Denn diese blieben in Haft, während Foto, Name und Anschrift mit ministerieller Aufforderung zur Veröffentlichung an die Presse gegeben wurden. 14 Monate später sind zahlreiche der Angeprangerten nach einem Jahr Haft ohne Gesundheitsversorgung gerichtlich frei gesprochen worden. Bei vielen stellte sich die per Schnelltest gemachte Diagnose als falsch heraus. Wie hoch der einklagbare Schadensersatz für die betroffenen Personen ist, ist noch nicht bekannt. Loverdos Nachfolgerin Fotini Skopoulis schaffte die international stark kritisierte Regelung ab. Der seit Ende Juni amtierende Gesundheitsminister Adonis Georgiadis führte sie wieder ein. Georgiadis reagierte auf Kritik an seinem Vorgehen mit dem Spruch, dass "schließlich Gerichte entscheiden können, ob die Regelung illegal ist". Als erste fielen mehrere Präsidiumsmitglieder des Transsexuellenverbands Griechenlands der neuen Regelung zum Opfer. Sie wurden aufgegriffen, inhaftiert, zwangsgetestet und danach entlassen.

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