Montag, 27. Mai 2013

Macht das Private wieder öffentlich, aber zügig! (Henning Venske)

Eines Tages dann, im Jahre 2005, war der Kanzler nur noch pro forma im Amt und die Kanzlerin noch nicht installiert. Im Interregnum vor den Wahlen wurde Deutschland monatelang überhaupt nicht regiert. In dieser Zeit wurde der Beweis angetreten, es könnte auch auf Dauer ohne Regierung gehen: Die Exporte wuchsen, die Aktienmärkte boomten, die Verwaltung funktionierte tadellos, Gebühren und Steuern wurden korrekt erhoben, Gerichte urteilten weise, und die Polizei fahndete, blitzte und prügelte erfolgreich wie immer. Gesetze gab’s mehr als genug, und niemand hoffte auf die Verabschiedung neuer Gesetze. Also, eine Regierung konnte sich das Land wirklich sparen, eine Regierung war der überflüssigste Teil der Bevölkerung, denn bei zunehmender Privatisierung – was soll da noch groß regiert werden? Doch diese Einsicht wurde im Geschäftsbereich des politischen Pfründen-Leasings nicht geteilt: Man setzte eine Propagandistin der sogenannten marktkonformen Demokratie auf den Kanzlersessel, die das Land subito mit einem »Wachstumsbeschleunigungsgesetz« beglückte. Das Gelächter darüber hielt sich allerdings in Grenzen, man wußte ja: Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann sind es hechelnder Aktionismus, Eitelkeit und die Ignoranz deutscher Politiker sowie ihr nie nachlassender Ehrgeiz, sich der Lächerlichkeit preiszugeben. Wenn der deutsche Wirtschaftsminister, ein Spitzen-Virtuose des verbalen Leerlaufs im rhetorischen Hohlraum, der nie müde wird, Floskeln, Phrasen, Blablabla und blanken Unsinn abzusondern, feststellt: »Es geht um die Privatisierung, auch hier sind schon Mitarbeiter in Griechenland vor Ort aus Deutschland, so daß wir also hier auch schon ganz konkret werden helfen können«, dann weiß man sofort: Das geht doch in die Hosen. Denn der deutsche Wirtschaftsminister empfiehlt Griechenland genau solche deutschen Experten, die schon bei der Privatisierung der deutschen Krankenhäuser für viel Freude gesorgt haben, weil die Shareholder, die ja an den Kranken und ihren Krankheiten verdienen, sich als Vorgesetzte und Arbeitgeber selbstverständlich auch darum kümmern, daß immer genügend Kranke zur Verfügung stehen. Das ist eben Gesundheitspolitik im Spannungsfeld des Christentums: einerseits Fürsorge und Barmherzigkeit mit den Siechen und Hinfälligen, andererseits das berechtigte Streben nach Dividende und Einsparungen. Vielleicht denkt der deutsche Wirtschaftsminister bei seiner Empfehlung aber auch an jene hochkompetenten Fachleute, die unsere Post modernisiert haben. Der Mehrheitsaktionär der Deutschen Post AG, die Bundesrepublik Deutschland, optimierte ihre Dividende aus dem Post-Aktienpaket mittels Vernichtung von Arbeitsplätzen. Das heißt, die Managergehälter für die Vorstände kommen nicht aus der freien Marktwirtschaft, sondern letztlich aus dem Sozialhaushalt. Ergo: In den Vorstandsetagen sitzen verdammt teure Sozialhilfeempfänger. Aber diese leitenden Sozialhilfeempfänger zeichnen sich durch eine exzellente Unternehmensführung aus: In ihren Postämtern neuen Stils kann man nicht nur Bleistifte und Bindfaden kaufen, sondern auch Filterkaffee trinken, ein eingeschweißtes Salamibrötchen erwerben und sogar einen Brief aufgeben. Es kann einem allerdings auch passieren, daß die benötigten Postwertzeichen ausverkauft sind. Trotzdem – der Service im Postamt ist ausgezeichnet und flink. Nehmen wir mal an, es vergehen im Durchschnitt fünf Minuten, bis man am Schalter nach seinen Wünschen gefragt wird. Wenn ein Postler pro Stunde zwölf Kunden abfertigt, dann haben diese zusammen also eine Wartezeit von sechzig Minuten erbracht. Wenn sich zwölf Kunden pro Stunde insgesamt sechzig Minuten die Beine in den Bauch stehen, dann heißt das: Bei einem Acht-Stunden-Tag werden von einem Postler auch acht Warte-Stunden produziert. Da auf einem Postamt von sechs Schaltern meistens nur zwei besetzt sind, bedeutet das pro Tag sechzehn Warte-Stunden. In zweieinhalb Tagen produzieren die beiden Postler also mehr Zeit, als ein(e) zusätzliche(r) Angestellte(r) eine Woche lang an einem weiteren Schalter arbeiten könnte. Frage an den deutschen Wirtschaftsminister: In wie vielen Tagen haben die Kunden eines Postamtes eine Vollzeitstelle erstanden? Er weiß es nicht. Na gut, wenn er eines Tages selbst auch privatisiert wird, kann er ja immer noch als Briefmarkenanlecker sein Auskommen finden. Die Deutsche Bahn AG ist zwar ein kundenorientierter Mobilitätsdienstleister, weil sie als gewinnorientiertes Unternehmen Mobilitätshilfe nicht ganz ausschließen kann, aber: Als eine junge Frau aus Lüneburg sich um einen Job bei der Deutschen Bahn AG in Hannover beworben hatte, erhielt sie auch einen Vorstellungstermin, wurde dann aber abgelehnt, weil sie nicht pünktlich anwesend war. Ihr Zug hatte eine Dreiviertelstunde Verspätung ... Doch dem aktuellen Bahnchef verdanken wir den superlativsten aller Superlative. Er behauptete: »Wir fahren im Augenblick mit einer der höchsten Pünktlichkeiten in der Geschichte der Deutschen Bahn.« Wer so redet, der denkt auch mit einer der geringsten Präzisionen in der Geschichte der deutschen Sprache, er ist der optimalste Vorstandsvorsitzendste. Bahnchefs, Regierungschefs und Verkehrsminister haben die Privatisierung vorangetrieben, um aus der Bahn einen Global Player zu machen. Das taten sie, weil Freunde und Sponsoren von ihnen am Börsengang der Bahn verdienen wollten. Und weil sie glauben: Wenn alle Deutschen genügend Aktien haben, braucht überhaupt niemand mehr zu arbeiten, weil die Aktienkurse dann so hoch stehen, daß das ganze Volk von seiner Gesamtarbeitslosigkeit leben kann. Wen wundert’s – zu verbuchen ist letztlich eine katastrophale Fehlleistung. Verwunderlich ist aber, daß keine(r) aus dieser Privatisierungsbande jemals mit straf- oder zivilrechtlichen Konsequenzen bedroht worden ist. Eigentlich müßten alle leitenden Angestellten der Bundesrepublik Deutschland wegen Verschleuderung öffentlichen Eigentums in tiefen feuchten Verliesen angekettet sein. Deutsche Sozialfürsorge, Deutsche Post und Deutsche Bahn galten weltweit mal als Repräsentanten deutscher Wertarbeit. Heraklit aus Ephesos jedenfalls kommentierte die deutsche Wirtschaft schon vor rund 2500 Jahren, also etwa 500 Jahre vor der Bergpredigt, so: »Möge nie der Reichtum euch ausgehen, Epheser, daß offenbar wird, wie verkommen ihr seid.«

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