Montag, 27. Mai 2013

Job-Vermittler drängen Arbeitslose in Zeitarbeit

Arbeitslosen werden oft Zeitarbeits-Jobs angeboten, obwohl es unbefristete Stellen gibt. Das dient einer besseren Vermittlungsbilanz der Arbeitsagenturen und Jobcenter. Von Flora Wisdorff In der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist die Kooperation mit der Zeitarbeits-Branche in die Kritik geraten – und wird nun überprüft. In einem Diskussionspapier namens "Perspektive Qualität" kritisiert der BA-Hauptpersonalratsvorsitzende Eberhard Einsiedler, dass Vermittlungsvorschläge und Stellenvermittlungen vor allem auf das Konto der Zeitarbeit gingen. Zwischen 2007 und 2011 habe sich der Anteil der Vermittlungen in Zeitarbeit massiv erhöht: Während er 2007 noch halb so hoch wie bei der regulären Arbeit war, hätten sich die Werte bis heute angeglichen. Im Boomjahr 2010 hätten sie sogar über demjenigen der regulären Arbeit gelegen. 2007 habe es auf einen Vermittlungsvorschlag in Zeitarbeit 3,1 Vorschläge in reguläre Arbeit gegeben, 2011 habe das Verhältnis bei 1 zu 1,7 gelegen, steht in dem Papier. Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte diese Zahlen. "Die Tendenz ist richtig" sagte eine Sprecherin. Bundesagentur-Chef Frank-Jürgen Weise sieht die Zusammenarbeit mit den Zeitarbeitsunternehmen nun als eine "Fehlentwicklung", die es zu korrigieren gilt: "Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren geändert. Der Vorstand der BA hat deshalb ein Positionspapier namens "Perspektive 2020" erarbeitet. Jeder Erfolg zählt gleich In dem Papier werden auch Fehlentwicklungen der letzten Jahre aufgriffen, die der Vorsitzende des Hauptpersonalrates anspricht. Der Vorstand wird gemeinsam mit Führungskräften, Mitarbeitern und der Personalvertretung die weitere Entwicklung der Organisation beraten", sagte er der "Welt". Hintergrund ist, dass die Arbeitsagenturen und Jobcenter besonders große Anreize haben, in Zeitarbeit zu vermitteln. Die "Integration" – so wird die Vermittlung in einen Job für mindestens sieben Tage genannt – eines Arbeitslosen in die Zeitarbeit zählt genauso als Erfolg wie die direkte Vermittlung in ein Unternehmen. Der Erfolg der einzelnen Agenturen wird auch an der Anzahl der Integrationen gemessen. Da eine Vermittlung in Zeitarbeit einfacher ist, und die Zeitarbeitsunternehmen besonders viele Stellenvorschläge übermitteln, gibt es in dem Bereich eine besonders große Dynamik. Zehn Agenturen erwirtschaften bundesweit laut BA-Informationen sogar zwischen 60 und 69 Prozent ihrer Besetzungserfolge über die Zeitarbeit. "Wir wollen weg von einer Erfolgsbetrachtung, die vor allem Zahlen im Blick hat. Wir wollen uns stärker an Qualität und am nachhaltigen Kundennutzen orientieren", schreibt Einsiedler in seinem Papier. Auch der deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist dieser Meinung: "Es muss mehr auf die Qualität und die Nachhaltigkeit der Vermittlung geachtet werden", sagt auch BA-Verwaltungsrat Wilhelm Adamy. Zeitarbeit endet oft schnell wieder Die vielen Vermittlungen in Zeitarbeit trügen auch zu einem hohen Personalaufwand bei: Rund die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse in Zeitarbeit enden nach weniger als drei Monaten. Dann kommen die Arbeitslosen wieder in die Agentur – und beschäftigen die Vermittler. BA-Vorstand Frank-Jürgen Weise hat das Thema in seinem Positionspapier "Perspektive 2020" nun explizit aufgegriffen – er will die Vermittlungsanreize reformieren: "Eine Erfolgsmessung muss neben den betriebswirtschaftlichen auch volkswirtschaftliche Komponenten (wie Vermeidung volkswirtschaftlicher Folgekosten, Gemeinwohl) und den Aspekt der Nachhaltigkeit sowie des präventiven Handelns erfassen", heißt es da. Das könne dann auch heißen, dass eine Integration in Zeitarbeit anders gewichtet würde als eine Vermittlung direkt in einen Betrieb. Die Zeitarbeit würde in Folge für Vermittler weniger attraktiv. Die Kooperation der Bundesagentur für Arbeit mit der Zeitarbeit lief von Anfang nicht reibungslos: Als die Zeitarbeit im Zuge der Hartz-Reformen liberalisiert worden war und einen beispiellosen Boom erlebte, überschwemmten die Zeitarbeitsunternehmen die Agenturen und Jobcenter mit Angeboten – darunter waren aber auch viele Scheinangebote. Mehr Jobs insgesamt – mehr Zeitarbeit Sie wollten sich so Kunden beschaffen: Indem sie die die Arbeitslosen in ihren Pool holen und in ihre Kartei auffüllen, und dann die Daten parat haben, sobald sie ein passendes Angebot haben. Daraufhin hielten sich die Vermittler sehr zurück, in Zeitarbeit zu vermitteln. 2007 schlossen Arbeitsagenturen und Zeitarbeitsunternehmen dann eine Vereinbarung, die seither die Zusammenarbeit regelt. Darin steht: "Es ist Grundsatz der Agentur für Arbeit, Zeitarbeitsunternehmen wie alle anderen Unternehmen zu behandeln". Im Gegenzug verpflichten sich die Zeitarbeitsunternehmen, Stellenangebote "nur bei tatsächlichem und aktuellem Einstellungsbedarf zu melden". Dass der Anteil der Vermittlungen in Zeitarbeit drastisch zugenommen hat, habe aber auch schlicht mit dem Wachstum der Branche zu tun, betont die BA. Bis zur Finanzkrise wuchs die Zahl auf fast eine Million. Dann gab es viele Entlassungen, denn mit ihnen federten die Unternehmen die Auswirkungen der Krise ab – der flexible Arbeitsmarkt trug dazu bei, dass die Unternehmen den Konjunktureinbruch weitgehend unbeschadet zu überstehen konnten. Zeitarbeit war auch ein Erfolg Im darauffolgenden Aufschwung ist die Branche dann wieder auf rund 850.000 Zeitarbeiter angewachsen. Dass sich das auf die Vermittlungsaktivität der BA auswirkt, ist klar – und es war auch politisch gewollt. Die Zeitarbeit sollte neue Jobs schaffen und den Arbeitsmarkt flexibler machen. Das hat funktioniert. Doch die arbeitsmarktpolitische Funktion der Beschäftigungsform ist umstritten – wie oft sie, wie ursprünglich gedacht, wirklich als Brücke in ein Normalarbeitsverhältnis dient, dazu gibt es unterschiedliche Interpretationen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung spricht von einem "schmalen Steg" – ein Drittel der Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit in die Zeitarbeit kommen, hätten auch nach der Zeitarbeit keinen Job. Den Gewerkschaften ist die atypische Beschäftigungsform ohnehin ein Dorn im Auge, da sie auch Druck auf die Löhne ihrer Mitglieder ausübt.

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