Freitag, 22. Februar 2013

Meint die Bundesregierung, die Hälfte des Territoriums Polens sei eigentlich deutsches Staatsgebiet?

german-foreign-policy vom 20.02.2013 (auf Kommunisten-online am 21. Februar 2013) – Eine aktuelle Stellungnahme der Bundesregierung bestätigt schon seit Jahren bestehende Zweifel am Inhalt des deutsch-polnischen Grenzvertrags. Die Stellungnahme ist in der Antwort der Regierung auf eine Bundestags-Anfrage enthalten, die Aktivitäten ultrarechter deutscher Kräfte in Polen zum Gegenstand hat. So fordert zum Beispiel ein „Eigentümerbund Ost“ die Rückgabe polnischer Grundstücke, die einst deutschen Umgesiedelten gehörten, aber nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet wurden. Polen müsse sich „zu seiner Schuld bekennen“, heißt es in einer Publikation der Organisation. Ihre Aktivisten berufen sich bei ihren Forderungen auf den 1990 geschlossenen Deutsch-Polnischen Grenzbestätigungsvertrag, der die Grenze „bestätigt“, sich einer „Anerkennung“ aber dem Wortlaut nach verschließt. Dies zeige, dass „die territoriale Souveränität über die Ostgebiete weiterhin bei Deutschland verbleibt“, urteilen Juristen in rechten Kreisen. Die aktuelle Stellungnahme der Bundesrepublik setzt derlei Argumentationen nichts entgegen. Sie leiste so, urteilt die Abgeordnete Sevim Dağdelen (Die Linke), die die Bundestags-Anfrage gestellt hat, „faktisch revisionistischen und revanchistischen Forderungen“ Vorschub - Forderungen, für die der Grenzbestätigungsvertrag selbst in der Tat Wege offenhält. Fürbitten für Deutsche Anlass für die Bundestags-Anfrage sind Aktivitäten ultrarechter deutscher Kräfte, die Aggressionen gegen Polen beinhalten. So fordert beispielsweise ein „Eigentümerbund Ost“, Umgesiedelte aus der Bundesrepublik müssten polnische Grundstücke, die ihnen oder ihren Vorfahren bis 1945 gehörten, nach dem Zweiten Weltkrieg aber enteignet und verstaatlicht wurden, umgehend zurückbekommen. „Polen muß sich zu seiner Schuld bekennen!“, fordert der „Eigentümerbund“, der zudem „Fürbitten für Deutsche“ verlangt und stolz auf harte Provokationen in einst zum Deutschen Reich gehörenden Teilen Polens verweist (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Eigentumsforderungen haben in den letzten Jahren auch andere Organisationen der deutschen Rechten gestellt, etwa die „Preußische Treuhand“ [2], für die der „Ehrenpräsident“ des „Eigentümerbundes“, Alexander von Waldow, einst tätig war. Waldow, ein Nachkomme des alten pommerschen Adels, beanspruchte bereits vor Jahren ein Schloss nahe Gorzów Wielkopolski für sich.[3] Er stellt die deutsche Alleinschuld am Zweiten Weltkrieg und den territorialen Bestand Polens in seinen heutigen Grenzen in Frage. Kein Friedensvertrag Waldow und die verschiedenen Organisationen der deutschen Rechten, die die Rückgabe des nach dem Sieg über NS-Deutschland rechtmäßig verstaatlichten Eigentums der Umgesiedelten verlangen und damit zumindest zum Teil Territorialforderungen verbinden, berufen sich immer wieder auf den Deutsch-Polnischen Grenzbestätigungsvertrag vom 14. November 1990. Ihre Argumentation hat Waldow auf exemplarische Weise am 8. Dezember 2012 in einer Rede beim „Eigentümerbund Ost“ erläutert. Demnach sei zunächst in Rechnung zu stellen, dass eine „endgültige Grenzregelung“ nach dem Potsdamer Abkommen „in einem Friedensvertrag“ hätte erfolgen sollen. Einen solchen gibt es tatsächlich nicht: Er hätte Reparationsregelungen enthalten, was die Bundesregierung zu verhindern suchte; der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ ist ausdrücklich kein Friedensvertrag, sondern heißt „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“.[4] Allerdings wurde in ihm festgelegt, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Grenze zu Polen mit einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zu garantieren habe. Dies geschah mit dem erwähnten Grenzbestätigungsvertrag. Nicht anerkannt Darin wurde allerdings, wie Waldow am 8. Dezember festhielt, die Grenze „keineswegs 'anerkannt', wie so häufig fälschlich gesagt“ werde [5]; „diese Grenze wurde lediglich - und das ist so wichtig - 'bestätigt'„. Tatsächlich taucht das Wort „anerkennen“ in dem Vertrag nicht auf: Die Grenzlinie wird „bestätigt“ und für „unverletzlich“ erklärt - neben der Zusicherung, jetzt sowie in Zukunft „keinerlei Gebietsansprüche“ gegeneinander zu erheben. Waldow schließt aus den Differenzen zwischen einer „Bestätigung“ und einer „Anerkennung“, in dem Vertrag sei „keine Grenze (...) anerkannt und schon gar nicht irgendwelches Land abgetreten“ worden. Ähnlich sei „die Grenzsituation 1919“ gewesen - bis zum Zweiten Weltkrieg habe das Deutsche Reich die deutsch-polnische Grenze „nie anerkannt“. Hinsichtlich des verstaatlichten Eigentums der Umgesiedelten ruft Waldow in Erinnerung, „daß die beiden Außenminister zum Vertragsabschluß des Einigungsvertrages ausdrücklich in gegenseitig ausgetauschten Briefen festgehalten haben, daß mit den Verträgen keine Staatsangehörigkeits- und Vermögensfragen geregelt (...), diese Fragen also 'offen' geblieben“ seien. Waldow erklärt: „Sie sind noch immer offen!“ Geduldeter Nutzer Wie verbreitet die Argumentation in rechten Kreisen ist, zeigt beispielsweise das „Handbuch“ der „Deutschen Burschenschaft“, eines Verbandes von rund 90 Studentenverbindungen in Deutschland und Österreich. Der Deutschen Burschenschaft gehören zwischen 8.000 und 9.000 Akademiker an, darunter einflussreiche Personen wie der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion; ihr Handbuch gilt als Grundlagenwerk für alle Verbandsmitglieder. Darin erklärt der Jurist Hannes Kaschkat, der 1976 bis 1982 an der Universität Würzburg das Amt des Vizepräsidenten bekleidete, über den Deutsch-Polnischen Grenzbestätigungsvertrag: „Eine Grenzbestätigung ist generell etwas anderes als eine Gebietsabtretung. Eine Gebietsabtretung bedarf zwingend eindeutiger Vereinbarungen in klaren Formen.“ Kaschkat zufolge unterscheidet der Internationale Gerichtshof zwischen „territorialer Souveränität“ (parallel zum „Begriff des 'Eigentums'„) und „Gebietshoheit“ (entspricht dem Begriff „Besitz“, der „rechtmäßig oder unrechtmäßig“ sein kann). Nach diffizilen Erwägungen kommt der ehemalige Vizepräsident der Universität Würzburg zu dem Schluss, dass Polen eine „geduldete(...) Nutzung“ seiner Westgebiete ausübe, „die möglicherweise eine Art von Gebietshoheit darstellt“, während „die territoriale Souveränität über die Ostgebiete weiterhin bei Deutschland verbleibt“.[6] Jedenfalls faktisch Kaschkat belegt seine Begründungskette in Teilen mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das am 5. Juni 1992 zum Deutsch-Polnischen Grenzbestätigungsvertrag Stellung bezogen hat. „Der Vertrag bestätigt nur“, heißt es darin, „die jedenfalls faktisch seit langem zwischen Deutschland und Polen bestehende Grenze.“ In ihm werde jedoch „nicht mit rückwirkender Kraft über die territoriale Souveränität oder Gebietshoheit in bezug auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete verfügt“. Wie es weiter heißt, sei in dem Vertrag „kein - auch kein stillschweigender - Verzicht auf etwa bestehende Eigentumsrechte oder Ansprüche deutscher Privatpersonen eingeschlossen“. Vielmehr sei deutschen Umgesiedelten, die - wie Waldow - ihr nach Kriegsende verstaatlichtes Eigentum zurückverlangten, „all das geblieben, was sie zuvor hatten: ihrer Ansicht nach bestehende, von polnischer Seite aber nicht anerkannte und daher praktisch nicht durchsetzbare Rechtspositionen und die Hoffnung auf Rückgängigmachung oder zumindest Entschädigung für vor langer Zeit erlittene und ihrer Auffassung nach zu Unrecht zugefügte Verluste.“[7] Verrenkte Vertragsakrobatik In Kenntnis der Tatsache, dass breite Kreise der deutschen Rechten aus dem Wortlaut des Deutsch-Polnischen Grenzbestätigungsvertrages Eigentums- und sogar Territorialansprüche ableiten, zudem gestützt auf ein ausführliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ebendiesem Vertrag, hat die Bundesregierung nun auch in der Antwort auf die neue Bundestags-Anfrage jegliche Formulierung, die derlei Argumentationen etwas entgegensetzen könnte, verweigert. In der Tat wiederholt sie nur die Aussagen des Grenzbestätigungsvertrags und stellt fest, dass „im deutsch-polnischen Verhältnis“ - also zwischen den beiden Staaten - „keine offenen Vermögensfragen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg bestehen“.[8] Die Aussage ist für die gegebene Problematik wertlos; schließlich werden Rückgabeforderungen nicht vom Staat, sondern von Privatpersonen erhoben. Diesen stellt sich Berlin ebensowenig in den Weg wie juristischen Argumentationen, die die Grenzen Polens in Frage stellen. „Die Bundesregierung übt sich in Bezug auf die Anerkennung der Westgrenze der Republik Polen erneut in verrenkter Vertragsakrobatik“, urteilt die Bundestags-Abgeordnete Sevim Dağdelen (Die Linke), die die Parlaments-Anfrage gestellt hat; sie leiste mit ihrer Haltung „faktisch revisionistischen und revanchistischen Forderungen“ ultrarechter Organisationen Vorschub.[9] Vor allem aber offenbart sie dadurch einmal mehr, dass Bonn den Grenzbestätigungsvertrag selbst in einer Weise konstruiert hat, die derlei Forderungen Wege offenhält. [1] s. dazu Hausherren in spe und Zeugen deutscher Anwesenheit [2], [3] s. dazu „Geklautes Land“ [4] s. dazu Totalabwehr [5] Alexander von Waldow: Ein Weg zum Frieden. Vortrag in Berlin 08.12.2012 [6] Hannes Kaschkat: Entwicklung und völkerrechtliche Lage nach 1989, in: Handbuch der Deutschen Burschenschaft, Ausgabe 2005 [7] Bundesverfassungsgericht (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluß vom 5.6.1992 (2 BvR 1613/91 u.a.), EuGRZ 1992, 306 (ZaöRV 54 [1994], 476). Auszüge finden Sie hier. [8] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dağdelen u.a. und der Fraktion DIE LINKE [9] Bundesregierung gefährdet mit „Deutschland-Doktrin“ das deutsch-polnische Verhältnis; Pressemitteilung Sevim Dağdelen, Berlin 19.02.2013

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