Montag, 22. Oktober 2012

Tod im Jobcenter - Peter Schwundeck will die Wahrheit wissen

Justiz: Hat Polizistin wirklich aus Notwehr geschossen? Aschaffenburger Witwer will Gerichtsverfahren erzwingen Die An­ge­hö­ri­gen der in ei­nem Frank­fur­ter Job­cen­ter ge­tö­te­ten Chris­ty Schwun­deck wollen erzwingen, dass sich die Po­li­zis­tin, die schoss, vor Ge­richt ver­ant­wor­ten muss. Die Frank­fur­ter Staats­an­walt­schaft hat ih­re Er­mitt­lun­gen bereits ein­ge­s­tellt. Nun be­an­tra­gen die An­ge­hö­ri­gen der ge­tö­te­ten Deut­schen mit ni­ge­ria­ni­schen Wur­zeln ein Kla­ge­er­zwin­gungs­ver­fah­ren. Der Fall liegt beim Oberlandesgericht Frankfurt. Nach Ansicht des Frankfurter Rechtsanwalts Thomas Scherzberg ist die Staatsanwaltschaft viel zu schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass die Polizistin im Jobcenter aus Notwehr schoss. Für den Aschaffenburger Peter Schwundeck, den heute 45-jährigen Ehemann der Getöteten, bleiben zahlreiche Ungereimtheiten: Diese müssten aufgeklärt werden, bevor die Frankfurter Staatsanwaltschaft die Akten dieses Falls schließt. »Hier ist ein Mensch zu Tode gekommen«, sagt er. Und: »Es ist viel Mist gemacht worden.« Ob die Polizistin tatsächlich aus Notwehr schoss oder ihr fahrlässige Tötung vorgeworfen werden muss, kann nach Ansicht des Anwalts Scherzberg nur eine Gerichtsverhandlung klären. Scherzberg weiß von einer ganzen Reihe von Zeugen, die den Aussagen der Polizistin widersprechen. Diese seien zwar gehört, aber nicht berücksichtigt worden. Nach Ansicht Scherzbergs war die Polizistin mit der Situation überfordert - und hat genau das Falsche gemacht: Natürlich, sagt der Anwalt, könnte auch ein Schuss in andere Teile eines Körpers lebensgefährlich sein. Ein Schuss in den Bauch sei es mit Sicherheit. Klar ist bis jetzt nur, dass ein Streit um ein bisschen Bares am 19. Mai des vergangenen Jahres das dramatische Geschehen ausgelöst hat: Die offenbar von Geldsorgen gebeutelte Christy Schwundeck wollte sich in der Abteilung für Wohnungslose und Menschen mit Suchtproblemen einen Vorschuss abholen. Warum ihr der verweigert wurde, blieb im Dunkeln: Später erklärte die Leiterin des Jobcenters in einer Pressekonferenz, die Auszahlung wäre durchaus möglich gewesen. Ohne das ihr zustehende Geld wollte Christy Schwundeck nicht gehen. »Lieb und freundlich« sei die damals 39 Jahre alte Frau einfach sitzengeblieben, hat ihr Mann erfahren. Keine Rede davon, dass sie im Jobcenter randalierte, wie es in den ersten Pressemeldungen hieß. Wie es dennoch zur tödlichen Auseinandersetzung kam, warum seine Frau das Messer zog - für Peter Schwundeck bleibt das alles ein großes Rätsel. Er kann es sich nur so erklären: Ein paar Tage vor ihrem Tod sei seine Frau zu seinem Geburtstag gekommen. Als sie am 16. Mai schwarz mit der Bahn von Frankfurt nach Aschaffenburg fuhr, sei sie erwischt worden. Die Bahnpolizei fand bei ihr damals das Messer, das sie auch im Jobcenter dabei hatte. Für gut möglich hält es Schwundeck, dass sie die Waffe zwischen ihren Beinen verstecken wollte, als die Polizisten ins Jobcenter kamen. Als der Polizist sie vom Stuhl gestoßen habe, sei es zu einem Gerangel gekommen. Dabei könne sie den Polizisten unabsichtlich mit dem Messer getroffen haben. Den Stich in den Bauch des Beamten wertet Schwundeck als »Panikreaktion« seiner Frau. Der Polizist selbst habe gar nicht gemerkt, dass Christy Schwundeck ein Messer in der Hand hatte. Gesehen habe das nur seine Kollegin, die kurz darauf schoss: »Achtung, sie hat ein Messer«, soll sie den verletzten Polizisten gewarnt haben. Warum die Polizistin die Waffe einsetzte, kann Peter Schwundeck nicht verstehen: »Sie sind doch geschult und müssen wissen, was sie tun«, sagt der Mann, der nach eigener Aussage früher im Sicherheitsdienst eines Atomkraftwerks gearbeitet hat. »Die Polizistin hätte doch einen Warnschuss abgeben oder Reizgas sprühen können.« Auch der Einsatz des Schlagstocks wäre seiner Ansicht nach weniger gefährlich gewesen. Zudem hat Peter Schwundeck gehört, dass zum Zeitpunkt des Schusses überhaupt keine akute Gefahr mehr bestand: Der verletzte Polizist sei da ein ganzes Stück von Christy Schwundeck weg gewesen - und die Polizistin habe vom Gang aus auf die Frau geschossen. Bleibt noch die Frage, warum Christy Schwundeck überhaupt darauf angewiesen war, im Jobcenter um Geld zu betteln - sie war damals doch noch mit Peter Schwundeck verheiratet. »Sie hat nie über Geld geredet«, erinnert sich ihr Mann. »Sie wollte ja arbeiten.« Peter Schwundeck steckte seiner getrennt von ihm lebenden Ehefrau gelegentlich Geld zu. Einen regelmäßigen Unterhalt zahlte er ihr aber nicht: »Ich hatte Schulden«, erklärt er. Erst später habe er erfahren, dass das Jobcenter von den Zahlungen an Christy Schwundeck einen angeblichen Unterhalt des Ehegatten in Höhe von 350 Euro abgezogen hatte. Das tödliche Drama im Frankfurter Jobcenter ist so auch die Geschichte einer gescheiterten Beziehung: Im November 2010 hatte sich Christy Schwundeck von ihrem Mann getrennt. Damals zog sie aus der gemeinsamen Wohnung aus, weil sie sich in Aschaffenburg offensichtlich nicht mehr wohl fühlte. Eigentlich wollte Christy Schwundeck in Frankfurt wohnen und arbeiten. Weil sie in der Bankenstadt aber zunächst keinen Platz im Frauenhaus fand, lebte sie vorübergehend in Wiesbaden, kam kurze Zeit später wieder nach Frankfurt zurück. Noch am Tag ihres Todes habe sie ihn angerufen. Er habe ihr geraten, sich vom Amt Geld geben zu lassen. Wie verhängnisvoll diese Empfehlung war, erfuhr Peter Schwundeck wenige Stunden später. An seinem Arbeitsplatz im Aschaffenburger Schloss seien da plötzlich zwei Männer vor ihm gestanden, die ihm mitteilten: »Ihre Frau ist eines nicht-natürlichen Todes gestorben.« Sofort habe er mit der Arbeit aufgehört. Ein Psychologe habe ihn betreut, der Hausarzt ihn krankgeschrieben. Auch heute noch nimmt ihn das Geschehen vom Mai des vergangenen Jahres sichtbar mit, obwohl er inzwischen - auch diesmal eine Frau aus Nigeria - ein zweites Mal geheiratet hat. Auf eine Reaktion der Behörden wartet er bis heute vergeblich: Weder das Jobcenter noch die Polizei oder die Stadt Frankfurt hätten sich bis heute zu einem Ausdruck des Bedauerns über Christy Schwundecks Tod durchringen können. Wolfgang Dreikorn Hintergrund: Der Tod der Christy Schwundeck Die früher in Aschaffenburg gemeldete Christy Schwundeck ist am 19. Mai des vergangenen Jahres in einem Frankfurter Jobcenter von einer Polizistin erschossen worden. Die Staatsanwaltschaft geht von Notwehr aus: Die 28-jährige Polizistin habe geschossen, weil deren zwei Jahre älterer Kollege von der angeblich randalierenden Frau mit dem Messer angegriffen und durch einen Schnitt in den Unterarm und einen Stich in den Bauch verletzt worden war. Zuvor hatte es im Jobcenter einen Streit gegeben: Der Sachbearbeiter hatte sich geweigert, der Frau einen Vorschuss - die Rede ist von 10,26 Euro - auszubezahlen. Als Christy Schwundeck das Jobcenter nicht verlassen wollte, sei der Sicherheitsdienst gerufen worden. Weil auch der keinen Erfolg hatte, wurde die Polizei alarmiert. Christy Schwundeck soll das Messer gezogen haben, als der Beamte sie aufgefordert habe, ihm ihren Ausweis zu zeigen. Christy Schwundeck starb einige Stunden später in einem Frankfurter Krankenhaus. (wdr)

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