Samstag, 25. August 2012

„Die Wahrscheinlichkeit eines AKW-Super-GAUs in Europa wurde schon berechnet“

Ein Gespräch mit der Physikerin Prof. Dr. Schmitz-Feuerhake zu den AKW-Laufzeiten Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake, Inhaberin des Lehrstuhls für physikalische Physik an der Universität Bremen von 2001 – 2003. Seit 2003 ist sie Vorsitzende des European Comitte on Radiation Risk (ECRR). Wir erinnern uns noch gut an die Katastrophe von Tschernobyl. Besteht denn die Gefahr, dass sich so etwas wiederholt? Anfangs hat man in Deutschland geglaubt, dass man die Atonkraftwerke so sicher auslegen könne, dass es nur beherrschbare Unfallabläufe gäbe. Deshalb wurden die denkbaren Möglichkeiten für den GAU – den größten anzunehmenden Unfall – berechnet. Dessen Auswirkungen verhielten sich dann in einem – vom gesellschaftlichen Nutzen der Technik her gesehenen – vertretbaren Rahmen. Der nicht beherrschbare Unfall, der Super-GAU, führt zur Überhitzung des Kernbrennstoffs mit der Folge des Schmelzens und damit des Freiwerdens der gesamten im Reaktor vorher eingeschlossenen Radioaktivität. Das würde passieren bei Verlust des Kühlwassers entweder wenn der Reaktorkessel platzt oder wenn die Kühlmittelzufuhr nicht funktioniert. !979 erfolgte eine Kernschmelze und damit ein Super-Gau im amerikanischen Atomkraftwerk Three Mile Island und damit in einer Anlage nach westlicher Bauart wie bei uns. Die Auswirkungen wurden von Betreibern und Behörden vertuscht. Man begann aber daraufhin, auch die Wahrscheinlichkeit und die Auswirkungen von Kernschmelzen zu berechnen. Im Rahmen der „Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke“ ergab eine Modellstudie für die Anlage Biblis B im Jahr 1989, dass 3 nicht beherrschbare Unfälle in 100000 Jahren zu erwarten seien. Als Auswirkung wurden 10.000 Soforttote und 200.000 Spättote erwartet, ferner müssten große Gebiete für lange Zeit evakuiert werden. Für die 146 AKWs in der EU musste danach bei 40 Jahren Laufzeit 1 solcher Unfall alle 17 Jahre erwartet werden. Von den schwer berechenbaren Auswirkungen abgesehen ergibt diese Studie, dass der Super-Gau eben nicht für unmöglich gehalten werden kann. Auch liefert sie keine Angabe über den Zeitpunkt des Ereignisses, das somit auch morgen eintreten kann. Werfen wir einmal einen Blick auf den „Normalbetrieb“ eines AKWs. Gehen davon Gefahren aus oder wird das alles gut kontrolliert? Auswirkungen des Normalbetriebs auf die Bevölkerung wurden in der Vergangenheit in verschiedenen Ländern mannigfach belegt. Gerade in Deutschland ist in offiziellem Auftrag systematisch geforscht worden. 2007 kam man zu dem Ergebnis, dass Kleinkinder in der Umgebung von den Atomkraftwerken vermehrt an Krebs erkranken, insbesondere an Leukämie, der typischen Strahlenkrankheit. Offiziell wird bestritten, dass die radioaktiven Abgaben der AKWs ausreichen, um einen solchen messbaren Effekt hervorzurufen. Eine andere halbwegs plausible Erklärung als Strahlung gibt es jedoch nicht. Diese Auswirkungen erreichen natürlich nicht annähernd die Ausmaße eieiner denkbaren Reaktorkatastrophe oder von Leckagen eines Endlagers in der fernen Zukunft. Sie bedeuten aber einen Super-GAU für die Überwachung. Offensichtlich kennt man weder die Menge und Art der abgegebenen Radioaktivität genau wegen eines mangelhaften Konzeptes der Kontrolle noch weiß man ausreichend gut, wie diese Stoffe sich in der Umwelt verhalten, zum Menschen gelangen und dort wirken. Für das Beispiel Krümmel konnten wir das im Rahmen einer Untersuchungskommission feststellen: es gab sowohl eine Umgebungsradioaktivität oberhalb der genehmigten Werte als auch eine mit Mitteln der biologischen Dosimetrie (Chromosomenveränderungen) feststellbare Strahlenbelastung der Bevölkerung weit oberhalb der genehmigten Grenzwerte. Die offiziellen Behauptungen über die maximal möglichen Dosiswerte, die in der Bevölkerung erreicht werden können, beruhen auf Modellrechnungen, deren Fehlergrenzen niemand kennt. Diese Modelle mit den eingehenden metereologischen, ökologischen und biologischen Parametern werden aber auch benutzt, um die Auswirkungen schwerer Unfälle und der Abgaben aus Endlagern zu berechnen. Die Vorhersagen sind daher beliebig in Frage zu stellen. Atomkraftgegner fordern die Stilllegung aller AKWs – würden Sie zustimmen? Wegen der vielen Opfer, die die Atomtechnik schon gefordert hat, der hohen Gesundheitsschädlichkeit ihrer laufenden Emissionen und der unkalkulierbaren Risiken für die Zukunft kann ich nur die sofortige Stilllegung fordern.

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