Sonntag, 15. Juli 2012

Anti-Porno-Kampagne bei EMMA

AVIVA-Redaktion EMMA ruft PorNO! Alice Schwarzer initiiert zum dritten Mal eine Anti-Porno-Kampagne. Dazu hat EMMA ein Dossier veröffentlicht über Pornographie und die Pornographisierung von Medien, Mode und Kultur Nachdem der Stern-Prozess (1978) und die PorNO-Kampagne (1988) folgenlos blieben, will EMMA mit ihrem aktuellen PorNO-Dossier zu der so dringend notwendigen gesellschaftlichen Debatte über Pornographie beitragen, und erneut zum Handeln aufrufen. Dabei geht es EMMA nicht nur um Gesetze, es geht vor allem um das gesellschaftliche Bewusstsein für die Frauenfeindlichkeit von Pornographie. Das PorNO-Dossier zieht eine Bilanz der Geschichte der Pornographie (seit der Legalisierung 1976) und der Kritik daran - es resümiert den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und benennt auch den Anteil von Frauen an der allgemeinen Pornographisierung. EMMA untersucht ebenso die Rolle, die deutsche Rapper (Bushido, Sido u.a.), sowie das Medienphänomen Paris Hilton oder die UserInnen von MySpace spielen. Es geht zudem um die Wahrheit der Produktionsbedingungen von Pornos und ihre Inhalte. Und es soll eine Gegenwehr geben, für die EMMA konkrete Vorschläge in Form eines 10-Punkte-Handlungskatalogs entwickelt hat. Zusätzlich kann man/frau mit PorNO-Sticker oder den PorNO-eCards auf das Thema aufmerksam machen! Seit der letzten PorNO-Kampagne (1988) von EMMA ist die Pornographisierung der Gesellschaft auf erschreckende Weise vorangeschritten. PädagogInnen, PsychologInnen und KriminologInnen sorgen sich, ExpertInnen schlagen Alarm: Denn die Empathiefähigkeit ganzer Generationen junger Männer ist bis zur Abstumpfung gesunken. Immer öfter überschreiten die (zwangs)pornografisierten jungen Männer die Grenze von der Phantasie zur Tat und stellen pornografische Vorlagen im Leben nach: vom Sexualmord bis zum Amoklauf. Pornographie, das ist die Verknüpfung sexueller Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt. Sie richtet sich immer gegen Frauen und Kinder. Doch bisher wird nur Kinderpornographie strafrechtlich verfolgt; sowie die "Verherrlichung oder Verharmlosung" von "grausamen oder unmenschlichen Gewalttätigkeiten" gegen "Teile der Bevölkerung". Sie wird mit bis zu einem Jahr Gefängnis geahndet (§131). Dieser Paragraph fand bisher jedoch paradoxerweise nur Anwendung in Fällen von Fremdenhass - warum fällt Frauenhass trotzdem immer noch unter "Meinungsfreiheit"? Hassrapper: Pop oder Porno? Gewisse linke Kulturkritiker brechen sich bei der Ästhetisierung des Frauenhasses schon lange einen ab. Dabei verstoßen die Rapper eindeutig gegen den §130 des Strafgesetzbuchs. Bushidos neuester Song heißt „Alles verloren“, und das dazugehörige Video zeigt den „Star-Rapper im Blutrausch“, verkündet Bravo. Die Zeitschrift war „exklusiv am Set“ und bietet auf ihrer Homepage jetzt „die krassesten Clip-Szenen“ zum Durchklicken an. Zu sehen sind: Eine tote Frau in einer Badewanne; eine nackte, weinende, geknebelte Frau, die an einen Rollstuhl gefesselt ist; und Bushido mit Hannibal Lecter-Stahlmaske. Das neueste Produkt des Berliner Labels „Royal Bunker“ heißt „Künstler im Zuchthaus“, kurz K.I.Z., und die vier Jungs drohen ihren männlichen Mitrappern auf die übliche Art, nämlich – wie es in jedem Krieg üblich ist – mit der Vergewaltigung ihrer Bräute: „Tour zu Ende, ich bring dir dein Mädel zurück, Fotze ausgeleiert, Arsch zerfleddert, Schädel gefickt“. Sidos „Arschficksong“ („Katrin hat geschrien vor Schmerz, mir hat’s gefallen/ihr Arsch hat geblutet, und ich bin gekommen“) ist ab 16 freigegeben. Allerdings kann jedes Kind gleich mehrere – vermutlich von Fans per Handy gefilmte – Videos des Songs auf YouTube finden. Und sich ansehen, wie Sido sein Publikum mit „Aua aua aua“-Rufen anheizt – worauf es kollektiv mit „Arschfick!“ antwortet. Gibt’s hier ein Problem? Nein. Bravo jedenfalls hat offensichtlich keins. Im Gegenteil: Die Zeitschrift, deren HauptleserInnenschaft um die zehn Jahre alt ist, hat Bushido zum Botschafter für ihre Kampagne „Schau nicht weg – Gegen Gewalt an Schulen“ ernannt und ihn zum „Bravo-Konzert gegen Jugendgewalt“ eingeladen. Bushidos neuester Song heißt „Alles verloren“, und das dazugehörige Video zeigt den „Star-Rapper im Blutrausch“, verkündet Bravo. Die Zeitschrift war „exklusiv am Set“ und bietet auf ihrer Homepage jetzt „die krassesten Clip-Szenen“ zum Durchklicken an. Zu sehen sind: Eine tote Frau in einer Badewanne; eine nackte, weinende, geknebelte Frau, die an einen Rollstuhl gefesselt ist; und Bushido mit Hannibal Lecter-Stahlmaske. Auch seine neue Plattenfirma Sony hat kein Problem, denn Bushido sei schließlich „extrem populär, ein echtes Jugendidol“, antwortet Sony-Chef Edgar Berger auf die Frage, wie Sony es denn mit den gewaltverherrlichenden Texten des Rappers halte. „Früher hat er einige indizierte Texte gemacht, aber er wandelt sich.“ Aber auch wenn es nach den Musik- und Gesellschaftskritikern der deutschen Feuilletons geht, insbesondere derer, die sich als fortschrittlich bis „links“ verstehen, sind die atemberaubend frauenfeindlichen Texte und Bilder der Rapper von Aggro, Hirntot Records, Royal Bunker und Konsorten eigentlich nicht der Rede, pardon: des Diskurses wert. Der gerappte Frauenhass ist für Daniel Erk von jetzt.de, der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung, „schlicht lästige Grundausstattung des Genres“. Die „Spielchen“ mit „sexistischer Absurdität, billigen Kalauern und pubertären Ferkeleien“, führten eben zu „Missverständnissen“. Eine aufschlussreiche Debatte mit dem Titel „Ist Pornografie jetzt Pop?“ wird gerade in der taz geführt. Eröffnet wurde sie von Monika Griefahn, der SPD-Fraktionssprecherin für Kultur und Medien, die jüngst wegen ihrer Forderung nach einer besseren Kontrolle Morddrohungen erhielt. Die Sache liegt nun beim Staatsanwalt. Griefahn, selbst Mutter von drei Kindern, erklärte: „Ich habe etwas dagegen, wenn pornografische, gewaltverherrlichende, frauenfeindliche und rassistische Texte erstens unwidersprochen hingenommen und zweitens Kindern und Jugendlichen ständig zugemutet werden.“ Die Politikerin wies auf wissenschaftliche Untersuchungen hin, die belegen, dass „Kinder und Jugendliche, die nicht in einem sicheren sozialen Umfeld und in einer intakten Familie aufwachsen, ein viel höheres Aggressionspotenzial haben, wenn sie 15 mal am Tag Textzeilen wie ‚Ich fick dich in die Urinblase‘ hören.“ „Ist es nicht genau das, was man von Kunst erwartet? Verwirren, Fragen aufwerfen, Debatten provozieren?“, belehrt HipHop-Experte Thomas Winkler in der taz die Medienbeauftragte und mit ihr die Allianz aus „besorgten Müttern“ und „kleinbürgerlichen Politikern“, kurz: die „übereifrigen Bedenkenträger“, die bekanntermaßen zur „Intoleranz gegenüber Minderheitengeschmäckern“ neigten und „fragwürdige Zusammenhänge“ zwischen Raptexten und Gewalttaten herstellten. Sekundiert wird er von Tobias Rapp, Leiter des taz-Kulturressorts. Die „immer wieder empört zitierten Zeilen“ seien in Wahrheit „Teil komplizierter Beleidigungen“ und „Teil eines hochkomplexen Aussagegeflechts“. In der Kritik an den Rappern demaskiere sich „nur der Klassendünkel von Leuten mit guter Ausbildung, die Leuten mit schlechter oder keiner Ausbildung den Mund verbieten wollten“. Wir haben es hier also erstens mit „Kunst“ zu tun, die zweitens von der unterdrückten „Unterschicht“ produziert wird (zu der Bushido übrigens schon länger nicht mehr gehören dürfte). Die Produkte der Herren Kool Savas („Ficksau, ich bums dich in die Klinik“) oder King Orgasmus One („Ich stoß meine Faust in dein Bauch bis du platzt“) gelten also als Provokation und Befreiungsschlag gegen Spießer und Privilegierte, für die linken Herren folglich als sakrosankt. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Diskurs vom „minoritären Sprechen“ und der „dialogisch konstruierten Kunstform“ just in dem Moment ad acta gelegt wird, wo sich der „testosterongetriebene Spaß“ nicht gegen Frauen richtet, sondern zum Beispiel gegen schwule Männer. Da glänzt die taz mit einer ganzseitigen Analyse der gesellschaftlichen Auswirkungen der homophoben Raptexte auf die Atmosphäre auf deutschen Schulhöfen: „Alles halb so wild, sagen viele, ist doch nur Pop. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Schwulen-Bashing gehört heute wieder zum guten Ton.“ Als jüngst der Berliner Rapper G-Hot in seinem Song „Keine Toleranz“ dazu aufforderte, den „Schwuchteln besser den Schwanz abzuschneiden“, wurde er von seinem Label Aggro gefeuert. Eine Rapperin, die anonym bleiben will, erstattete Anzeige. Das begrüßt die Berliner Rapperin Pyranja, bedauert aber: „Sobald es gegen Schwule geht, gehen alle auf die Barrikaden. Über diese ganze Frauenfeindlichkeit regt sich keiner auf. Und wenn man es tut, dann ist man die unentspannte Braut, die nicht rafft, dass alles nur Spaß ist.“ Entspannt zu bleiben, ist für die 28-Jährige aus Rostock auch nicht so einfach, wenn bei ihren Rap-Workshops an Schulen zwölfjährige Jungs Zeilen wie diese produzieren: „Ich fick dich, bis du platzt.“ „Ich weiß nicht, wie die mit ner normalen Sexualität groß werden sollen“, sagt Pyranja. „Das ist die totale Verrohung. Da muss ne Diskussion kommen!“ Endlich eine gesellschaftliche „Debatte über Sexismus und Rassismus im HipHop“ fordert auch Monika Griefahn. Und eine Verbesserung des Indizierungsverfahrens der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“. Denn bis ein Song indiziert ist, also nicht mehr an Jugendliche verkauft und nicht mehr beworben werden darf, dauert es sechs bis acht Wochen. Bis dahin ist der Abverkauf der CDs gelaufen. Außerdem darf die Bundesprüfstelle nicht von sich aus aktiv werden, sondern kann nur auf Anträge von Jugendämtern und anderen befugten Stellen reagieren. Aber wieso ist eigentlich immer nur vom „Jugendschutz“ die Rede? Wieso ist die „Herabwürdigung der Frau zum sexuell willfährigen Objekt“, die die Bundesprüfstelle zu Recht als Kriterium für eine Indizierung anlegt und die bisher rund zwei Dutzend Rapper-Alben auf die schwarze Liste gebracht hat, für 17-Jährige schwer gefährdend, für 18-Jährige aber plötzlich ganz unproblematisch? Doch es geht ja hier um mehr als um einfachen Sexismus (die Herabwürdigung der Frauen zum Objekt). Es geht um die Verharmlosung und Verherrlichung von sexualisiertem Frauenhass. Und das ist strafbar. Sogar, wenn es „nur“ die Frauen trifft. Laut §130, Absatz 2 des geltenden Strafrechts wird „mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft“, wer „Schriften, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe aufstacheln“, verbreitet. Und genau das tun diese Songs. Worauf also warten wir? Chantal Louis, EMMA 5/2007 ____________________________________________________________________________________ MySpace: Sieh! Mich! An! Nur: Warum ziehen sich die Mädchen auf MySpace dafür aus? fragt sich Meredith Haaf. Wollen die Jungs das wirklich? MySpace ist eine tolle Sache. Man kann dort Menschen kennen lernen oder mit seiner Kunst Karriere machen. Die meisten Mädchen machen aber was anderes: Sie ziehen sich aus. Das Onlinenetzwerke wie MySpace eine tolle, ja revolutionäre Sozialinnovation sind, gilt mittlerweile auch bei den Zuallerletzt-Adoptern als gesicherte Erkenntnis. Kommunikation und Plattenverträge für alle und so. Doch wenn ich mir diese schöne neue Webwelt anschaue, sehe ich hauptsächlich: Mädchenbrüste. Mädchen zwischen 15 und 25 lieben MySpace. Und das Netzwerk liebt sie auch: Ein argloser Besucher, der bloß mal Profile durchstöbern will, wird beim ersten Klick von einer Flut langhaariger Mähnen, Lipgloss-Schnuten und kniekehlentiefer Ausschnitte erschlagen. Grund: Die Browserfunktion sucht, wenn man sie nicht selbst anders einstellt, automatisch nach den Eigenschaften „weiblich, jung, Single“. Von Haus aus ist die Wahrscheinlichkeit also hoch, dass vor allem solche Profile angesehen werden. Und die Inhaberinnen tun ihr übriges, um den Anreiz zu erhöhen. Das Foto ist auf der MySpace-Seite das zentrale Element. Klar stehen da auch massenhaft Angaben zu persönlichen Vorlieben und Eigenschaften. Nur listet jede Zweite sämtliche Indiemusik als Lieblings-Sound auf, nennt als Vorbild ihre „Mom“ und als Traummann Björn von den Mandos. Dass darauf keiner mehr so richtig reagiert, ist klar. Doch die MySpace-Mädchen wollen nichts dringender als Reaktion. Wie sonst ist zu erklären, dass all diese 17-Jährigen sich gegenseitig oder mit Selbstauslöser im BH ablichten – und die photogeshoppten Ergebnisse auf ihre Seite laden. Oder die 18-jährige Userin, die sich mit schmachtendem Eyelinerblick nackt unter die Dusche stellt und sich dabei fotografiert. All diese Bilder, auf denen es von hausbackener Schulmädchenerotik nur so flimmert, findet man in den weiblichen Bildergalerien. Anonymisiert wird hier nichts – und alles ist für die ganze Welt zu sehen. Was soll das? Solche Bilder versteckt man eigentlich in einem Schuhkarton unter seinem Bett und zeigt sie allerhöchstens irgendwann mal seinem eigenen Freund. Nichts gegen Nacktfotos. Aber wenn man ehrlich ist, zeugt es nicht gerade von Souveränität, geschweige denn Coolness, sich im einsamen Kämmerchen grundlos in einigermaßen verdrehte Sexy-Posen zu werfen, das dann fotografisch zu dokumentieren und ins Netz zu stellen. Natürlich geht es den Modells-Schrägstrich-Fotokünstlerinnen auch gar nicht darum, lässig oder würdevoll zu sein. Sie wollen angeschaut werden. Sie wollen Lob und Bestätigung des Betrachters. Sie wollen Kommentare. Und zwar möglichst viele. „Hey, du bist ja heiß“, „Rrrrrrrr, Kätzchen“ oder „Ist da noch Platz für mich in deiner engen Jeans“ lauten die gängigen Sprüche, die andere Netzwerknutzer unter die Bilder posten. Solche Sätze fallen im echten Leben eigentlich in die Kategorie ekelhafte Anmachen. Doch die MySpace-Mädchen sammeln diese Kommentare wie andere Leute Briefmarken. Die Frage ist, was mehr Sex-Appeal hat: Philatelie oder eine Person, die ihren Drang nach Selbstbestätigung auf ihrem Dekolletee zur Schau stellt. Die Mädchen, die sich hier halbnackt präsentieren, machen sich selbst wieder zu einer einheitlichen, unbekleideten Masse. Nach dreißig Galerien verlieren nämlich auch sehr hübsch dekorierte Brüste ihre Individualität. Wer unter diesen Umständen immer noch meint, Exhibitonismus wäre eine besondere Form der Selbstverwirklichung, sollte vielleicht mal wieder ein gutes Buch lesen. Was aber noch viel schlimmer ist: Die Tatsache, dass sich Millionen von Mädchen selbst zu Objekten machen. Sie sind ihre eigenen Erotik-Magazinredakteure, konkurrieren mit ihren selbst geschossenen Fotos um die beste Bewertung als Wichsvorlage. Seit wann ist das denn eigentlich ein erstrebenswerter Status? Bevor jetzt die Klemmi-Alarmsirenen losheulen: Begehrt sein zu wollen ist kein Stück verwerflich. Der Unterschied ist aber, ob man sich damit zufrieden gibt, als „nice piece of ass“ – hübsches Stück Hintern – in der Onlinewelt begehrt zu sein. Es ist ein super Gefühl, mit dem eigenen Aussehen glücklich zu sein. Aber es ist ein Zeichen von ganz großer Beschränktheit, sich nur über seinen Körper zu definieren. Es passiert Frauen zur genüge, dass sie über ihre weiblichen Geschlechtsmerkmale definiert werden. Schlimm genug, wenn das von außen kommt. Aber die Mädchen, die ihre Haut und Körperteile so unreflektiert und massenhaft zur Schau stellen, denken darüber scheinbar nicht einmal nach. Anstatt die unendlich tollen Internetmöglichkeiten für irgendwas Interessantes zu nutzen, forcieren sie mit ihren Selbstdarstellungen den ewigen, langweiligen Mechanismus: Du bist deine Brüste. Darüber wollten wir doch langsam hinaus sein. Und jetzt erzähl mir doch noch mal jemand etwas von Innovationen. Meredith Haaf, EMMA 5/2007 Der Text erschien zuerst auf jetzt.de. ___________________________________________________________________________________ ALICE SCHWARZER Pornografie ist geil ... ... erzählt uns die Pornoindustrie. Und die taz. Und jeder Pornokonsument. Aber letzterer hat jetzt ein Problem: Der Pornokonsum ist ihm so richtig aufs Gemüt geschlagen. Im Frühling 2007 schlug der Münchner Neuropsychologe Prof. Henner Ertel Alarm. Sein Institut für rationelle Psychologie macht seit 30 Jahren Langzeitstudien zu den Auswirkungen von Pornografie. Bei der Auswertung der Daten aus den letzten 20 Jahren stellten die WissenschaftlerInnen "eine dramatische Entwicklung in den letzten fünf Jahren" fest: "Was da auf unsere Gesellschaft zukommt, ist das Grauen." Die Psychologen registrieren veränderte Verhaltensweisen - "Gewalt ist heute ein legitimes Mittel, Ansprüche durchzusetzen" - und die Neurologen Veränderungen im Gehirn: "Das Gehirn passt seine Verarbeitungsstrategien an und schützt sich gegen die Flut von Gewalt und Pornografie durch Abstumpfung." Neuropsychologe Ertel: "Emotionale Intelligenz und Empathiefähigkeit haben bei den Jugendlichen enorm abgenommen. Sexualität ist heute für die Mehrheit der jungen Männer, aber auch für viele junge Frauen unlösbar mit Gewalt verknüpft. Wobei die Männer sich mit den Vergewaltigern identifizieren, die Frauen mit den Vergewaltigten." Zusätzlich alarmierend: Nicht nur die sexuelle Kommunikation, auch das allgemeine Einfühlungs- und Mitleidensvermögen sinkt bei den KonsumentInnen von Pornografie rapide, und KonsumentIn ist heute die überwältigende Mehrheit unter den Jugendlichen. Verantwortlich sind die Medien, allen voran das Internet. Steuern wir auf eine herz- und seelenlose Zukunft zu, in der die Frauen Menschen zweiter Klasse sind? Doch was ist eigentlich Pornografie? Woran erkennen wir, ob ein Bild oder ein Text pornografisch ist? An der Menge der Haut, die zu sehen ist? Nein. Daran, dass es um Sex geht? Nein. Am Grad der Erotik? Schon gar nicht, im Gegenteil. Wir erkennen Pornografie an der Verknüpfung von sexueller Lust mit der Lust an Erniedrigung und Gewalt - und zwar für Täter wie Opfer. Was das Gegenteil von Erotik ist, bei der es keine Hierarchie gibt, nichts festgelegt ist, sondern alles offen. Der Begriff Pornografie stammt übrigens aus dem Griechischen und bedeutet ursprünglich "Über Huren schreiben". In der Pornografie von heute geht es nicht mehr nur um "Huren", sondern um alle Frauen. Sind jetzt alle Frauen Huren? Ja, zumindest suggeriert uns das der pornografisierte Blick. Während die Frauen selbst zunehmend zum Subjekt ihres Lebens werden, macht der Blick der männerdominierten Kulturindustrie sie verstärkt zum Objekt. Wir kennen das aus der Politik: Propaganda kann schwerer wiegen als Realität. Und Pornografie propagiert nicht zufällig in Zeiten der zunehmenden Gleichberechtigung Frauenverachtung und Frauenhass - ihr liebstes Objekt ist dabei die Powerfrau. Und die soll die Erniedrigung auch noch genießen. Vergewaltigung, Folter und Frauenmord grassieren seit Jahrzehnten in Popkultur, Film und Werbe- bzw. Modefotografie. Würden solche Fotos, Filme und Texte zum Beispiel mit Schwarzen inszeniert - also der augenrollende Neger mit dem Rhythmus im Blut, der gerne seinem Herrn dient und vom Ku-Klux-Klan ganz sexy aufgehängt oder von Glatzen dekorativ zusammengeschlagen wird -, dann kämen diese Bilder selbstverständlich gar nicht erst auf den Markt, sondern würden schon vorab als "rassistisch" indiziert, bzw. sie wären nur illegal zu konsumieren. Aber in dem Fall sind es ja nur Frauen, und das hat bisher bestenfalls ein paar Feministinnen und Gleichgesinnte empört. Der größte Sex- und Pornomarkt ist heute das Internet. So fanden sich im März 2007 in der Internet-Suchmaschine Google unter dem Stichwort "Sex" 377 Millionen Links, bei Yahoo 499 Millionen; und unter "Pornography" 17 Millionen Links, bei Yahoo 80 Millionen! Prinzipiell könnte der virtuelle Raum auch im sexuellen Bereich neue Freiheiten eröffnen - aber er birgt eben auch neue Gefahren. Die neue und gefährliche Dimension des Mediums ist die Interaktion. Hier wird Pornografie oft nicht mehr nur passiv konsumiert, sondern auch aktiv produziert und interaktiv konsumiert. Ein Effekt, der die Intensität der Wirkung verstärkt. Die Trennung zwischen "virtuell" und "real", wie sie von manchen noch gemacht wird, ist in Wahrheit unhaltbar. Denn das wichtigste menschliche Sexualorgan ist das Gehirn - und das ist im Internet voll im Einsatz. Allerdings ist die Wirkung nicht bei jedem gleich. So veröffentlichte das Hamburger Institut für Sexualforschung 2006 ein Resümee internationaler Studien, die beweisen: Die Wirkung von Pornografie hängt von zahlreichen Faktoren ab. Angefangen bei der situativen Verfassung des Konsumenten (ob gelassen oder wütend, nüchtern oder betrunken) bis hin zum familiären Milieu und kulturellen Kontext (ob aus Gewalt- oder aus emanzipierten Verhältnissen, geliebt oder traumatisiert). Die höchste Risikogruppe ist die mit einer "feindseligen Männlichkeit und Promiskuität", also Männer mit einem hohen Frauenkonsum plus niedriger Meinung und aggressiver Haltung zu Frauen. Eine amerikanische Studie von Malamuth/ Addison/Koss mit 1.713 repräsentativ ausgewählten Studenten ergab: Rund jeder achte Mann gehört zu dieser Höchstrisikogruppe. Übrigens, alle diese wissenschaftlichen Studien werden quasi ausschließlich mit Männern gemacht. Grund: Es sind fast nur Männer, die Pornografie konsumieren bzw. sexuelle Gewalt ausüben. Doch erst ganz allmählich, nach der nicht mehr rückgängig zu machenden Pornografisierung mehrerer Generationen - und den alltäglichen Fällen vergewaltigender und mordender Männer, die die konsumierten Pornos spiegelgleich im Leben nachstellen -, erst jetzt kommt Sorge auf. Jetzt, wo es vielleicht zu spät ist. Doch reden wir zunächst vom Geschäft. 1998 hat The Economist den weltweiten Handel mit Pornografie auf rund 20 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr geschätzt, das sind 20.000 Millionen. Seither boomt es. 2006 wurde allein für die USA der Umsatz nur mit Pornofilmen auf 9 bis 12 Milliarden Dollar geschätzt (ganz Hollywood setzt 9 Milliarden um). Und, good news: Als zweitgrößter Pornomarkt der Welt gilt Deutschland, direkt nach den USA. Monatlich erscheinen in Deutschland über tausend neue Porno-DVDs. Der deutsche Jahresumsatz allein im DVD-Bereich wird zur Zeit auf 800 Millionen geschätzt, Tendenz steigend. Bei der - dank des billigen Menschenmaterials - branchenüblichen Gewinnspanne von 500-1.000 Prozent sind das Summen, die sich die Profiteure ungern entgehen lassen. Und es erschließen sich immer neue Märkte. Zum Beispiel die Handypornografie, die stramm auf dem Vormarsch ist und für die Analysten für das Jahr 2009 einen Umsatz von zwei Milliarden Dollar prognostizieren. Klar, dass dieser Markt schon lange nicht mehr nur in Schmuddelhänden und auch nicht mehr nur Sache der Mafia ist. Pornoaktien werden inzwischen hoch gehandelt an den Börsen dieser Welt. Und der Boom ist dank der neuen Medien nicht aufzuhalten. Genauer: Die neuen Medien verdanken überhaupt nur der Pornografie ihre Expansion. Ohne dieses lukrative Pornogeschäft hätten sich Video, DVD oder Internet gar nicht in dieser rasenden Geschwindigkeit entwickeln und verbreiten können. In dieser rundum pornografisierten Kultur muss sich die eigentliche Pornoindustrie immer stärker spezialisieren. Neben den so genannten "Features", in denen die Geschlechtsakte noch mit einer dürftigen Story bemäntelt sind, machen heute vor allem "Gonzos" Kasse: In Gonzos wird nur noch gerammelt, in alle Löcher und in Nahaufnahme. Versteht sich, dass die Auswirkungen auf die sexuellen Phantasien vor allem der noch formbaren Jugendlichen entsprechend sind, vor allem, da Pornogucken unter "echten" Jungen schon lange Pflicht ist: Wer nicht mitmacht, gilt als Memme bzw. als "schwul". PädagogInnen berichten heute von sechsjährigen Jungs, die Vergewaltigung spielen, und elfjährigen Mädchen, die beunruhigt sind, weil sie noch nie Sex hatten. Das ist kaum noch zurückzuholen. Es hätte nicht so weit kommen müssen. Schließlich warnen nicht nur Feministinnen, sondern auch Pädagogen, Psychologen und Kriminologen schon seit langem, genau gesagt seit dreißig Jahren. Und nun kommen auch noch die Neurobiologen hinzu. So bestätigt Klaus Mathiak von der Universität Aachen dem Stern: Selbstverständlich sei die "Katharsis-Hypothese widerlegt", also die Annahme, dass der Pornokonsum die sexuelle Spannung abbaut. "Wir wissen, solche Filme wirken eindeutig verstärkend." Auch das hätte man seit langem wissen können. Mathiak: "Vom Anblick leidender Menschen sexuell stimuliert zu werden, dazu muss man die Empathie ausschalten, sonst wirkt es nicht. Und das muss man erst lernen - indem man es immer und immer wieder anschaut." Indem man immer und immer wieder Gewaltpornos konsumiert - oder im Internet surft, Computerspiele macht oder in Zeitschriften blättert, schon das genügt. Der permanente Pornokonsum prägt also nicht nur die Software, das Begehren, sondern wird auch auf der Festplatte gespeichert, im menschlichen Gehirn. Die Spuren des veränderten Begehrens nach Pornokonsum können heute physiologisch nachgewiesen werden. Und auch in dem Bereich gilt die permanente Wechselwirkung zwischen Prägungen und Festschreibungen. Dass es einen Zusammenhang zwischen Phantasie und Tat gibt, ist beim Sexismus so selbstverständlich wie beim Rassismus oder Antisemitismus. Für die beiden letzteren Gruppen wird das auch schon lange nicht mehr geleugnet, Hasspropaganda gegen "fremde Rassen" oder Juden wird in Deutschland gesetzlich geahndet. Nur beim Sexismus scheint das dem Gesetzgeber bisher nicht der Rede wert, dabei ist gerade der das Fundament für das gesamte hierarchische Denken. Warum sollte ein junger Mann, der seine geprügelte Mutter und die missbrauchte Schwester verachtet, Respekt vor Fremden haben? Was ebenfalls bisher nicht bedacht wurde, ist: Der pornografisierte Mann desensibilisiert sich nicht nur gegenüber den Frauen (bzw. den in einen Frauenpart gestoßenen Männern), sondern er verliert die Empathiefähigkeit für alle Menschen und Lebewesen. Das zeigen nicht nur die Untersuchungen des Neuropsychologen Ertl. Die andere Seite der Medaille: Bereits die Gewalt an sich ist sexualisiert, dank der systematischen Verknüpfung von Sexualität & Gewalt. Darum spielt es zum Beispiel eigentlich auch keine Rolle, ob die Frauenleiche davor oder danach noch vergewaltigt wurde - es kann auch ohne diesen Akt ein "Lustmord" gewesen sein, wie es so nett heißt. Das alles könnte seit langem im öffentlichen Bewusstsein sein, und entsprechende Maßnahmen hätten schon vor 30 Jahren ergriffen werden können. Denn bereits in den 70er Jahren reagierte die Wissenschaft auf den, nach de Sade Anfang des 19. Jahrhunderts, zweiten Schub der "Demokratisierung" von Pornografie mit ersten Erforschungen der Folgen. Zunächst in Amerika, wo die Sensibilisierung durch Feministinnen früher begann als in Europa. Da machte zum Beispiel der Psychologe Prof. Edward Donnerstein eine Untersuchung mit männlichen Studenten nach dem bekannten Milgram-Experiment. (Dabei werden Menschen aufgefordert, ihnen Unbekannten für deren angebliches Versagen zur Strafe Stromstöße zu versetzen, sie wissen nicht, dass der Strom nicht angeschlossen ist.) Donnerstein zeigte der ersten Gruppe vorher eine Szene aus einer Talkshow, der zweiten eine Sex-Szene und der dritten einen Hardcore-Porno mit Vergewaltigung. Die Probanden der dritten Gruppe "bestraften" ihr Opfer viel härter für deren "Versagen" als die der anderen Gruppen - allerdings bestraften sie nur die Frauen. Später variierte Donnerstein das Experiment und zeigte zweierlei Pornos: solche, in denen Frauen ihre Schmerzen zugaben - und solche, in denen die Frauen die Gewalt "genossen". Mit dem Resultat, dass die Probanden der zweiten Gruppe ihre Opfer noch härter malträtierten als die anderen. Und genau das suggeriert ja auch der klassische Porno: dass die Opfer es auch noch genießen. In den 80er und 90er Jahren gab es dann eine ganze Reihe von Wirkungsforschern, die viel über das Ausmaß des Pornokonsums und seine Auswirkungen herausfanden, auch in Deutschland. So belegte der Bamberger Psychologe Prof. Herbert Selg, wie unhaltbar der Kartharsis-Effekt ist und dass Pornografie keine Aggressionen abbaut, sondern sie im Gegenteil erzeugt. Die immer wieder unterstellte Freude von Frauen an Pornografie hält sich bis heute in Grenzen. Wenn sie überhaupt gucken, dann meistens Männern "zuliebe". Laut einer Untersuchung des Hamburger Instituts für Sexualforschung hatten Anfang der 90er Jahre lediglich vier von zehn Frauen zwischen 18 und 65 schon mal einen Porno gesehen, zwei von drei fanden ihn "ekelerregend" und "abstoßend". Und die ab und an propagierten "Pornos für Frauen" sind genauso plötzlich wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Sie sind auch ein Widerspruch in sich. Denn die rein genitale Sexualität ist traditionell eher Männersache, Frauen funktionieren erotisch komplexer. Das direkt Genitale und die Gewalt sind jedoch das Wesen von Pornografie - was sich für Frauen nicht einfach umdrehen oder unter Frauen kopieren lässt. Dass der Pornoboom eine direkte Reaktion auf die Emanzipation ist, zeigt auch seine Geschichte. Der erste berühmte und gesellschaftsfähig gewordene Pornofilm war 1972 Deep Throat. In diese Zeit, in der der Women's lib Furore machte und die Frauen der westlichen Welt "ihre" Sexualität entdeckten - und mit ihr das zentrale weibliche Sexualorgan, die Klitoris -, war dies nicht zufällig die "Story" des Films: Die weibliche Hauptdarstellerin Linda Lovelace hatte die Klitoris nicht zwischen den Schamlippen, sondern - im Rachen. Es durfte ihr also das Maul gestopft werden. Der Film, dessen Produktion 25.000 Dollar gekostet hatte, spielte sechs Millionen ein. Und es galt als fashion, ihn zu sehen, also standen auch Jack Nicholson und Jackie Kennedy in New York in der Schlange an der Kinokasse. Linda Lovelace alias Linda Boreman veröffentlichte zwanzig Jahre später in einer Autobiographie ihre Wahrheit. Das Mädchen aus strengem, puritanischem Hause hatte sich mit zwanzig in den Ex-Marine und Vietnam-Veteran Chuck Traynor verliebt. Der holte sie raus aus dem Elternhaus und rein ins Rotlicht-Mileu; das erste Mal mit fünf Geschäftsmännern in einem Hotelzimmer. "Zieh deine Kleider aus, oder du bist eine tote Nutte", herrscht Traynor die ahnungslose Linda an. Von nun an wird sie unter seinen Schlägen sein williges Werkzeug. Er prügelt sie auch auf dem Set grün und blau und zwingt sie, mit vorgehaltener Pistole, zum Sex mit Hunden (eine in Diktaturen gängige Foltermethode für Frauen). Ihren Rachen weitet er für Deep Throat mit einem Gartenschlauch. Der Film gilt bis heute als Meilenstein im Kampf gegen das prüde Amerika - und wurde zum Auslöser des Protestes von Feministinnen gegen Pornografie. 34 Jahre später, im Oktober 2006, veranstaltete die Berliner Volksbühne, die sich als links und gesellschaftskritisch versteht, eine Post Porn Politics Conference. Denn so, wie in diesen Kreisen nicht mehr vom Feminismus, sondern vom Postfeminismus geredet wird, so heißt das jetzt auch nicht mehr Pornografie, sondern Postpornografie. Was damit gemeint ist? Darauf gibt Veranstalter Tim Stüttgen Antwort: "Postpornografie behauptet mit performativer Übersteigerung kritisch-revolutionäres Potenzial im sexuellen Repräsentations-Regime. Doch Achtung: Die obige Behauptung ist Camp, eine brüchige Geste zwischen implizit kritischer, denaturalisierender Performance und glamouröser Affirmation (Brecht/Warhol). Das heißt aber nicht, dass sie nicht in der Realität wirksam werden kann." Alles klar? Der ganz und gar unglamouröse Star dieses postpornografischen Volksbühnen-Spektakels war Annie Sprinkle, "die Mutter von Postporno". (Frauen können im Kulturbetrieb anscheinend immer nur Töchter, Mütter oder Großmütter sein.) Die frühere Prostituierte ("Sexarbeiterin", wie es im Volksbühnen-Jargon heißt) ist heute nicht nur offen lesbisch, sondern auch "Performancekünstlerin" und "Prosexfeministin". Sie setzte sich mit gespreizten Beinen auf einen Stuhl und ließ die ZuschauerInnen durch ein Spekulum in ihren Vaginalgang schauen. Feministischen Pionierinnen wird das bekannt vorkommen. Denn das machten die frühen "Selbsthilfegruppen", um ihren "Körper zu entdecken". Sie machten es allerdings weder für Geld noch vor Publikum, sondern nur innerhalb kleiner, geschlossener Frauenzirkel. Es ist die traurige Wahrheit: Gerade ein Teil der sich als fortschrittlich verstehenden Kultur ist nicht etwa nur Mimacher, sondern Schrittmacher bei der fortschreitenden Pornografisierung der Kultur: von der Bildenden Kunst über das Theater und den Film bis zur Literatur. Und Frauen machen dabei mit, weil sie nicht prüde sondern "modern" sein wollen oder weil sie davon profitieren. An der Ostberliner Volksbühne hielt man Ms Sprinkles Pervertierung frühfeministischer Aktionen für einen unerhörten Tabubruch. Und vielleicht stimmt das ja sogar. Nichts ist schließlich pornografischer als der entblößte Feminismus. Und das In-die-Körper-der-Frauen-Hineinkriechen wäre nur noch zu übertreffen durch die Demontage der Frauenkörper. Doch auch das ist schon gelaufen, wenn auch noch nicht in Berlin. In Amerika tauchten bereits Ende der 70er Jahre die ersten Snuff-Pornos auf, gedreht in Südamerika. Snuffs, das sind Pornofilme, für die Frauen und Kinder real getötet werden. Snuffs werden weiterhin weltweit produziert, und die letzten Kriege haben kräftig Nachschub geliefert. Soldaten im Kosovo, in Afghanistan oder im Irak stellen Fotos und Filme von Vergewaltigungen, Tötungen und Leichen ins Internet bzw. kommerzialisieren sie via illegale DVDs. Wobei nicht immer sicher zu sagen ist, ob hier Kriegsgewalt pornografisiert - oder ob sie zu diesem Zweck ausgeführt wurde. In Deutschland erfolgte der erste Pornoschub nach der Liberalisierung des Sexualstrafrechts 1976 mit der weitgehenden Freigabe von Pornografie. Nun kroch die Pornografie raus aus den Schubladen und Hinterstuben, rauf auf die Titelseiten und rein in die Wohnzimmer. Pornografie begann normal zu werden. Zur Sensibilisierung gegen diese Entwicklung initiierte EMMA 1978 eine erste Aktion. Ich verklagte, zusammen mit neun weiteren Klägerinnen - darunter Inge Meysel und Margarete Mitscherlich -, den Stern wegen seiner sexistischen Titelbilder. Auslöser war, Ironie der Geschichte, ein Titelfoto von Helmut Newton: die nackte Grace Jones in schweren eisernen Fußfesseln mit Kugeln, Sklavenfesseln eben. Unsere Anwältin Gisela Wild trug damals vor: "Die Beklagten (der Stern) verletzten fortgesetzt und sogar zunehmend die Menschenrechte von mehr als der Hälfte der Bevölkerung, der Frauen. In eklatanter Weise verstoßen sie gegen deren Recht auf Menschenwürde und auf Gleichbehandlung, was zugleich das Recht auf Freiheit vor Diskriminierung beinhaltet. Durch derartige Abbildungen werden Frauen nicht nur als Objekt männlicher Lust dargeboten, sondern darüber hinaus als Mensch erniedrigt." Wir wussten, dass wir die Klage juristisch nicht gewinnen konnten, weil es für das, was wir da anklagten, noch gar kein Gesetz gab. Es ging uns um Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseins und Anregung zu einem Gesetz, das Pornografie nicht länger als den "Verstoß gegen Sitte und Anstand" definiert, sondern als "Verletzung der Menschenwürde". Außerdem erhofften wir die Einführung einer "Verbandsklage", nach der Organisationen im Namen aller Frauen gegen solche Bilder klagen könnten. Denn schließlich waren und sind ja auch alle Frauen von diesen Bildern betroffen. Die Stern-Klage hatte offensichtlich einen Nerv getroffen. Sie bewegte über Monate die Nation. Kein Stammtisch, kein Friseursalon, keine Redaktion, in der nicht das Pro und Contra heftig debattiert wurde. Am 26. Juli 1978 gab Richter Engelschall den Klägerinnen moralisch recht - auch wenn er uns juristisch enttäuschen musste. Der Richter drückte seine Hoffnung aus, dass es "in zwanzig Jahren" das von uns gewünschte Gesetz geben würde, und erklärte: "Die Kammer verkennt nicht, dass es ein berechtigtes Anliegen sein kann, auf eine der wahren Stellung der Frau in der Gesellschaft angemessene Darstellung des Bildes der Frau in der Öffentlichkeit und insbesondere den Medien hinzuwirken. Soll - wie es die Klägerinnen wünschen - die staatliche Gewalt mobilisiert werden, dann sind indes dafür nicht die Gerichte zuständig. Mit einem solchen Anliegen müssten sich die Klägerinnen an den Gesetzgeber wenden." Genau zehn Jahre später taten wir diesen Schritt. 1988 veröffentlichte EMMA einen Entwurf für ein neu gefasstes Anti-Porno-Gesetz, gemeinsam erarbeitet mit der späteren Hamburger und Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit, und eingebettet in die PorNO-Kampagne. Kern des Gesetzesvorschlags war die Definition von Pornografie als "Verstoß gegen die Menschenwürde". Doch bis heute, 30 Jahre nach dem Stern-Prozess und 20 Jahre nach der PorNO-Kampagne, hat der Gesetzgeber es nicht für nötig gehalten, die Pornografie als Tatbestand neu zu definieren. Die PorNO-Kampagne löste Ende der 80er, ganz wie die Stern-Klage zehn Jahre zuvor, eine breite öffentliche Debatte aus, auch in den Medien; diesmal schon spürbar nachdenklicher. Die SPD, damals in der Opposition, berief ein Hearing ein, in dem die überwältigende Mehrheit der ExpertInnen aus Wissenschaft und Kultur die Auffassung vertrat, ein neues und wirkungsvolleres Gesetz gegen Pornografie müsse her. Folgen: keine. Wiederum zehn Jahre später, 1998, forderte ein überparteiliches Bündnis von Spitzenpolitikerinnen - von Rita Süssmuth bis Ulla Schmidt - eine Neufassung des Pornografie-Gesetzes sowie die Einführung des juristischen Begriffes "Frauenhass" als "Volksverhetzung". Strafbar sollten danach der Handel mit und der Besitz von Pornografie sein; nicht nur der von "Kinderpornografie", sondern auch der, der Menschen über 14 Jahren missbraucht. Gleich nach den Wahlen 1998 kündigte Justizministerin Däubler-Gmelin (SPD) die Verabschiedung des "überfälligen Anti-Porno-Gesetzes" an, sowie die Verankerung des Begriffes "Frauenhass" im Gesetz, parallel zum "Fremdenhass". Ihre Nachfolgerin, Brigitte Zypries (SPD), nahm diese Absichten bisher nicht wieder auf. Im Gegenteil: Sie machte sich Anfang 2007 zwar EU-weit für eine schärfere Verfolgung von Rassismus stark, den Zusammenhang mit dem Sexismus jedoch scheint sie noch nicht einmal wahrzunehmen. Was also tun in dieser durch und durch pornografisierten Welt? Es gibt nur eine Antwort: Den Sexismus ernst nehmen. So ernst wie den Rassismus zum Beispiel. Wer das durchdekliniert - vom Theater und Museum über Mode und Werbung bis hin zur DVD und dem Internet -, der begreift, dass gehandelt werden muss. Auf allen Ebenen. Alice Schwarzer, EMMA 5/2007

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