Donnerstag, 11. November 2010

Text zum Umbau der Bundeswehr

IMI-Standpunkt 2010/041
Radikaler Umbau statt Kosmetik – Zum Bericht der Strukturkommission der
Bundeswehr
http://www.imi-online.de/2010.php?id=2189
28.10.2010, Michael Haid

Die von Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) am 12. April 2010
eingesetzte Strukturkommission zur Reform der Bundeswehr hat nun am 26.
Oktober 2010 ihren Bericht mit dem Titel „Vom Einsatz her denken -
Konzentration, Flexibilität, Effizienz“ vorgestellt. „Dieser Bericht
zielt auf eine (…) radikale Erneuerung hin zu kompakten, effizienten und
zugleich hochqualifizierten Streitkräften“ (S.3). So stellt die
Kommission ihre Arbeit selbst vor. Gemeinsam mit dem am 31. August 2010
erschienenen „Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum
Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7.Juni 2010“ (vgl. hierzu
IMI-Analyse 2010/34) bildet der Kommissionsbericht die Grundlage für den
radikalsten Umbau der Bundeswehr seit ihrer Gründung 1955.

Bereits vor rund zehn Jahren gab es den am 23. Mai 2000 vorgelegten
Bericht der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der
Bundeswehr“ (sog. Weizsäcker-Kommission), der ähnlich wie heute eine
drastische Reform der Bundeswehr vorsah. Allerdings wurden die damaligen
Empfehlungen aufgrund von politischen und bundeswehrinternen
Widerständen nicht verwirklicht. Allem Anschein nach dürfte dieses mal
dem gegenwärtigen Bericht eine Umsetzung weniger im Wege stehen. Auf der
Homepage seines Ministeriums ließ sich der Verteidigungsminister aus
Anlass der Übergabe des Berichts durch die Kommission wie folgt
zitieren: „Alle vorliegenden Analysen und Empfehlungen unterstreichen
die Notwendigkeit tiefgreifender Änderungen. Mit kosmetischen Maßnahmen
allein wird es nicht getan sein.“


Hauptziel: Fähigkeit zur Intervention und zur Aufstandsbekämpfung

Das Hauptziel der Reform ist die Interventions- und
Aufstandsbekämpfungsfähigkeit der Bundeswehr dramatisch zu steigern.
Priorität müsse daher haben, die derzeitige Fähigkeit der Bundeswehr als
Höchstgrenze 7.000 Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze
entsenden zu können, „durchhaltefähig wenigstens [zu] verdoppeln“
(S.10). Hierfür soll der Streitkräfteumfang von derzeit circa 250.000
auf ca. 180.000 Soldatinnen und Soldaten verkleinert, das zivile
Personal von heute 75.000 auf künftig ca. 50.000 Dienstposten reduziert
und die Anzahl der Stellen im Bundesverteidigungsministerium (BMVg) von
gegenwärtig 3.000 auf unter 1.500 mehr als halbiert werden. Diese
Maßnahmen sollen einerseits Kosten einsparen, andererseits dienen sie
dazu, die Bundeswehr von Personal zu befreien, das nicht für die
Auslandsverwendung oder ihre Unterstützung geeignet ist.

Das Leitmotiv für die Einsätze im Ausland bildet das Konzept der
Vernetzten Sicherheit, das in Afghanistan mit furchtbaren Folgen für die
dortige Bevölkerung ein Beispiel dafür abgibt, dass dieser Ansatz
vollständig gescheitert ist. Trotzdem wird die Vernetzte Sicherheit im
Bericht als „richtungsweisend für die gesamtstaatliche
Sicherheitsvorsorge“ bezeichnet: „Das ganze Spektrum von weichen bis hin
zu harten Faktoren von Macht – Wissen, Werte, Wirtschaft, Waffen – muss
in Betracht gezogen und wenn nötig aktiviert werden, will man
nachhaltige Sicherheit und Stabilität erreichen“ (S.16).

Eine weitere wesentliche Empfehlung des Berichtes besteht darin, die
Position des Generalinspekteurs der Bundeswehr künftig zu einem
Oberkommandierenden der Streitkräfte (Chief of Defence) auszubauen. Der
Bericht fordert, diesen Posten „als die zentrale militärische Stelle in
der Bundeswehr auszugestalten“ (S.31) und sieht die Übernahme einer
Führungsfunktion für alle Teilstreitkräfte sowie für alle
Auslandseinsätze vor. Damit dürfte sie der historischen Bedeutung eines
Generalstabschefs sehr nahe kommen. Gleichzeitig solle eine der heute
zwei Staatssekretärsstellen im BMVg entfallen und durch die des
Generalinspekteurs ersetzt werden.

Es ist keine Überraschung mehr, dass die Kommission weiterhin empfiehlt,
die Wehrpflicht auszusetzen. Stattdessen schlägt der Bericht vor, einen
freiwilligen, bis zu 23-monatigen Dienst einzuführen. Als Ersatz für den
ebenfalls entfallenden Zivildienst könnten dem Plan des Berichts zufolge
auf freiwilliger Basis männliche und weibliche Erwachsene diesen Dienst
in den bisherigen klassischen Zivildienstbereichen oder eben bei der
Bundeswehr wahrnehmen. Dafür sei die Einrichtung eines freiwilligen
militärischen Dienstes mit einem Stellenumfang von bis zu 15.000 Posten
vorzusehen. Die Ausbildung der Freiwilligen solle die Teilnahme an den
Auslandseinsätzen ermöglichen, weshalb eine Dienstzeit von mindestens 15
Monaten erforderlich sei.


Forderung zu Guttenbergs nach einer „nationalen Sicherheitsstrategie“

Parallel zum geplanten Umbau der Bundeswehr, initiiert zu Guttenberg
eine Strategie-Debatte, welche die angebliche Notwendigkeit, die
Bundeswehr massiv auf ihre Interventions- und
Aufstandsbekämpfungsfähigkeit hin auszurichten, unterlegen soll.
Ebenfalls auf der BMVg-Homepage werden die Ausführungen des
Verteidigungsministers am 18.Oktober 2010 auf der Zeit-Konferenz
„Internationale Sicherheitspolitik“ in Hamburg dokumentiert, auf der er
eine „nationale Sicherheitsstrategie“ forderte. Darin solle als
Bedrohung scheiternde und gescheiterte Staaten, der internationale
Terrorismus, die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, die Folgen
der weltweiten demografischen Entwicklung und der Klimaveränderung
genauso aufgenommen werden wie das Thema Ressourcensicherheit und
Cyberwar. Auch im Hinblick auf die sich vollziehenden globalen
Machtverschiebungen seien in die strategische Analyse, so der Minister
auf der Konferenz weiter, nicht nur China und Indien, sondern auch
Länder wie Indonesien, Brasilien und der südafrikanische Raum
einzubeziehen. Dadurch könnten sich die Beziehungen zu diesen Staaten
künftig deutlich konfrontativer gestalten. Angesichts der „vielfältigen
sicherheitspolitischen Herausforderungen und Bedrohungen“ zog der
Minister auf der Zeit-Konferenz den Schluss, „dass mit Blick auf unsere
Sicherheits- und Außenpolitik eine sich alleine auf den Aspekt einer
Kultur der Zurückhaltung beschränkenden Herangehensweise wir
wahrscheinlich nicht weiterkommen werden, sondern wir dem Gedanken einer
Kultur der Verantwortung insgesamt hier näher kommen müssen und wir das
in strategische Überlegungen aufzunehmen haben“.

Wenn der Verteidigungsminister von einer „Kultur der Verantwortung“
spricht, so dürfte damit Machtpolitik, die sich mit der anstehenden
Reform der Bundeswehr zukünftig noch nachdrücklicher auf das Militär
abstützen würde, gemeint sein. Der Frankfurter Politikprofessor, Gunther
Hellmann, verdeutlicht in seinem Artikel "Normativ abgerüstet, aber
selbstbewusst", der in gekürzter Fassung in der kommenden
Novemberausgabe der „Internationalen Politik“ veröffentlicht wird, was
sich hinter diesen Begrifflichkeiten tatsächlich verbirgt: „Wenn die
deutsche Diplomatie heute ihre 'Bereitschaft' erklärt, 'mehr
Verantwortung zu übernehmen', ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon
auszugehen, dass es um den deutschen Machtanspruch auf einen ständigen
Sitz im UN-Sicherheitsrat geht.“ Und Hellman weiter: „Von 'Macht' ist
(…) in deutschen Ansprachen zwar nach wie vor nicht die Rede. Zu sehr
erinnert dieser Begriff an frühere deutsche 'Machtstaats'-Traditionen,
mit denen in Berlin niemand in Verbindung gebracht werden will (…). Wenn
die Bundesregierung in Brüssel 'selbstbewusst deutsche Interessen'
wahrnimmt oder ihre 'Bereitschaft' erklärt, international 'mehr
Verantwortung zu übernehmen', ist allen Adressaten allerdings klar, dass
hier im Kern Machtfragen verhandelt werden.“


Der weitere Fahrplan der Reform

Die Umsetzung der oben genannten Empfehlungen würde eine Zeitspanne von
fünf bis sieben Jahren umfassen. Der Homepage des
Bundesverteidigungsministeriums kann die weitere geplante Vorgehensweise
entnommen werden. Danach seien die politischen Grundsatzentscheidungen
zur Wehrpflicht sowie zum künftigen Gesamtumfang der Streitkräfte und
der Bundeswehrverwaltung auf Grundlage der Berichte des
Generalinspekteurs und der Strukturkommission für Dezember 2010 zu
erwarten. Letzterer Bericht werde bis Januar 2011 durch einen
BMVg-Arbeitsstab mit dem Auftrag ausgewertet, einen Gesamtplan zur
Neuorganisation des Bundesverteidigungsministeriums zu entwickeln.
Zeitgleich sollen auch die konzeptionellen Grundlagen zur Neuausrichtung
der Bundeswehr vorgestellt werden. Schließlich erfolge im ersten
Halbjahr 2011 die detaillierte Ausplanung des Verteidigungsministeriums
und der Bundeswehr mit Blick auf Personal, Ausrüstung und
Modernisierung. Auf Grundlage dieser Detailausplanung wird dann ein
neues Stationierungskonzept erarbeitet werden, das ab Mitte 2011
erwartet werde. Damit können bedauerlicherweise die Weichen für eine
Bundeswehr, die primär der Aufstandsbekämpfung in Konfliktgebieten
dient, als gestellt gelten.

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