Mittwoch, 16. Juni 2010

König Fußball?

"Shoot-to-kill": Südafrika rüstet sich für die WM
http://imi-online.de/2010.php?id=2129
http://imi-online.de/download/TS-Juni-2010.pdf
von Tim Schumacher, 14.06.2010

Zwei Wochen vor der Fußball-WM der Männer werden Feiern und Helfen zum
Synonym. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler hat am 28. Mai 2010
den Startschuss für die Kampagne "Gemeinsam für Afrika" gegeben.
Ironischerweise wurde mit aus Müll selbst gebastelten Fußbällen und
Toren gekickt. Die Botschaft für Jung und Alt war klar: "Feiern Sie in
Deutschland und helfen Sie in Afrika!"[1] Die Fußball-Weltmeisterschaft
als großes Hilfspaket (gleich für den ganzen Kontinent) -- Helfen leicht
gemacht. Während man sich in Deutschland - vorgeblich - für die
Armutsbekämpfung stark macht, rüstet sich Südafrika jedoch für die
Bekämpfung der Armen.


Sicher -- Sicherer -- Südafrika?

Anfang des Jahres wusste es FC-Bayern-Chef Uli Hoeneß schon genau: WM in
Südafrika? Große Fehlentscheidung. Warum? Unsicher. Hinfahren will er
deshalb auch nicht. Das Thema Sicherheit bestimmt seither die
Berichterstattung über Südafrika. Vor diesem Hintergrund erscheinen die
südafrikanischen Maßnahmen zur Schaffung öffentlicher Sicherheit, die
seit Jahren verschärft werden, als notwendige Folge.

Mit den umliegenden Ländern hat Südafrika bereits vereinbart, gemeinsam
verstärkt gegen "illegale Migration" vorzugehen. Um sicher zu gehen,
wurde auch über die WM-Zeit hinaus für die nächsten sechs Monate eine
Spezialeinheit des Militärs an der Grenze zu Simbabwe stationiert. "Das
ist ein Kampf um Menschen daran zu hindern, illegal die Grenze zu
übertreten," sagte der Kommandeur der South African National Defense
Force.[2]

Zusätzlich zu den bisherigen Überwachungskameras wurden für die WM
allein in Kapstadt 223 neue Kameras in der Innenstadt installiert. "Wir
werden die Sicherheitsstufe erhöhen und das Polizeiaufgebot vergrößern,"
gab Dan Plato, Bürgermeister der Stadt, bekannt. Die Zahl der
südafrikanischen Polizeikräfte stieg in den letzten zehn Jahren von
120.000 auf 193.000. 1,3 Milliarden Rand, umgerechnet rund 140 Millionen
Euro, investierte die Regierung vor der WM in neue Hubschrauber,
Ausrüstung und zusätzliche Einsatzkräfte.[3] Allein für den Einsatz bei
der Fußballweltmeisterschaft stehen 40.000 speziell ausgebildete
Polizeikräfte zur Verfügung.[4] Im September letzten Jahres wurde von
PolitikerInnen dem Vorschlag des Polizeichefs Bheki Cele zugestimmt, die
Kompetenzen der Polizei auszuweiten. "Shoot-to-kill" heißt das neue
Motto -- schießen, um zu töten. Bisher durften die BeamtInnen nur im
Falle einer direkten Bedrohung von ihrer Waffe Gebrauch machen. Das
wurde nun scheinbar erheblich gelockert.

Wie aus einem Bericht der südafrikanischen Polizei hervorgeht, geht die
Verbrechensrate in Südafrika seit Jahren zurück.[5] Zudem werden 80% der
Gewaltverbrechen im Familien- und Bekanntenkreis in den Townships
außerhalb der Städte begangen, wo die Armut am größten ist.[6] Die
Aufstockung des Sicherheitsapparats hat hier so gut wie keine Wirkung.
Die Kameras und Extrakontingente der Polizei sind auf die Innenstädte
und die großen Transportrouten gerichtet. Genau die Orte, an denen die
WM stattfinden wird und sich der Großteil der TouristInnen aufhalten
werden -- vor allem auch die Orte, die von wirtschaftlichem Interesse
sind und an denen Menschen mit Streiks, Demos und Blockaden für ihre
Rechte kämpfen.


Organisierung von Arbeitskämpfen

Besonders die arme Bevölkerung, deren Anteil trotz jahrelangem
Wirtschaftsaufschwung extrem hoch ist, wurde von der weltweiten
Verteuerung der Grundnahrungsmittel in den Jahren 2007 und 2008 hart
getroffen. Gepaart mit der massiven Teuerung öffentlicher Güter wie
Wasser und Strom kam es seitdem in Südafrika zu einer neuen
Verarmungswelle. Diese wurde von zahlreichen Protesten begleitet.

"Wir werden den öffentlichen Sektor komplett lahm legen", drohte der
Gewerkschaftssprecher Fundiswa Qongqo.[7] Nach Angaben des
Gewerkschaftsdachverbandes COSATU verließen am 1. Juni 2007 über eine
halbe Million Angestellte des öffentlichen Dienstes ihren Arbeitsplatz
und gingen in über 40 Städten auf die Straße.[8] Das war damit der
größte Streik nach dem Ende der Apartheid. In Soweto, einem Township
Johannesburgs, ziehen sich seit Jahren die Auseinandersetzungen um die
Schaffung minimaler Lebensstandards hin. 2008 wurde damit begonnen,
Menschen umzusiedeln, um große Geschäftsprojekte zu realisieren.[9] Die
Polizei versuchte immer wieder, den Protest dagegen einzuschüchtern.
Auch im Zuge der WM-Vorbereitungen kam es vermehrt zu Zwangumsiedelungen
von Menschen, die den Großprojekten oder ihrem Umfeld weichen mussten.
In Kapstadt wurden von der Stadt Blechhüttensiedlungen errichtet, die
zur scheinbar vorrübergehenden Umsiedlung einiger Townships dienen
sollten, die sich zu nah am Flughafen oder am Stadion befinden. Die
Siedlungen sind kilometerweit entfernt von den ursprünglichen Wohnorten
der Menschen, sind polizeilich bewacht und eingezäunt. Die Vertreibungen
werden meist von der Polizei unter Androhung von physischer Gewalt oder
Gefängnisstrafen durchgeführt. Schön sauber soll es sein für die
Weltöffentlichkeit.

Der bevorstehende Auftakt des Fußballgroßereignisses wird von
Arbeitskämpfen flankiert. Über 70.000 ArbeiterInnen der WM-Projekte sind
in der Zeit des Baus in den Streik getreten, um sich gegen die extrem
schlechten Arbeitsbedingungen und den niedrigen Lohn zu wehren. In den
letzten drei Jahren kam es beim Bau der Stadien zu insgesamt 26 Streiks,
bei denen 12% mehr Lohn erkämpft werden konnte, was unter Anbetracht der
hohen Inflationsrate Südafrikas eher gering erscheint.[10] Auch der
Streik der Gewerkschaft des Transportsektors geht unvermindert weiter.
Die Beschäftigten fordern 15% mehr Lohn. Seit dem 10. Mai 2010 wurden
Häfen und der Frachtverkehr auf Schienen und Straßen bestreikt und
teilweise lahm gelegt. Der Gewerkschaftsverbund COSATU und die
Angestellten des Energiekonzerns Eskom drohten mit landesweiten Streiks
während der WM gegen die geplante Strompreiserhöhung um 25 %. Bereits im
Jahr 2009 erhöhte Eskom die Preise um 31%.[11]

Doch Streiks seien das falsche Signal, verkündete der heutige
südafrikanische Präsident Jacob Zuma schon 2007 der Nachrichtenagentur
AFP. "Ich glaube nicht, dass es irgendetwas Gutes für das Land
bringt".[12] In Anbetracht der WM 2010 würde das nur zu Irritationen
über die Sicherheitslage im Land führen, so Zuma weiter.


WM in Südafrika - wessen Interesse?

Am 1. April diesen Jahres besuchte eine parteiübergreifende deutsche
Delegation des Innenausschusses den Ort des Geschehens. Vornehmliches
Ziel des Besuchs war der Austausch im Bereich der öffentlichen
Sicherheit. Speziell ging es um die Zusammenarbeit deutscher
Polizeikräfte mit den für die innere Sicherheit zuständigen
südafrikanischen Institutionen.[13]

Seit Jahren ist die deutsch-südafrikanische Kooperation sehr ausgeprägt:
Bereits ein Jahr nachdem die Weltmeisterschaft in Deutschland stattfand,
begann die deutsche Polizei damit, die südafrikanischen
Sicherheitskräfte auf das Großevent vorzubereiten. Auch die Luftwaffe
ist daran beteiligt, die Erfahrungen der WM 2006 an südafrikanische
Kräfte weiterzuvermitteln. Das Bild wird durch die Bundesmarine
abgerundet, die eine enge Partnerschaft mit den südafrikanischen
Streitkräften unterhält.[14] Deutschland hat ein großes Interesse daran,
dass generell die Handelsbeziehungen sicher verlaufen, etwa 600 deutsche
Unternehmen sind in dem Land aktiv: "Südafrika ist für Deutschland das
mit Abstand wichtigste Land in Afrika südlich der Sahara. Es ist dort
größter Handelspartner und bedeutendstes Zielland für deutsche
Direktinvestitionen. Die deutsche Wirtschaft betrachtet die Kaprepublik
als Eintrittstor in andere afrikanische Märkte", so die der
Bundesregierung zuarbeitende Stiftung Wissenschaft und Politik.[15] In
den Jahren 2004 und 2005 war Südafrika der wichtigste Abnehmer der
deutschen Waffenschmieden außerhalb der westlichen Industrieländer.[16]
Auch 2009 blieb Deutschland mit einem Handelsvolumen von 12,6 Milliarden
Euro einer von Südafrikas wichtigsten Handelspartnern.[17]

Bei der WM gibt es einiges zu holen: Die Umsätze der Reisebüros stiegen
nach Angaben des deutschen Reiseverbandes um bis zu 116% an. Doch der
deutsche Schwerpunkt liegt im Stadionbau. Das Stadion in Kapstadt ist
das teuerste Gebäude, das jemals in Südafrika errichtet wurde. Unter
anderem durch den Bau solcher Stadien konnten deutsche Firmen bisher
einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro erzielen.[18] Vorgesehen war die
Schaffung von 500.000 Arbeitsplätzen bei den Vorbereitungen. Entstanden
sind im Stadionbau nur ca. 22.000. Etwa die Anzahl der Arbeitsplätze,
die, wie das Statistische Amt Südafrikas feststellte, zwischen 2007 und
2008 im Baugewerbe weggefallen sind.[19]


Deutsche Tradition

Gute Handelsbeziehungen mit Südafrika haben in Deutschland Tradition.
Der Automobilkonzern Daimler versorgte seit 1978 das Apartheidsregime
mit Fahrzeugen, die schnell zum Standardmodell des Militärs wurden. In
den achtziger Jahren überflutete ein Dieselmotor, gebaut nach
Daimlerlizenz, den Markt. Auch dieser wurde bevorzugt vom Militär in
gepanzerte Fahrzeuge eingebaut. Daimler Benz war an Projekten der
südafrikanischen Marine beteiligt und verkaufte 1985 Hubschrauber an die
südafrikanische Polizei zur Überwachung von Demonstrationen und
Identifizierung von AktivistInnen.[20] Auch nach dem Ende der Apartheid
ist Daimler am südafrikanischen Markt interessiert und betreibt eigene
Produktionsstätten. Bei der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft der
Männer tritt Daimler Benz als Hauptsponsor der deutschen Nationalelf in
Südafrika auf. Apartheidsregime oder nicht -- auf jeden Fall business as
usual.


Anmerkungen:

[1]Köhler startet WM-Kampagne für Afrika. Aus:
http://www.epo.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6144:kohler-startet-wm-kampagne-fuer-afrika&catid=75&Itemid=131
(28.05.2010)
[2]Troops are reinforcing a porous and dangerous border. Aus:
http://irinnews.org/Report.aspx?ReportId=89262 (26.05.2010)
[3]Raab, Klaus: Erst schießen, dann fragen? Aus: Die Wochenzeitung,
13.05.2010
[4]Wonacott, Peter: No Terror Threat Seen at World Cup. Aus: The Wall
Street Journal, 02.06.2010
[5]Crime in the RSA from April to March: 2003/2004 -- 2008/2009. Aus:
http://www.iss.co.za/uploads/0909CRIMETOTALS.PDF
[6]Siehe Fußnote 3
[7]Makinana, Andisiwe; Keating, Candes: Public Sevice Workers Threaten
Total Shutdown. Aus: http://allafrica.com/stories/200706060503.html
(06.06.2007)
[8]Khan, Romin: Ein politischer Streik und Duschen gegen Aids. Aus:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25552/1.html (24.06.2007)
[9]A CALL TO A PEOPLE'S INSPECTION IN KLIPTOWN. Aus:
http://www.labournet.de/internationales/suedafrika/kliptown2.html
(29.01.2008)
[10]Der Inflations-Jahresdurchschnittswert für 2009 lag bei 7,1 Prozent.
Perspektivisch wird die Inflationsrate weiter steigen, da beispielsweise
dem staatlichen Stromversorger Eskom ab 2010 eine Preisanpassung über
drei Jahre von jeweils 25 Prozent genehmigt wurde. Aus: Auswärtiges Amt,
Länderinformation Südafrika Wirtschaft, März 2010
[11]Ebd.
[12]Slaughter, Barbara: South Africa: COSATU calls off public service
strike. Aus: http://www.wsws.org/articles/2007/jul2007/safr-j14.shtml
(14.07.2007)
[13]Delegation des Innenausschusses reist nach Südafrika und Namibia.
Aus: Pressemitteilung des Bundestags, 01.04.2010
[14]Ein gewisser Widerspruch. Aus: German-Foreign-Policy.com,, 08.10.2007
[15] Mair, Stefan: Südafrika - Modell für Afrika, Partner für
Deutschland? SWP-Studie, Mai 2010, S. 5. Vgl. auch Juniorpartner
Südafrika (I). Aus: German-Foreign-Policy.com, 08.06.2010
[16]Länderportrait Südafrika. Aus: Bonn International Center for
Convention, Oktober 2009
[17]Südafrika -- Beziehungen zu Deutschland. Aus: Auswärtiges Amt,
Länderinformationen Südafrika Bilateral, März 2010
[18]WM lockt Fußballfans nach Südafrika. Aus: Aktuelle Meldung des
Bundestags, 05.05.2010
[19]Die Fußball-Weltmeisterschaft und die Slums. Aus:
http://marx21.de/content/view/1001/32 (04.03.2010)
[20]Apartheid-Opfer vs. Daimler. Aus: medico international, 13.04.2010



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