Montag, 7. September 2009

Zur Begrifflichkeit der emotionalen Pest bei Wilhelm Reich

Wilhelm Reich wurde am 24. März 1897 in Dobrzcynica, Galizien, geboren; die Eltern waren jüdischer Herkunft, aber nicht praktizierend.1911 beging die Mutter Selbstmord, der Vater wurde daraufhin schwermütig und starb 1914. 1915 bis 1918 trat Reich den Dienst im österreichischen Militär an. 1918 begann er - nach einem Semester Jura - sein Medizinstudium. 1920 erfolgte die Aufnahme in die Wiener Psychoanalytische Vereinigung; er begann als Psychoanalytiker zu praktizieren. 1921heiratete er die Medizinstudentin Annie Pink; zwei Töchter. 1933 erfolgte im skandinavischen Exil die Hochzeit mit der Ballettänzerin Elsa Lindenberg; 1939, nach der Emigration in die USA, die Hochzeit mit Ilse Ollendorff.Mitte 1927 schloss er sich einer Richtung der Psychoanalyse an, dem "Freudomarxismus": Syntese von Marxismus und Psychoanalyse.1930 erfolgte der Umzug von Wien nach Berlin und der Eintritt in die KPD.1931 gründete Reich den Deutschen Reichsverband für proletarische Sexualpolitik, kurz: Sexpol.1933 wurde er aus der KPD ausgeschlossen, u.a. aufgrund des Buches "Massenpsychologie des Faschismus"...1934 Ausschluss aus der psychoanalytischen Vereinigung am Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Luzern.Im 1936 erschienenen Buch "Die Sexualität im Kulturkampf" kritisierte er scharf die Rückschritte in der Sowjetunion unter Stalin.1939 definierte er die Begrifflichkeit des "Charakterpanzers" für psychische Blockaden, des "Muskelpanzers" für die Verspannung bestimmter für die praktische Arbeit abgrenzbarer Muskelgruppen.
Eigene mikrobiologische Forschungen führten zur Entdeckung der Bione (1938), vesikulären Gebilden an der Grenze zwischem Anorganischen und Organischem, und schließlich zum Postulat einer spezifischen Energieart, die er Orgon nannte. Diese Energieform sei die biophysikalische Grundlage für die Wirksamkeit der Psychotherapie, wirke bakterizid, töte Krebszellen und sei in Akkumulatoren konzentrierbar. Es folgte ein gerichtliches Verbot der Akkumulatoren als auch der Bücher von Reich... 1956 wurde Reich zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, am 3.11.1957 starb er im Gefängnis in Lewisburg, Pennsylvania, an "plötzlichem Herztod"...(frei nach Wikipedia)
"Ausgehend von der Entdeckung der orgastischen Potenz formulierte Reich die grundsätzliche funktionelle Identität von Körper und Psyche. Dies bietet den Boden für die Einbeziehung des Körpers in die Therapie. Reich gilt damit als Vater der Körpertherapie. Er nennt seine Methode zunächst charakteranalytische Vegetotherapie, später Orgontherapie. Mit der Entwicklung der Charakteranalyse liefert er einen wichtigen und nach wie vor gewürdigten Beitrag für die Psychoanalyse. In der Bioenergetischen Analyse nach Lowen finden Charakterstrukturen wesentliche Beachtung. Reich beschreibt spezifische Widerstandsformen, wie sie sich körperlich und charakterlich ausdrücken, im Begriff der Panzerung. (...) Reich kann als ein Vorreiter der Humanistischen Psychologie gelten, da er in seinen Konzeptionen einen in der Tiefe des Menschen aufzufindenden guten "Kern" annimmt. Natur und Kultur werden nicht als unvereinbar angesehen. Reich stellt der moralischen Regulierung menschlichen Verhaltens die sogenannte ökonomische Selbststeuerung gegenüber. Auf dem medizinischen Gebiet leistete Reich einen wesentlichen Beitrag durch die Erforschung der sogenannten Biopathien, Erkrankungen, die er als Folge chronischer Blockierung und damit einhergehender Resignation und Schrumpfung im plasmatischen Bereich betrachtete. Seinen Forschungen lag die Anwendung der von ihm 1927 beschriebenen funktionellen Denkmethode zugrunde." Stumm/Pritz/Gumhalter/Nemeskeri/Voracek (Hrsg.), personenlexikon der psychotherapie, SpringerVerlagWienNewYork, S. 389
Mir persönlich schienen die Orgonthesen von Reich immer bedenklich, jedoch sein Gesamtwerk von großem Interesse...Ich habe selten etwas so treffendes gefunden, wie die Analyse des "emotional Pestkranken" in Reichs Buch "Charakteranalyse", anwendbar etwa auf religiöse oder politische Fanatiker..."Wenn manche Analytiker von der "Zertrümmerung des Über-Ichs" durch die analytische Behandlung sprachen, so ist dem nur anzufügen, daß es sich um einen Energieentug am System der moralischen Instanzen und um ihren Ersatz durch libido-ökonomische Regulierung handelt. Daß dieser Prozeß den heutigen Interessen des Staates, der Moralphilosophie und der Religion widerspricht, ist in anderem Zusammenhange von entscheidendem Belang. Das ganze bedeutet, einfacher ausgedrückt, daß der sexuell und in seinen primitivsten biologischen und kulturellen Bedürfnissen Befriedigte keine Moral zur Selbstbeherrschung notwendig hat, während der Unbefriedigte, in allem und jedem Unterdrückte an gesteigerter innerer Erregung jeder Art leidet, die ihn veranlassen würde, alles kurz und klein zu schlagen, wenn nicht seine Kräfte durch moralische Mächte teils unterbunden, teils aufgezehrt würden.Der Umfang und die Intensität der moralisch-asketischen Ideologien einer Gesellschaft sind der beste Gradmesser für den Umfang und die Intensität der ungelösten Bedürfnisspannungen in den durchschnittlichen Massenindividuen dieser Gesellschaft. Beide sind bestimmt vom Verhältnis der Produktivkräfte und der Produktionsweise zu den zu befriedigenden Bedürfnissen. (...)" S.180f."Die Lebenshaltung der lebensverneinenden Askese ist vor der Begründung da. Der Gesunde wird seine Lebensart niemandem aufzwingen wollen; aber er wird heilen und helfen, wenn er um Hilfe ersucht wird und wenn er es leisten kann. Auf keinen Fall wird ein Gesunder dekretieren, daß alle Menschen "gesund zu sein haben". Erstens wäre ein solches Diktat nicht rational, denn Gesundheit kann nicht anbefohlen werden; zweitens hat der Gesunde gar keinen Drang, seine Lebenshaltung anderen aufzudrängen, da seine Motive der Lebensführung mit seinen eigenen und nicht mit fremden Lebensführungen verknüpft sind.Der emotional Pestkranke unterscheidet sich nun vom Gesunden dadurch, daß er seine Lebensforderungen nicht nur an sich, sondern vor allem an seine Umwelt richtet. Wo der Gesunde rät und hilft, wo er mit seinen Erfahrungen einfach anderen vorlebt und es ihnen überlässt, ob sie ihn zum Beispiel nehmen wollen oder nicht, dort zwingt der Pestkranke seine Lebensart anderen mit Gewalt auf. Pestkranke dulden Anschauungen nicht, die ihre Panzerung bedrohen oder ihre irrationalen Motive enthüllen. Der Gesunde empfindet nur Freude, wenn er von den Motiven seiner Handlungen hört. Der Pestkranke gerät dabei in Raserei. Der Gesunde kämpft dort, wo andersartige Lebensanschauungen Leben und Arbeit stören, in rationaler Weise scharf für die Erhaltung seiner Lebensweise. Der Pestkranke kämpft gegen andere Lebensarten auch dort an, wo sie ihn gar nicht berühren. Das Motiv seines Kampfes ist die Provokation, die andere Lebensweisen durch ihre bloße Existenz darstellen.Die Energie, die die emotionalen Pestreaktionen speist, entstammt regelmäßig unbefriedigbarem Lusthunger, gleichgültig ob es sich um sadistische Kriegstaten oder um Diffamierung von Freunden handelt. (...) Die neigung zur emotionellen Pest ist allgemein. Es gibt nicht Pestfreie hier und Pestkranke dort. So wie jeder Mensch irgendwo in der Tiefe seine Neigung zu Krebs, Schizophrenie oder Alkoholismus hat, so hat jeder, auch der Gesündeste und Lebensfreudigste, die Neigung zu irrationalen Pestreaktionen in sich. (...)" S.254f."Die Sexualität des emotionell Pestkranken ist typischerweise sadistisch und pornographisch. Sie kennzeichnet sich durch Gleichzeitigkeit von sexueller Geilheit (infolge Unbefriedigbarkeit) und sadistischem Moralismus. Dies ist strukturell gegeben; der Pestkranke könnte es nicht ändern, selbst wenn er Einsicht und Wissen hätte; er kann strukturell nicht anders als pornographisch-lüstern und sadistisch-moralisch zugleich sein.Dies ist der Kern der pestkranken Charakterstruktur. Sie entwickelt bitteren Hass gegen jeden Vorgang, der die eigene orgastische Sehnsucht und mit ihr Orgasmusangst provoziert. Die Askeseforderung richtet sich nicht nur gegen sich selbst, sondern vor allem in sadistischer Weise gegen das natürliche Liebesleben anderer. Emotionell Pestkranke haben eine besondere Neigung zur Bildung von sozialen Zirkeln. Diese Zirkel werden zu Zentren öffentlicher Meinungsbildung; sie zeichnen sich vor allem durch scharfe Intoleranz in Fragen des natürlichen Liebeslebens aus. Sie sind allgemein verbreitet und wohlbekannt. Sie verfolgen jede Äußerung natürlichen Liebeslebens unter dem Schilde der "Kultur" und "Moral" aufs schärfste; sie haben im Laufe der Zeit eine besondere Technik der Diffamierung entwickelt. (...) Klinische Untersuchungen lassen keinen Zweifel darüber, daß für diese Zirkel emotionell Pestkranker sexueller Tratsch und Diffamierung eine Art perverser Sexualbefriedigung darstellen. Es handelt sich um einen sexuellen Lustgewinn unter Ausschluß der natürlichen Sexualfunktion. (...) Sie hat viele Menschenleben auf dem Gewissen." Wilhelm Reich, Charakteranalyse, Fischer Taschenbuch Verlag 1970, S.262f.

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