Montag, 21. September 2009

Antideutscher Aufruf zur Demonstration in Leipzig

Bundesweite Demonstration am 10. Oktober 2009 in Leipzig
2009 ist ein Jahr deutscher Jubiläen. Im Zentrum der Feierlichkeiten stehen der sechzigste Jahrestag der BRD-Gründung sowie die sich nun zum zwanzigsten Mal jährende »Friedliche Revolution«. Für uns gibt es dabei nichts zu feiern. Und in Leipzig, dem selbsternannten Nabel der Wiedervereinigung erst recht nicht.
Durch die Beschwörung eines demokratischen und antidiktatorischen Aufstands im Jahr 1989 wird ein Mythos geschaffen, der dem nationalen Kollektiv einen positiven Bezug auf Deutschland ermöglichen soll. Die Zelebrierung einer quasi zweiten – aber diesmal durchweg positiv besetzten – Geburt der BRD geht mit der rhetorischen Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus einher. Die Deutschen werden dadurch nicht nur zu bloßen Opfern »zweier Diktaturen« stilisiert, vielmehr gelingt es ihnen, sich von der Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus weiter zu lösen.
So wird im Jubiläumsjahr 2009 die Erzählung von einem geläuterten Deutschland, das die Lehren aus der Geschichte gezogen habe und nun als eine bessere Nation mit unbeschwertem Selbstbewusstsein auftreten kann, aufs Neue bekräftigt. In der vollzogenen Geschichtsklitterung gibt es selbstverständlich keinen Platz für widersprüchliche oder gar negative Aspekte, die dem konstruierten Selbstbild entgegen stehen. Im Rahmen der Wendefeierlichkeiten werden der brutale Anstieg von Antisemitismus und Rassismus nach der »Wiedervereinigung« und die bis heute existenten menschenverachtenden Einstellungen in der Bevölkerung konsequent verschwiegen. Auch wird kein Wort über den kapitalistischen Alltag und seine inhumane Verwertungslogik verloren.

Die Revolution – ein Mythos

Exemplarisch für die in Deutschland dominierende historische Deutung der Geschehnisse von 1989 steht der Ruf aus Leipzig. In dem von zahlreichen prominenten Politikerlnnen anlässlich des Jubiläums unterzeichneten Aufruf, heißt es: „Die Friedliche Revolution und Wiedervereinigung gehören zu den großen Daten der deutschen Nationalgeschichte und können die Identität begründen, die einer selbstbewussten Bundesrepublik im sechzigsten Jahr ihres Bestehens angemessen ist“.
Der Herbst 89 findet als ein »wesentlicher Teil der demokratischen Traditionslinie der Bundesrepublik« Eingang in die mythologisierte Geschichtsdeutung, mit der Nationen ihre Existenzberechtigung verliehen bekommen. Die imaginierte Gemeinschaft ist dabei auf Erzählungen über ihr Wesen und ihre Geschichte angewiesen, die von charakteristischen Amnesien, Umdeutungen und Glorifizierungen geprägt sind. So kann Deutschland mit der »Friedlichen Revolution« und deren Höhepunkt am 9.Oktober 1989 in Leipzig seine vermeintliche bürgerliche Revolution vorweisen.
Die Ereignisse von ’89 lassen sich dabei weder als vollends friedlich beschreiben – z.B. kam es in Dresden zu mehreren Auseinandersetzungen – noch ist die Bezeichnung dieser Monate als Revolution eine adäquate Beschreibung der Geschehnisse.
Gerne wird immer wieder behauptet, im Oktober 1989 sei mit dem unglaublichen Mut der 70.000 Demonstrantinnen ein ganzes System so ins Wanken gekommen, dass die DDR-Regierung gestürzt und das geteilte Deutschland geeint wurde. In dieser nationalen Mystifizierung finden weltpolitische Zusammenhänge und der historische Vorlauf keine Erwähnung. Es wird ausgeblendet, dass die Sowjetunion sich im Zuge von Glasnost und Perestroika immer mehr aus den Angelegenheiten der anderen Staaten des Warschauer Paktes raushielt. Das entstandene Machtvakuum im Ostblock führte zur allmählichen Loslösung mehrerer Staaten von der Sowjetunion. Auch die vor den Ereignissen des Herbstes 89 einsetzende Massenflucht sowie die wirtschaftlich desolate Lage der DDR, die einen nicht unerheblichen Beitrag zu ihrem Ende leistete, bleiben unerwähnt.
Zugunsten dieser deutsch-deutschen Legende erfolgt keine differenzierte Darstellung der damals formulierten sozialen und politischen Begehren. Diese werden maßlos homogenisiert und auf Forderungen nach bürgerlicher Freiheit und Demokratie reduziert.
Die Anfänge der Protestbewegung waren eher vom Anspruch einer Reform des bestehenden Sozialismus geprägt, um diesen in einer ökologischeren, wirtschaftlich leistungsfähigeren und undogmatischeren Weise zu erhalten. Dass letztendlich einfach die Staats- und Regierungsform der BRD übernommen wurde, lässt sich schwerlich als Revolution bezeichnen.
Auch das viel gepriesene »demokratische Bewusstsein« war eher oberflächlicher Natur. Der Unmut über mangelnde Konsumgüter oder der mit dem Anwachsen der Demonstrationen einhergehende Ruf nach nationaler Wiedererweckung, »Wir sind ein Volk!« -Parolen und die Nazisprüche werden heute zum Beweis für die Demokratiefähigkeit der Ostdeutschen verschwiegen.

Deutschland – eine Zumutung

Die notwendige Folge des 2. Weltkriegs bestand in der Teilung Deutschlands in vier Besatzungszonen. Auch wenn daraus zwei deutsche Staaten hervorgingen, verschwand doch die Überzeugung bei den Bürgerinnen in Ost und West nie, Teil einer auf Abstammung beruhenden Schicksalsgemeinschaft zu sein. Aufgrund dieser Überzeugung schlossen sich die Menschen in BRD und DDR 1989 der aufkommenden nationalistischen Euphorie an, die zur Vereinigung beider deutscher Staaten führte.
Schon vor der Vereinigung gehörten in beiden Teilen Deutschlands Diskriminierung und rassistische Gewalt gegenüber als fremd und anders wahrgenommenen Menschen zum Normalzustand. Nach 1989 kam es im Zusammenspiel zwischen Stammtisch-Deutschen, Politik und Medien zu einem mörderischen Aufleben von Rassismus und Antisemitismus. In den Jahren 1991 und 1992 fanden in verschiedenen Orten Ostdeutschlands, beispielsweise in Rostock- Lichtenhagen und im sächsischen Hoyerswerda, brutalste Anschläge und Übergriffe auf Asylbewerberheime und Unterkünfte von Vertragsarbeiterinnen statt – unter dem Beifall der Bevölkerung. In Westdeutschland kam es ebenfalls zu rassistischen Angriffen, bei denen, wie in Mölln und in Solingen, zahlreiche Menschen durch Brandanschläge starben. Weil internationale Medien empört auf die Morde reagierten, bemühten sich PolitikerInnen und Parteien durch verbale Abgrenzung, ein positives Image Deutschlands zu wahren.
Doch dass die rassistische Stimmung gesamtgesellschaftlicher Konsens war, zeigte sich seitdem nicht nur in verbalen und physischen Attacken gegen Migrantlnnen, sondern auch in der deutschen Gesetzgebung, den kontinuierlichen brutalen Abschiebevorgängen durch staatliche Behörden, sowie in der rassistisch-populistischen Rhetorik der Politik.
Der staatliche Rassismus fand 1993 bei der Aushandlung des so genannten Asylkompromiss‘ einen neuen Höhepunkt. Das Grundrecht auf Asyl (Art. 16a GG) – ursprünglich als Konsequenz auf die politischen Verfolgungen im Nationalsozialismus postuliert und in das Grundgesetz aufgenommen – wurde u.a. durch die Dritt-Staaten-Regelung faktisch abgeschafft. Die Volksparteien entsprechen mit ihren Forderungen und Inhalten bis heute den rassistischen Einstellungen der Massen und bedienen diese stets aufs Neue. Mit Kampagnen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder populistischen Sprüchen wie »Das Boot ist voll« bzw. »Kinder statt Inder« sind SPD und CDU Teil des diskriminierenden Diskurses.
In großen Teilen der Bevölkerung herrschen bis heute rassistische, chauvinistische und antisemitische Einstellungsmuster, die mit einer Idealisierung staatlicher Autorität einher gehen. Infolge dieses Konsens wird zwischen der eigenen Gemeinschaft und »den Anderen«, den so genannten »Ausländern«, klar unterschieden. Diese Kategorisierung bildet die Grundlage für eine von Stigmatisierung bis hin zum gewaltsamen Übergriff reichende Diskriminierungen. Migrantlnnen sind maximal als Arbeitsplätze schaffende Investorinnen oder kurzzeitige Arbeitskräfte willkommen, die sich aber nicht dauerhaft in Deutschland niederlassen sollen. Ansonsten wird von ihnen eine Integration und Anpassung gefordert, die nach den Idealen der deutschen Leitkultur verlaufen muss. In völlig offener und brutaler Art und Weise äußert sich der Rassismus und Nationalismus bei der NPD. Wie der Einzug in den Sächsischen Landtag deutlich machte, kann sie damit die Überzeugungen eines beachtlichen Teils der Bevölkerung bedienen. Als im Sommer 2007 ein rassistischer deutscher Mob acht aus Indien stammende Menschen durch Mügeln trieb, war die Empörung zwar groß, jedoch wollte man nichts von einer rassistischen Gesellschaft in Sachsen wissen.
Seit der »Wiedervereinigung« forderten rassistische Übergriffe mehr als 140 Menschenleben. Im Jubiläumsjahr werden die Demokratie und Freiheit gefeiert, doch den Opfern rassistischer Gewalt und staatlicher Abschiebepraxis keine Beachtung geschenkt.
Teil der gesellschaftlich herrschenden Einstellungen sind ebenfalls antisemitische Denk- und Verhaltensmuster. Zwar fanden diese in unterschiedlicher Weise Eingang in die Geschichte der DDR und BRD, stellten aber in beiden deutschen Staaten und damit auch nach der »Wiedervereinigung« eine gesellschaftliche Normalität dar.
In der DDR fand aufgrund der historischen Interpretation keine nennenswerte Auseinandersetzung mit Antisemitismus statt. Die Zeit des Nationalsozialismus wurde alleinig als vom Kapitalismus forcierter Faschismus begriffen. Der deutschen Spezifik des Antisemitismus kam damit keine Bedeutung zu. Infolge dessen wurden die Opfer des Nationalsozialismus hierarchisiert und die kommunistischen Widerstandskämpferinnen in den Vordergrund gerückt. Der Gründungsmythos des antifaschistischen Arbeiter- und Bauernstaats ließ eine Auseinandersetzung mit den Einstellungsmustern des Nationalsozialismus unnötig erscheinen, obwohl ein Großteil der Bevölkerung am Holocaust direkt oder indirekt beteiligt war. Der weiter existente Antisemitismus in der DDR zeigte sich wiederholt durch die Schändungen jüdischer Friedhöfe und Gedenkstätten. Ebenfalls bediente die antizionistische Politik und Propaganda der DDR gegenüber Israel den Antisemitismus in der Bevölkerung.
Die BRD war nach ihrer Gründung vor allem von einer personellen Kontinuität deutscher Taterlnnen sowie von Verdrängung und Leugnung der eigenen Verbrechen geprägt. Die weiter existierenden antisemitischen Denkmuster und Positionen wurden nicht offensiv bekämpft, durften aber auch nicht mehr öffentlich artikuliert werden. Der primäre Antisemitismus wird über die Zeit von einem überwiegend sekundären Antisemitismus abgelöst: Die Shoah und die Erinnerung an sie wandeln sich dabei in eine Quelle erneuter Ablehnung von Jüdinnen und Juden, da ein positiver Bezug auf Deutschland nach Auschwitz nicht mehr möglich ist. Indem man andere Verbrechen als ebenso grausam darstellt oder einen endgültigen Schlussstrich unter die Geschichte fordert, erlaubt diese Denkweise eine Verkehrung von Taterinnen und Opfern. Nun seien es die Deutschen, die unter der Zeit des Nationalsozialismus besondern gelitten hätten.
Die von Ernst Nolte im Historikerstreit Ende der 80er Jahre formulierte und von vielen anderen Intellektuellen unterstützte Position, dass die Verbrechen der Nazis lediglich eine Reaktion auf den »bolschewistischen Klassenmord« darstellt, wurde zum Symbol für eine solche Geschichtsrelativierung und dem Bedürfnis nach einem historischen Schlussstrich unter die deutsche Geschichte.
Die antisemitischen Kontinuitäten aus BRD und DDR fanden nach der Vereinigung nicht nur eine Fortsetzung, vielmehr kam es in den Jahren danach zu einer deutlichen Zunahme. Insbesondere im Osten zeigte sich offener Antisemitismus in den massiven Protesten gegen die Aufnahme von Kontingentflüchtlingen Anfang der 90er Jahre: Die Bürgerinnen der Gemeinden Dolgenbrot und Gollwitz drohten mit Anschlägen auf Unterkünfte für Jüdinnen und Juden, die aus Russland kommend in diesen Gemeinden einen ersten Anlaufpunkt haben sollten.
Im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Debatten um die Beurteilung des Nahost-Konfliktes, der deutschen Geschichte oder – ganz aktuell- der Wirtschaftskrise lässt sich weiterhin ein meist latenter und subtiler Antisemitismus beobachten. Wie der Begriff des sekundären Antisemitismus deutlich machen will, geht der deutsche Antisemitismus in gesellschaftlichen Diskursen meist mit einem Geschichtsrevisionismus einher, der von einer Schlussstrichmentalität über eine Schuldrelativierung bis hin zur Beschwörung eines deutschen Opfermythos reicht. Symptomatisch für diesen steht die Friedenspreisrede des Schriftstellers Martin Walser in der Frankfurter Paulskirche 1998. In der vom Publikum mit Beifall bedachten Ansprache stellte Walser die individuelle Schuld der Deutschen in Frage und forderte ein Ende der Erinnerung an die Shoah.

Umdeutung der Geschichte

Wenn heute im Ruf aus Leipzig die Bürgerinnen der DDR zu bloßen Opfern einer aufgezwungenen SED-Diktatur stilisiert werden, reiht sich dies nahtlos in den Opfermythos der Deutschen ein.
So ist dort beispielsweise von einem »erzwungenen Zustand« unter dem »Diktat der sowjetischen Hegemonialmacht« zu lesen. Warum die 16 Millionen Ostdeutschen vierzig Jahre lang im System DDR mitgewirkt haben, wird dabei nicht geklärt. In gleicher Weise beklagt die deutsche Öffentlichkeit das »physische und moralische Trümmerfeld«, das die nationalsozialistische Diktatur hinterlassen habe und entrüstet sich über die alliierten Bombenangriffe auf deutsche Städte. Geschlossen wird dieses Klagelied mit dem Lamentieren über die, gegen den Willen der Bevölkerung vollzogene, Teilung Deutschlands nach Kriegsende. Dass dieses Faktum eine historische und zu bejahende Konsequenz darstellt, gerät dabei völlig aus dem Blickfeld.
Diese parallelisierende Opferinszenierung ist Ausdruck und Sinnbild der Gleichsetzung von SED Diktatur und Nationalsozialismus, die in zahlreichen Veröffentlichungen und Feierreden zum Jubiläum vorgenommen wird. Durch die Gleichsetzung des sowjetischen Gulag mit Auschwitz versucht man sich von Schuldgefühlen bezüglich der eigenen Vergangenheit zu befreien. Die Öffnung der Mauer wird dadurch zum zweiten diskursiven Wendepunkt, der es den Deutschen ermöglicht, die Vergangenheit abzuhaken. Nach der »Überwindung zweier Diktaturen« stellt sich Deutschland als geläuterte Republik dar, die die nötigen Lehren aus der Geschichte gezogen habe. Als 1999 der damalige Außenminister Joschka Fischer den Angriff auf Jugoslawien mit der Historie von Auschwitz legitimierte, konnten diese sogar als spezifisch deutsche Verantwortung ausgelegt werden. Danach bedurften militärische Auslandseinsätze der BRD dieser Begründung nicht mehr. Ein ständiger Sitz im Weltsicherheitsrat soll nun die Rolle Deutschlands als Global Player festigen.
Die Reste eines Unbehagens in bezug auf die deutschen Verbrechen der Shoah konnten so im Laufe der letzten Jahre beseitigt werden. Heute darf man sich wieder ungehemmt positiv auf Deutschland beziehen. Die einsetzende Modernisierung der nationalen Bezüge erleichterte der Bevölkerungsmehrheit einen ungehinderten Zugriff auf den eigenen Nationalismus, der spätestens seit der Jahrtausendwende nun offen artikulierbar wurde. Mit dem Aufruf zum »Aufstand der Anständigen« als eine Antwort auf die Nazigewalt, konnte man die so genannte »gesellschaftliche Mitte« rein waschen. Indem sich verbal von den Nazis distanziert wurde, sollte das Bild einer toleranten Mehrheitsbevölkerung und damit eines weltoffenen Deutschlands gezeichnet werden. Gerne wird darauf verwiesen, dass dieser neue Nationalismus nur ein harmloser Verfassungspatriotismus sei, der auf ein multikulturelles Selbstverständnis wie auf demokratischen Werten aufbaue. Diese Rhetorik intendiert die Loslösung von der deutschen Geschichte um gleichzeitig ein positiv besetztes nationales Identitätsangebot zu schaffen. Welchen Erfolg dieses neue deutsch-nationale Bekenntnis haben kann, zeigte nicht zuletzt das Fahnenmeer bei Fußball-WM 2006. Eine repräsentative Studie der ldentity Foundation anlässlich des 60. Geburtstages der BRD belegt diese Transformation mit Zahlen: 80 Prozent aller Deutschen empfinden Liebe zu ihrem Vaterland. Der Satz »Ich bin stolz ein Deutscher zu sein«, der vor wenigen Jahren in der Öffentlichkeit noch als Naziparole galt, erfährt nun unabhängig von politischen Spektren breite Zustimmung.
Doch weder funktionieren kollektive Identitäten ohne eine Ausgrenzung, derer die nicht zur Gemeinschaft gehören sollen, noch hat sich die hiesige Bevölkerung vollends von ihrem völkischen Verständnis von Gemeinschaft gelöst. Wenn Deutschland gefeiert wird, dann ist das keine harmlose Party!

Die Freiheiten – eine Farce

Im Herbst 2009 feiert sich Deutschland für den demokratischen Aufstand und die Befreiung von »der zweiten deutschen Diktatur«. Doch der damals erhobene Ruf vieler Zonis nach einem geeinten Deutschland war weniger vom Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit, als vielmehr vom schieren Begehren nach Westautos und Bananen geprägt. Zweifelsohne, 1989 hat für die Ostdeutschen bürgerliche Freiheiten gebracht. Doch der Schritt vom real existierenden Sozialismus in den Kapitalismus war keine umfassende Emanzipation. Zwar werden in der heutigen BRD bürgerliche Grundfreiheiten gewährt, doch sind diese zwangsläufig an die kapitalistische Verwertungslogik gebunden. Der Arbeitszwang realsozialistischer Prägung mutierte zu einem vermittelten Arbeitszwang kapitalistischer Gestalt. So dominiert heute ein Leistungsfetischismus, der die Individuen in eine ständige Konkurrenz zueinander drängt. Aber damals wie heute gilt: Wer nicht arbeiten kann oder will, gehört nicht zur Gesellschaft.
Die staatliche Überwachung, Gängelung und Repression mag vielen DDR-Bürgerlnnen ein Dorn im Auge gewesen sein. Umfassende Überwachung im Betrieb, auf öffentlichen Plätzen oder des eigenen Computers wird heute im wiedervereinigten Deutschland wohlwollend hingenommen – im Sinne von Ordnung, Sicherheit und Effizienz. Bürgerliche Freiheiten gelten auch in vollen Zügen nur für diejenigen, die im Besitz einer Staatsbürgerschaft sind.
Mit unserer Kritik streben wir weder die Wiedererlangung »realsozialistischer« Verhältnisse an, noch wollen wir uns mit dem Status Quo zufrieden geben. Die Wendefeierlichkeiten in Leipzig und anderswo versuchen jedoch die Vergangenheit in der Floskel der »zwei deutschen Diktaturen« ad acta zu legen und beschwören den Mythos eines demokratischen Aufbruchs 1989. Dabei stellen sich ihre Reden von »Freiheit« angesichts der heutigen deutschen Zustände für uns als Zynismus dar. Menschenverachtende Ideologien wie Rassismus und Antisemitismus, die von der Mehrheit der Deutschen getragen werden, sind Teil des geläuterten deutschen Nationalgefühls.

Es kann keinen positiven Bezug auf Deutschland geben!

Euer Jubel nervt!

Aufruf zur Kampagne vom Arbeitskreis 2009
Antifaschistischer Frauenblock Leipzig (AFBL), Antinationale Gruppe Leipzig (AGL), Emanzipatorische Gruppe Antifaschistlnnen Leipzig (EGAL), Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (INEX), Leipziger Antifa (LeA), Rock am Kreuz (RaK)

(aktuelle Version vom 17.06.2009, Änderungen vorbehalten)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen